Romanisten aus dem 15. und dem Anfange des 16. Jahr- hunderts über die geringe Geltung des römischen Rechts in den deutschen Gerichten und über die Bevorzugung einheimi- scher Gewohnheiten, wenn diese nicht in voller Wirksamkeit gewesen wären?
Es ist jedoch nicht in Abrede zu stellen, daß seit dem 14. Jahrhundert der Einfluß der Romanisten in Deutschland anfing sich geltend zu machen, und daß dieselben im Laufe des 16. Jahrhunderts zu einer fast unumschränkten Herrschaft über das ganze Rechtswesen gelangten. Fassen wir die Ursa- chen dieser allerdings einzigen Erscheinung etwas näher ins Auge. Einmal kommt dabei die enge Verbindung zwischen Deutschland und Italien, wo das römische Recht bald festen Fuß faßte, in Betracht, -- eine Verbindung, welche nament- lich unter den Luxemburgern wieder erneuert ward, und auf die Ansichten der höheren Kreise in Deutschland einen großen Einfluß ausübte. Man fing nun an, in einer der wunderli- chen Ideenverwirrungen, woran das Mittelalter so reich ist, die Justinianische Compilation als das Gesetzeswerk eines römi- schen Kaisers und zwar eines Vorgängers im deutschen Reich anzusehen, durch welche Auffassung freilich die unmittelbare Geltung des römischen Rechts nicht allein, und nicht einmal vorzugsweise herbeigeführt worden ist, welche aber doch in Ver- bindung mit dem Einfluß der Kirche und bei der allgemeinen Verbreitung von Rechtsbüchern, zu denen auch das Corpus Juris gerechnet werden konnte, wesentlich darauf eingewirkt hat, namentlich insofern Kaiser und Reich dabei betheiligt wa- ren. Wir wissen ja aber auch schon, daß einzelne Lehren des römischen Rechts bereits in weltlichen Sachen Anwendung ge- funden hatten, was denn zur Folge hatte, daß für deren rich-
Erſtes Kapitel.
Romaniſten aus dem 15. und dem Anfange des 16. Jahr- hunderts uͤber die geringe Geltung des roͤmiſchen Rechts in den deutſchen Gerichten und uͤber die Bevorzugung einheimi- ſcher Gewohnheiten, wenn dieſe nicht in voller Wirkſamkeit geweſen waͤren?
Es iſt jedoch nicht in Abrede zu ſtellen, daß ſeit dem 14. Jahrhundert der Einfluß der Romaniſten in Deutſchland anfing ſich geltend zu machen, und daß dieſelben im Laufe des 16. Jahrhunderts zu einer faſt unumſchraͤnkten Herrſchaft uͤber das ganze Rechtsweſen gelangten. Faſſen wir die Urſa- chen dieſer allerdings einzigen Erſcheinung etwas naͤher ins Auge. Einmal kommt dabei die enge Verbindung zwiſchen Deutſchland und Italien, wo das roͤmiſche Recht bald feſten Fuß faßte, in Betracht, — eine Verbindung, welche nament- lich unter den Luxemburgern wieder erneuert ward, und auf die Anſichten der hoͤheren Kreiſe in Deutſchland einen großen Einfluß ausuͤbte. Man fing nun an, in einer der wunderli- chen Ideenverwirrungen, woran das Mittelalter ſo reich iſt, die Juſtinianiſche Compilation als das Geſetzeswerk eines roͤmi- ſchen Kaiſers und zwar eines Vorgaͤngers im deutſchen Reich anzuſehen, durch welche Auffaſſung freilich die unmittelbare Geltung des roͤmiſchen Rechts nicht allein, und nicht einmal vorzugsweiſe herbeigefuͤhrt worden iſt, welche aber doch in Ver- bindung mit dem Einfluß der Kirche und bei der allgemeinen Verbreitung von Rechtsbuͤchern, zu denen auch das Corpus Juris gerechnet werden konnte, weſentlich darauf eingewirkt hat, namentlich inſofern Kaiſer und Reich dabei betheiligt wa- ren. Wir wiſſen ja aber auch ſchon, daß einzelne Lehren des roͤmiſchen Rechts bereits in weltlichen Sachen Anwendung ge- funden hatten, was denn zur Folge hatte, daß fuͤr deren rich-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0046"n="34"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erſtes Kapitel</hi>.</fw><lb/>
Romaniſten aus dem 15. und dem Anfange des 16. Jahr-<lb/>
hunderts uͤber die geringe Geltung des roͤmiſchen Rechts in<lb/>
den deutſchen Gerichten und uͤber die Bevorzugung einheimi-<lb/>ſcher Gewohnheiten, wenn dieſe nicht in voller Wirkſamkeit<lb/>
geweſen waͤren?</p><lb/><p>Es iſt jedoch nicht in Abrede zu ſtellen, daß ſeit dem<lb/>
14. Jahrhundert der Einfluß der Romaniſten in Deutſchland<lb/>
anfing ſich geltend zu machen, und daß dieſelben im Laufe<lb/>
des 16. Jahrhunderts zu einer faſt unumſchraͤnkten Herrſchaft<lb/>
uͤber das ganze Rechtsweſen gelangten. Faſſen wir die Urſa-<lb/>
chen dieſer allerdings einzigen Erſcheinung etwas naͤher ins<lb/>
Auge. Einmal kommt dabei die enge Verbindung zwiſchen<lb/>
Deutſchland und Italien, wo das roͤmiſche Recht bald feſten<lb/>
Fuß faßte, in Betracht, — eine Verbindung, welche nament-<lb/>
lich unter den Luxemburgern wieder erneuert ward, und auf<lb/>
die Anſichten der hoͤheren Kreiſe in Deutſchland einen großen<lb/>
Einfluß ausuͤbte. Man fing nun an, in einer der wunderli-<lb/>
chen Ideenverwirrungen, woran das Mittelalter ſo reich iſt, die<lb/>
Juſtinianiſche Compilation als das Geſetzeswerk eines roͤmi-<lb/>ſchen Kaiſers und zwar eines Vorgaͤngers im deutſchen Reich<lb/>
anzuſehen, durch welche Auffaſſung freilich die unmittelbare<lb/>
Geltung des roͤmiſchen Rechts nicht allein, und nicht einmal<lb/>
vorzugsweiſe herbeigefuͤhrt worden iſt, welche aber doch in Ver-<lb/>
bindung mit dem Einfluß der Kirche und bei der allgemeinen<lb/>
Verbreitung von Rechtsbuͤchern, zu denen auch das Corpus<lb/>
Juris gerechnet werden konnte, weſentlich darauf eingewirkt<lb/>
hat, namentlich inſofern Kaiſer und Reich dabei betheiligt wa-<lb/>
ren. Wir wiſſen ja aber auch ſchon, daß einzelne Lehren des<lb/>
roͤmiſchen Rechts bereits in weltlichen Sachen Anwendung ge-<lb/>
funden hatten, was denn zur Folge hatte, daß fuͤr deren rich-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[34/0046]
Erſtes Kapitel.
Romaniſten aus dem 15. und dem Anfange des 16. Jahr-
hunderts uͤber die geringe Geltung des roͤmiſchen Rechts in
den deutſchen Gerichten und uͤber die Bevorzugung einheimi-
ſcher Gewohnheiten, wenn dieſe nicht in voller Wirkſamkeit
geweſen waͤren?
Es iſt jedoch nicht in Abrede zu ſtellen, daß ſeit dem
14. Jahrhundert der Einfluß der Romaniſten in Deutſchland
anfing ſich geltend zu machen, und daß dieſelben im Laufe
des 16. Jahrhunderts zu einer faſt unumſchraͤnkten Herrſchaft
uͤber das ganze Rechtsweſen gelangten. Faſſen wir die Urſa-
chen dieſer allerdings einzigen Erſcheinung etwas naͤher ins
Auge. Einmal kommt dabei die enge Verbindung zwiſchen
Deutſchland und Italien, wo das roͤmiſche Recht bald feſten
Fuß faßte, in Betracht, — eine Verbindung, welche nament-
lich unter den Luxemburgern wieder erneuert ward, und auf
die Anſichten der hoͤheren Kreiſe in Deutſchland einen großen
Einfluß ausuͤbte. Man fing nun an, in einer der wunderli-
chen Ideenverwirrungen, woran das Mittelalter ſo reich iſt, die
Juſtinianiſche Compilation als das Geſetzeswerk eines roͤmi-
ſchen Kaiſers und zwar eines Vorgaͤngers im deutſchen Reich
anzuſehen, durch welche Auffaſſung freilich die unmittelbare
Geltung des roͤmiſchen Rechts nicht allein, und nicht einmal
vorzugsweiſe herbeigefuͤhrt worden iſt, welche aber doch in Ver-
bindung mit dem Einfluß der Kirche und bei der allgemeinen
Verbreitung von Rechtsbuͤchern, zu denen auch das Corpus
Juris gerechnet werden konnte, weſentlich darauf eingewirkt
hat, namentlich inſofern Kaiſer und Reich dabei betheiligt wa-
ren. Wir wiſſen ja aber auch ſchon, daß einzelne Lehren des
roͤmiſchen Rechts bereits in weltlichen Sachen Anwendung ge-
funden hatten, was denn zur Folge hatte, daß fuͤr deren rich-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/46>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.