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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Zwölftes Kapitel.

Also in einer bestimmten Zeit, unter besonderen Verhält-
nissen hat in Rom der Juristenstand Großes geleistet, und ist
für das Privatrecht (denn nur für dieses war noch einiger-
maaßen eine freie Rechtsbildung möglich) ein Organ des Volks-
rechts geworden. Aber wie viele Umstände mußten zusammen
kommen, um ein solches Resultat herbeizuführen! und wie
beschränkt war doch auch in mancher Hinsicht diese im Allge-
meinen freilich so großartige Wirksamkeit der Juristen, selbst
auf dem Gebiete des Privatrechts! Haben sie es doch, um
vom Einzelnen zu schweigen, nicht einmal vermocht, jenen
Dualismus, der nur durch äußere Umstände hervorgerufen,
störend durch das spätere römische Rechtssystem hindurch geht,
ich meine die Scheidung in jus civile und honorarium, zu
beseitigen, -- eine Aufgabe, welche allein von der gesetzgeben-
den Gewalt vollständig hätte gelöst werden können, zu der
aber freilich die spätere Kaiserzeit nicht mehr befähigt war. --
Jedenfalls aber, das muß jedem Unbefangenen einleuchten, kann
jene eigenthümliche Stellung der classischen römischen Juristen
nicht benutzt werden, um darauf eine allgemeine Ansicht von
der Bedeutung des Standes für die Rechtsbildung zu begrün-
den, und sie auch für die deutschen Verhältnisse geltend zu
machen. Diese wollen aus sich selbst verstanden und gewür-
digt werden. Lassen wir aber einmal die Gegensätze der anti-
ken und modernen Welt, von Rom und Deutschland bei
Seite, und heben nur ein anderes Moment desto bestimmter
hervor. Die römischen Juristen hatten ein nationales Recht
zu behandeln und auszubilden, zwar für die freie Bevölkerung
des ganzen Reichs, welche jeder bestimmten Volksthümlichkeit
entbehrte, und sich gewissermaaßen nur im jus gentium ver-
treten sah; aber sie selbst hatten doch ein sicheres Bewußtseyn

Zwoͤlftes Kapitel.

Alſo in einer beſtimmten Zeit, unter beſonderen Verhaͤlt-
niſſen hat in Rom der Juriſtenſtand Großes geleiſtet, und iſt
fuͤr das Privatrecht (denn nur fuͤr dieſes war noch einiger-
maaßen eine freie Rechtsbildung moͤglich) ein Organ des Volks-
rechts geworden. Aber wie viele Umſtaͤnde mußten zuſammen
kommen, um ein ſolches Reſultat herbeizufuͤhren! und wie
beſchraͤnkt war doch auch in mancher Hinſicht dieſe im Allge-
meinen freilich ſo großartige Wirkſamkeit der Juriſten, ſelbſt
auf dem Gebiete des Privatrechts! Haben ſie es doch, um
vom Einzelnen zu ſchweigen, nicht einmal vermocht, jenen
Dualismus, der nur durch aͤußere Umſtaͤnde hervorgerufen,
ſtoͤrend durch das ſpaͤtere roͤmiſche Rechtsſyſtem hindurch geht,
ich meine die Scheidung in jus civile und honorarium, zu
beſeitigen, — eine Aufgabe, welche allein von der geſetzgeben-
den Gewalt vollſtaͤndig haͤtte geloͤſt werden koͤnnen, zu der
aber freilich die ſpaͤtere Kaiſerzeit nicht mehr befaͤhigt war. —
Jedenfalls aber, das muß jedem Unbefangenen einleuchten, kann
jene eigenthuͤmliche Stellung der claſſiſchen roͤmiſchen Juriſten
nicht benutzt werden, um darauf eine allgemeine Anſicht von
der Bedeutung des Standes fuͤr die Rechtsbildung zu begruͤn-
den, und ſie auch fuͤr die deutſchen Verhaͤltniſſe geltend zu
machen. Dieſe wollen aus ſich ſelbſt verſtanden und gewuͤr-
digt werden. Laſſen wir aber einmal die Gegenſaͤtze der anti-
ken und modernen Welt, von Rom und Deutſchland bei
Seite, und heben nur ein anderes Moment deſto beſtimmter
hervor. Die roͤmiſchen Juriſten hatten ein nationales Recht
zu behandeln und auszubilden, zwar fuͤr die freie Bevoͤlkerung
des ganzen Reichs, welche jeder beſtimmten Volksthuͤmlichkeit
entbehrte, und ſich gewiſſermaaßen nur im jus gentium ver-
treten ſah; aber ſie ſelbſt hatten doch ein ſicheres Bewußtſeyn

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[350/0362] Zwoͤlftes Kapitel. Alſo in einer beſtimmten Zeit, unter beſonderen Verhaͤlt- niſſen hat in Rom der Juriſtenſtand Großes geleiſtet, und iſt fuͤr das Privatrecht (denn nur fuͤr dieſes war noch einiger- maaßen eine freie Rechtsbildung moͤglich) ein Organ des Volks- rechts geworden. Aber wie viele Umſtaͤnde mußten zuſammen kommen, um ein ſolches Reſultat herbeizufuͤhren! und wie beſchraͤnkt war doch auch in mancher Hinſicht dieſe im Allge- meinen freilich ſo großartige Wirkſamkeit der Juriſten, ſelbſt auf dem Gebiete des Privatrechts! Haben ſie es doch, um vom Einzelnen zu ſchweigen, nicht einmal vermocht, jenen Dualismus, der nur durch aͤußere Umſtaͤnde hervorgerufen, ſtoͤrend durch das ſpaͤtere roͤmiſche Rechtsſyſtem hindurch geht, ich meine die Scheidung in jus civile und honorarium, zu beſeitigen, — eine Aufgabe, welche allein von der geſetzgeben- den Gewalt vollſtaͤndig haͤtte geloͤſt werden koͤnnen, zu der aber freilich die ſpaͤtere Kaiſerzeit nicht mehr befaͤhigt war. — Jedenfalls aber, das muß jedem Unbefangenen einleuchten, kann jene eigenthuͤmliche Stellung der claſſiſchen roͤmiſchen Juriſten nicht benutzt werden, um darauf eine allgemeine Anſicht von der Bedeutung des Standes fuͤr die Rechtsbildung zu begruͤn- den, und ſie auch fuͤr die deutſchen Verhaͤltniſſe geltend zu machen. Dieſe wollen aus ſich ſelbſt verſtanden und gewuͤr- digt werden. Laſſen wir aber einmal die Gegenſaͤtze der anti- ken und modernen Welt, von Rom und Deutſchland bei Seite, und heben nur ein anderes Moment deſto beſtimmter hervor. Die roͤmiſchen Juriſten hatten ein nationales Recht zu behandeln und auszubilden, zwar fuͤr die freie Bevoͤlkerung des ganzen Reichs, welche jeder beſtimmten Volksthuͤmlichkeit entbehrte, und ſich gewiſſermaaßen nur im jus gentium ver- treten ſah; aber ſie ſelbſt hatten doch ein ſicheres Bewußtſeyn

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/362>, abgerufen am 25.11.2024.