Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Zwölftes Kapitel. Werth des Juristenrechts.
wie der Jurist schon in den Ständeversammlungen neben den
anderen Geschäftsmännern sitzend, die Gesetze einer gemein-
schaftlichen Berathung und Beschlußnahme unterzieht, so muß
er auch bereit seyn, die Stimme des schlichten Rechtsgefühls
und der Erfahrung in den Gerichten gelten zu lassen, und
nicht bloß sein angeschultes Wissen, sondern auch die in den
Lebensverhältnissen ruhende Norm zur Anwendung zu bringen.
Freilich ist es kein geringes Verlangen, welches an einen gan-
zen Stand gestellt wird, auf die ausschließliche Macht einer
hergebrachten Herrschaft zu verzichten, und sich mit dem Ein-
fluß zu begnügen, welchen die größere Kunde und Tüchtigkeit
nach dem Maaße ihres inneren Werthes ertheilen; auch mag
für engherzige und selbstsüchtige Seelen ein solches Opfer un-
erschwinglich erscheinen. Aber die Pflicht des guten Bürgers,
die wahre Würde der Wissenschaft und des eigenen Standes
erheischen es, und wenn nicht alle Zeichen trügen, so gebietet es
auch die Klugheit. Denn einer tiefen, nationalen Bewegung,
welche auf eine mehr naturgemäße und volksthümliche Gestal-
tung unseres Rechtswesens hindrängt, werden sich die Vertre-
ter einer dem Leben entfremdeten, wissenschaftlich überwundenen
Lehre ohne Aussicht auf dauernden Erfolg widersetzen.



Zwoͤlftes Kapitel. Werth des Juriſtenrechts.
wie der Juriſt ſchon in den Staͤndeverſammlungen neben den
anderen Geſchaͤftsmaͤnnern ſitzend, die Geſetze einer gemein-
ſchaftlichen Berathung und Beſchlußnahme unterzieht, ſo muß
er auch bereit ſeyn, die Stimme des ſchlichten Rechtsgefuͤhls
und der Erfahrung in den Gerichten gelten zu laſſen, und
nicht bloß ſein angeſchultes Wiſſen, ſondern auch die in den
Lebensverhaͤltniſſen ruhende Norm zur Anwendung zu bringen.
Freilich iſt es kein geringes Verlangen, welches an einen gan-
zen Stand geſtellt wird, auf die ausſchließliche Macht einer
hergebrachten Herrſchaft zu verzichten, und ſich mit dem Ein-
fluß zu begnuͤgen, welchen die groͤßere Kunde und Tuͤchtigkeit
nach dem Maaße ihres inneren Werthes ertheilen; auch mag
fuͤr engherzige und ſelbſtſuͤchtige Seelen ein ſolches Opfer un-
erſchwinglich erſcheinen. Aber die Pflicht des guten Buͤrgers,
die wahre Wuͤrde der Wiſſenſchaft und des eigenen Standes
erheiſchen es, und wenn nicht alle Zeichen truͤgen, ſo gebietet es
auch die Klugheit. Denn einer tiefen, nationalen Bewegung,
welche auf eine mehr naturgemaͤße und volksthuͤmliche Geſtal-
tung unſeres Rechtsweſens hindraͤngt, werden ſich die Vertre-
ter einer dem Leben entfremdeten, wiſſenſchaftlich uͤberwundenen
Lehre ohne Ausſicht auf dauernden Erfolg widerſetzen.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0376" n="364"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zwo&#x0364;lftes Kapitel. Werth des Juri&#x017F;tenrechts</hi>.</fw><lb/>
wie der Juri&#x017F;t &#x017F;chon in den Sta&#x0364;ndever&#x017F;ammlungen neben den<lb/>
anderen Ge&#x017F;cha&#x0364;ftsma&#x0364;nnern &#x017F;itzend, die Ge&#x017F;etze einer gemein-<lb/>
&#x017F;chaftlichen Berathung und Be&#x017F;chlußnahme unterzieht, &#x017F;o muß<lb/>
er auch bereit &#x017F;eyn, die Stimme des &#x017F;chlichten Rechtsgefu&#x0364;hls<lb/>
und der Erfahrung in den Gerichten gelten zu la&#x017F;&#x017F;en, und<lb/>
nicht bloß &#x017F;ein ange&#x017F;chultes Wi&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern auch die in den<lb/>
Lebensverha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en ruhende Norm zur Anwendung zu bringen.<lb/>
Freilich i&#x017F;t es kein geringes Verlangen, welches an einen gan-<lb/>
zen Stand ge&#x017F;tellt wird, auf die aus&#x017F;chließliche Macht einer<lb/>
hergebrachten Herr&#x017F;chaft zu verzichten, und &#x017F;ich mit dem Ein-<lb/>
fluß zu begnu&#x0364;gen, welchen die gro&#x0364;ßere Kunde und Tu&#x0364;chtigkeit<lb/>
nach dem Maaße ihres inneren Werthes ertheilen; auch mag<lb/>
fu&#x0364;r engherzige und &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;u&#x0364;chtige Seelen ein &#x017F;olches Opfer un-<lb/>
er&#x017F;chwinglich er&#x017F;cheinen. Aber die Pflicht des guten Bu&#x0364;rgers,<lb/>
die wahre Wu&#x0364;rde der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft und des eigenen Standes<lb/>
erhei&#x017F;chen es, und wenn nicht alle Zeichen tru&#x0364;gen, &#x017F;o gebietet es<lb/>
auch die Klugheit. Denn einer tiefen, nationalen Bewegung,<lb/>
welche auf eine mehr naturgema&#x0364;ße und volksthu&#x0364;mliche Ge&#x017F;tal-<lb/>
tung un&#x017F;eres Rechtswe&#x017F;ens hindra&#x0364;ngt, werden &#x017F;ich die Vertre-<lb/>
ter einer dem Leben entfremdeten, wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich u&#x0364;berwundenen<lb/>
Lehre ohne Aus&#x017F;icht auf dauernden Erfolg wider&#x017F;etzen.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[364/0376] Zwoͤlftes Kapitel. Werth des Juriſtenrechts. wie der Juriſt ſchon in den Staͤndeverſammlungen neben den anderen Geſchaͤftsmaͤnnern ſitzend, die Geſetze einer gemein- ſchaftlichen Berathung und Beſchlußnahme unterzieht, ſo muß er auch bereit ſeyn, die Stimme des ſchlichten Rechtsgefuͤhls und der Erfahrung in den Gerichten gelten zu laſſen, und nicht bloß ſein angeſchultes Wiſſen, ſondern auch die in den Lebensverhaͤltniſſen ruhende Norm zur Anwendung zu bringen. Freilich iſt es kein geringes Verlangen, welches an einen gan- zen Stand geſtellt wird, auf die ausſchließliche Macht einer hergebrachten Herrſchaft zu verzichten, und ſich mit dem Ein- fluß zu begnuͤgen, welchen die groͤßere Kunde und Tuͤchtigkeit nach dem Maaße ihres inneren Werthes ertheilen; auch mag fuͤr engherzige und ſelbſtſuͤchtige Seelen ein ſolches Opfer un- erſchwinglich erſcheinen. Aber die Pflicht des guten Buͤrgers, die wahre Wuͤrde der Wiſſenſchaft und des eigenen Standes erheiſchen es, und wenn nicht alle Zeichen truͤgen, ſo gebietet es auch die Klugheit. Denn einer tiefen, nationalen Bewegung, welche auf eine mehr naturgemaͤße und volksthuͤmliche Geſtal- tung unſeres Rechtsweſens hindraͤngt, werden ſich die Vertre- ter einer dem Leben entfremdeten, wiſſenſchaftlich uͤberwundenen Lehre ohne Ausſicht auf dauernden Erfolg widerſetzen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/376
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/376>, abgerufen am 23.11.2024.