Heinrich VII. mit seiner deutschen kaiserlichen Gesinnung, zie- hen nach kurzem Glanze spurlos vorüber; das deutsche Reich hört auf, der Mittelpunct der deutschen Geschichte zu seyn, und die einzelnen Theile treten in selbständiger Bedeutung an die Stelle des Ganzen.
Hier sind nun zunächst die vornehmen Geschlechter zu erwähnen, welche durch Geburt und Macht unter den Ge- meinfreien hervorragend, auf die Angelegenheiten des Reichs den entschiedensten Einfluß gewannen, und demselben gegen- über eine selbständige Territorialgewalt begründeten. Sie zo- gen vor Allem Vortheil aus dem Sturz der großen Stam- mesherzogthümer, welche noch eine Art Vermittlung zwischen dem Kaiser und den Reichsangehörigen gebildet hatten; die großen Reichsämter, und namentlich die Grafschaft, welche sie, nachdem die Bischöfe dem Sonderinteresse der Kirche aus- schließlich gewonnen waren, fast ohne Ausnahme verwalteten, wurden der eigentliche Kern für ihre politische Berechtigung. Denn indem dieselben nach den Grundsätzen des Lehenrechts verliehen wurden, verwandelten sie sich in einen erblichen Be- sitz, und erhielten den Charakter einer selbständigen Gewalt, welche auf Kosten des Reichs immer mehr erweitert ward, so daß die meisten Gemeinfreien in die Pflege der Landesherrn ka- men, und die letzteren schon wichtige Regalien im eigenen Na- men ausüben konnten. An diese öffentliche Gewalt setzte sich nun Alles an, was zur weiteren Ausbildung der Hausmacht dienen konnte: lehensherrliche und voigteiherrliche Rechte und dazu die großen Grundherrschaften, welche in dem echten Ei- genthume ihrer Inhaber waren. Allein diese verschiedenen Rechte bestanden doch ursprünglich nur neben einander, und gaben den weltlichen Großen (denn bei den geistlichen verhielt
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Hiſtoriſche Einleitung.
Heinrich VII. mit ſeiner deutſchen kaiſerlichen Geſinnung, zie- hen nach kurzem Glanze ſpurlos voruͤber; das deutſche Reich hoͤrt auf, der Mittelpunct der deutſchen Geſchichte zu ſeyn, und die einzelnen Theile treten in ſelbſtaͤndiger Bedeutung an die Stelle des Ganzen.
Hier ſind nun zunaͤchſt die vornehmen Geſchlechter zu erwaͤhnen, welche durch Geburt und Macht unter den Ge- meinfreien hervorragend, auf die Angelegenheiten des Reichs den entſchiedenſten Einfluß gewannen, und demſelben gegen- uͤber eine ſelbſtaͤndige Territorialgewalt begruͤndeten. Sie zo- gen vor Allem Vortheil aus dem Sturz der großen Stam- mesherzogthuͤmer, welche noch eine Art Vermittlung zwiſchen dem Kaiſer und den Reichsangehoͤrigen gebildet hatten; die großen Reichsaͤmter, und namentlich die Grafſchaft, welche ſie, nachdem die Biſchoͤfe dem Sonderintereſſe der Kirche aus- ſchließlich gewonnen waren, faſt ohne Ausnahme verwalteten, wurden der eigentliche Kern fuͤr ihre politiſche Berechtigung. Denn indem dieſelben nach den Grundſaͤtzen des Lehenrechts verliehen wurden, verwandelten ſie ſich in einen erblichen Be- ſitz, und erhielten den Charakter einer ſelbſtaͤndigen Gewalt, welche auf Koſten des Reichs immer mehr erweitert ward, ſo daß die meiſten Gemeinfreien in die Pflege der Landesherrn ka- men, und die letzteren ſchon wichtige Regalien im eigenen Na- men ausuͤben konnten. An dieſe oͤffentliche Gewalt ſetzte ſich nun Alles an, was zur weiteren Ausbildung der Hausmacht dienen konnte: lehensherrliche und voigteiherrliche Rechte und dazu die großen Grundherrſchaften, welche in dem echten Ei- genthume ihrer Inhaber waren. Allein dieſe verſchiedenen Rechte beſtanden doch urſpruͤnglich nur neben einander, und gaben den weltlichen Großen (denn bei den geiſtlichen verhielt
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Hiſtoriſche Einleitung.
Heinrich VII. mit ſeiner deutſchen kaiſerlichen Geſinnung, zie-
hen nach kurzem Glanze ſpurlos voruͤber; das deutſche Reich
hoͤrt auf, der Mittelpunct der deutſchen Geſchichte zu ſeyn, und
die einzelnen Theile treten in ſelbſtaͤndiger Bedeutung an die
Stelle des Ganzen.
Hier ſind nun zunaͤchſt die vornehmen Geſchlechter zu
erwaͤhnen, welche durch Geburt und Macht unter den Ge-
meinfreien hervorragend, auf die Angelegenheiten des Reichs
den entſchiedenſten Einfluß gewannen, und demſelben gegen-
uͤber eine ſelbſtaͤndige Territorialgewalt begruͤndeten. Sie zo-
gen vor Allem Vortheil aus dem Sturz der großen Stam-
mesherzogthuͤmer, welche noch eine Art Vermittlung zwiſchen
dem Kaiſer und den Reichsangehoͤrigen gebildet hatten; die
großen Reichsaͤmter, und namentlich die Grafſchaft, welche ſie,
nachdem die Biſchoͤfe dem Sonderintereſſe der Kirche aus-
ſchließlich gewonnen waren, faſt ohne Ausnahme verwalteten,
wurden der eigentliche Kern fuͤr ihre politiſche Berechtigung.
Denn indem dieſelben nach den Grundſaͤtzen des Lehenrechts
verliehen wurden, verwandelten ſie ſich in einen erblichen Be-
ſitz, und erhielten den Charakter einer ſelbſtaͤndigen Gewalt,
welche auf Koſten des Reichs immer mehr erweitert ward, ſo daß
die meiſten Gemeinfreien in die Pflege der Landesherrn ka-
men, und die letzteren ſchon wichtige Regalien im eigenen Na-
men ausuͤben konnten. An dieſe oͤffentliche Gewalt ſetzte ſich
nun Alles an, was zur weiteren Ausbildung der Hausmacht
dienen konnte: lehensherrliche und voigteiherrliche Rechte und
dazu die großen Grundherrſchaften, welche in dem echten Ei-
genthume ihrer Inhaber waren. Allein dieſe verſchiedenen
Rechte beſtanden doch urſpruͤnglich nur neben einander, und
gaben den weltlichen Großen (denn bei den geiſtlichen verhielt
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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/31>, abgerufen am 16.02.2025.
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