Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Kapitel.
bildeten, so konnte es freilich nicht anders kommen, als daß
auch die deutsche Kirche dem römisch-canonischen Rechte, wie
es sich in den Decretalen, der Praxis der Gerichtshöfe, na-
mentlich der Rota romana, und den Schriften der Decretisten
entwickelte, unterworfen ward. Aber auf die Rechtsverhält-
nisse der Layen hatte das ursprünglich keinen unmittelbaren
Einfluß; nur die rein geistlichen Sachen, z. B. die Ehever-
bote wegen Verwandschaft, wurden allgemein davon berührt.
Sonst galt noch im 13. Jahrhundert der Grundsatz, welcher
gerade im Gegensatz zu einem Gesetze Innocenz III. in den
späteren Recensionen des Sachsenspiegels ausgesprochen ist:
"Wende de paves ne mach nen recht setten, dar he unse
lantrecht oder lenrecht mede erger."

Indessen konnte es doch nicht fehlen, daß der große Ein-
fluß der Geistlichkeit ihrem Standesrechte eine gewisse, wenn
auch anfangs sehr beschränkte Einwirkung auf das Recht der
Layen bereitete, sey es nun, daß ein solches Uebergreifen im
besonderen Interesse der Geistlichkeit unmittelbar von ihr er-
strebt ward, oder daß die Anerkennung gewisser Grundsätze
für sie auch wiederum die Geltung derselben für die Layen
zur Folge hatte. Aus dem ersteren Grunde erklärt sich die
frühe Verbreitung der dem römischen Recht nachgebildeten letzt-
willigen Verfügungen, weil dadurch die den Geistlichen so
wichtigen Seelgeräthe auf dem Todtenbette möglich wurden,
und sich zugleich für das in den Städten vorherrschende Mo-
biliarvermögen eine bequeme Form der Zuwendung darbot.
Zu den Rechtsinstituten der anderen Art, welche man dem
geistlichen Recht nachbildete, ist die Verjährung zu rechnen,
welche auch, da das Princip der rechten Gewere nur eine be-

Erſtes Kapitel.
bildeten, ſo konnte es freilich nicht anders kommen, als daß
auch die deutſche Kirche dem roͤmiſch-canoniſchen Rechte, wie
es ſich in den Decretalen, der Praxis der Gerichtshoͤfe, na-
mentlich der Rota romana, und den Schriften der Decretiſten
entwickelte, unterworfen ward. Aber auf die Rechtsverhaͤlt-
niſſe der Layen hatte das urſpruͤnglich keinen unmittelbaren
Einfluß; nur die rein geiſtlichen Sachen, z. B. die Ehever-
bote wegen Verwandſchaft, wurden allgemein davon beruͤhrt.
Sonſt galt noch im 13. Jahrhundert der Grundſatz, welcher
gerade im Gegenſatz zu einem Geſetze Innocenz III. in den
ſpaͤteren Recenſionen des Sachſenſpiegels ausgeſprochen iſt:
„Wende de paves ne mach nen recht ſetten, dar he unſe
lantrecht oder lenrecht mede erger.“

Indeſſen konnte es doch nicht fehlen, daß der große Ein-
fluß der Geiſtlichkeit ihrem Standesrechte eine gewiſſe, wenn
auch anfangs ſehr beſchraͤnkte Einwirkung auf das Recht der
Layen bereitete, ſey es nun, daß ein ſolches Uebergreifen im
beſonderen Intereſſe der Geiſtlichkeit unmittelbar von ihr er-
ſtrebt ward, oder daß die Anerkennung gewiſſer Grundſaͤtze
fuͤr ſie auch wiederum die Geltung derſelben fuͤr die Layen
zur Folge hatte. Aus dem erſteren Grunde erklaͤrt ſich die
fruͤhe Verbreitung der dem roͤmiſchen Recht nachgebildeten letzt-
willigen Verfuͤgungen, weil dadurch die den Geiſtlichen ſo
wichtigen Seelgeraͤthe auf dem Todtenbette moͤglich wurden,
und ſich zugleich fuͤr das in den Staͤdten vorherrſchende Mo-
biliarvermoͤgen eine bequeme Form der Zuwendung darbot.
Zu den Rechtsinſtituten der anderen Art, welche man dem
geiſtlichen Recht nachbildete, iſt die Verjaͤhrung zu rechnen,
welche auch, da das Princip der rechten Gewere nur eine be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0042" n="30"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;tes Kapitel</hi>.</fw><lb/>
bildeten, &#x017F;o konnte es freilich nicht anders kommen, als daß<lb/>
auch die deut&#x017F;che Kirche dem ro&#x0364;mi&#x017F;ch-canoni&#x017F;chen Rechte, wie<lb/>
es &#x017F;ich in den Decretalen, der Praxis der Gerichtsho&#x0364;fe, na-<lb/>
mentlich der <hi rendition="#aq">Rota romana,</hi> und den Schriften der Decreti&#x017F;ten<lb/>
entwickelte, unterworfen ward. Aber auf die Rechtsverha&#x0364;lt-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e der Layen hatte das ur&#x017F;pru&#x0364;nglich keinen unmittelbaren<lb/>
Einfluß; nur die rein gei&#x017F;tlichen Sachen, z. B. die Ehever-<lb/>
bote wegen Verwand&#x017F;chaft, wurden allgemein davon beru&#x0364;hrt.<lb/>
Son&#x017F;t galt noch im 13. Jahrhundert der Grund&#x017F;atz, welcher<lb/>
gerade im Gegen&#x017F;atz zu einem Ge&#x017F;etze Innocenz <hi rendition="#aq">III.</hi> in den<lb/>
&#x017F;pa&#x0364;teren Recen&#x017F;ionen des Sach&#x017F;en&#x017F;piegels ausge&#x017F;prochen i&#x017F;t:<lb/><hi rendition="#et">&#x201E;Wende de paves ne mach nen recht &#x017F;etten, dar he un&#x017F;e<lb/>
lantrecht oder lenrecht mede erger.&#x201C;</hi></p><lb/>
          <p>Inde&#x017F;&#x017F;en konnte es doch nicht fehlen, daß der große Ein-<lb/>
fluß der Gei&#x017F;tlichkeit ihrem Standesrechte eine gewi&#x017F;&#x017F;e, wenn<lb/>
auch anfangs &#x017F;ehr be&#x017F;chra&#x0364;nkte Einwirkung auf das Recht der<lb/>
Layen bereitete, &#x017F;ey es nun, daß ein &#x017F;olches Uebergreifen im<lb/>
be&#x017F;onderen Intere&#x017F;&#x017F;e der Gei&#x017F;tlichkeit unmittelbar von ihr er-<lb/>
&#x017F;trebt ward, oder daß die Anerkennung gewi&#x017F;&#x017F;er Grund&#x017F;a&#x0364;tze<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ie auch wiederum die Geltung der&#x017F;elben fu&#x0364;r die Layen<lb/>
zur Folge hatte. Aus dem er&#x017F;teren Grunde erkla&#x0364;rt &#x017F;ich die<lb/>
fru&#x0364;he Verbreitung der dem ro&#x0364;mi&#x017F;chen Recht nachgebildeten letzt-<lb/>
willigen Verfu&#x0364;gungen, weil dadurch die den Gei&#x017F;tlichen &#x017F;o<lb/>
wichtigen Seelgera&#x0364;the auf dem Todtenbette mo&#x0364;glich wurden,<lb/>
und &#x017F;ich zugleich fu&#x0364;r das in den Sta&#x0364;dten vorherr&#x017F;chende Mo-<lb/>
biliarvermo&#x0364;gen eine bequeme Form der Zuwendung darbot.<lb/>
Zu den Rechtsin&#x017F;tituten der anderen Art, welche man dem<lb/>
gei&#x017F;tlichen Recht nachbildete, i&#x017F;t die Verja&#x0364;hrung zu rechnen,<lb/>
welche auch, da das Princip der rechten Gewere nur eine be-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0042] Erſtes Kapitel. bildeten, ſo konnte es freilich nicht anders kommen, als daß auch die deutſche Kirche dem roͤmiſch-canoniſchen Rechte, wie es ſich in den Decretalen, der Praxis der Gerichtshoͤfe, na- mentlich der Rota romana, und den Schriften der Decretiſten entwickelte, unterworfen ward. Aber auf die Rechtsverhaͤlt- niſſe der Layen hatte das urſpruͤnglich keinen unmittelbaren Einfluß; nur die rein geiſtlichen Sachen, z. B. die Ehever- bote wegen Verwandſchaft, wurden allgemein davon beruͤhrt. Sonſt galt noch im 13. Jahrhundert der Grundſatz, welcher gerade im Gegenſatz zu einem Geſetze Innocenz III. in den ſpaͤteren Recenſionen des Sachſenſpiegels ausgeſprochen iſt: „Wende de paves ne mach nen recht ſetten, dar he unſe lantrecht oder lenrecht mede erger.“ Indeſſen konnte es doch nicht fehlen, daß der große Ein- fluß der Geiſtlichkeit ihrem Standesrechte eine gewiſſe, wenn auch anfangs ſehr beſchraͤnkte Einwirkung auf das Recht der Layen bereitete, ſey es nun, daß ein ſolches Uebergreifen im beſonderen Intereſſe der Geiſtlichkeit unmittelbar von ihr er- ſtrebt ward, oder daß die Anerkennung gewiſſer Grundſaͤtze fuͤr ſie auch wiederum die Geltung derſelben fuͤr die Layen zur Folge hatte. Aus dem erſteren Grunde erklaͤrt ſich die fruͤhe Verbreitung der dem roͤmiſchen Recht nachgebildeten letzt- willigen Verfuͤgungen, weil dadurch die den Geiſtlichen ſo wichtigen Seelgeraͤthe auf dem Todtenbette moͤglich wurden, und ſich zugleich fuͤr das in den Staͤdten vorherrſchende Mo- biliarvermoͤgen eine bequeme Form der Zuwendung darbot. Zu den Rechtsinſtituten der anderen Art, welche man dem geiſtlichen Recht nachbildete, iſt die Verjaͤhrung zu rechnen, welche auch, da das Princip der rechten Gewere nur eine be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/42
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/42>, abgerufen am 21.11.2024.