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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Neuntes Kapitel.
vor, dessen Zweck freilich meistens die Einholung einer Rechts-
belehrung war, ohne daß die Verhandlungen der ersten In-
stanz wiederholt zu werden brauchten; auch das französische
Recht läßt ja unbedingt eine Cassation der gesprochenen Ur-
theile wegen Nullität zu, und gewährt in allen Fällen, wo
die Gerichte ohne Zuziehung von Geschwornen geurtheilt ha-
ben, einen regelmäßigen Instanzenzug. Diese Unterscheidung
aber scheint da, wo das Schöffenthum consequent durchgeführt
worden, nicht begründet, so wie sie ja auch von selbst weg-
fiele, wenn die Geschwornen stets zur Entscheidung herbeige-
zogen würden; es wird daher die Frage, in wiefern Rechts-
mittel mit dem öffentlichen Verfahren zu vereinigen sind, bei
einer ganz gleichmäßigen Einrichtung der Gerichtsverfassung
nach andern, in der Natur der Sache liegenden Momenten zu
bestimmen seyn. Dabei kommt es denn namentlich darauf an,
ob der Spruch einer höheren Instanz möglich wird ohne die
Wiederholung der ganzen vorhergegangenen Verhandlung, oder
ob die Grundlage, worauf das erste Urtheil erwachsen ist, für
das spätere nicht maaßgebend seyn kann. Das führt aber
darauf, zwischen Civil- und Criminalsachen zu unterscheiden.
In jenen, wo nach der Verhandlungsmaxime das Princip des
Verzichtes von Einfluß ist, und der einmal festgestellte That-
bestand nicht einseitig verändert werden kann, wird es in der
Regel möglich seyn, die relevanten Thatsachen und namentlich
auch das Resultat der Beweisführung in den Schriftsätzen der
Parteien, so weit diese zulässig sind, und im Gerichtsprotokoll
zu fixiren. Auf diese Grundlage wird sich in Verbindung
mit den Entscheidungsgründen der unteren Instanz eine neue
mündliche Verhandlung vor dem höheren Gerichte einleiten
lassen, ohne daß die Wiederholung des früheren Verfahrens

Neuntes Kapitel.
vor, deſſen Zweck freilich meiſtens die Einholung einer Rechts-
belehrung war, ohne daß die Verhandlungen der erſten In-
ſtanz wiederholt zu werden brauchten; auch das franzoͤſiſche
Recht laͤßt ja unbedingt eine Caſſation der geſprochenen Ur-
theile wegen Nullitaͤt zu, und gewaͤhrt in allen Faͤllen, wo
die Gerichte ohne Zuziehung von Geſchwornen geurtheilt ha-
ben, einen regelmaͤßigen Inſtanzenzug. Dieſe Unterſcheidung
aber ſcheint da, wo das Schoͤffenthum conſequent durchgefuͤhrt
worden, nicht begruͤndet, ſo wie ſie ja auch von ſelbſt weg-
fiele, wenn die Geſchwornen ſtets zur Entſcheidung herbeige-
zogen wuͤrden; es wird daher die Frage, in wiefern Rechts-
mittel mit dem oͤffentlichen Verfahren zu vereinigen ſind, bei
einer ganz gleichmaͤßigen Einrichtung der Gerichtsverfaſſung
nach andern, in der Natur der Sache liegenden Momenten zu
beſtimmen ſeyn. Dabei kommt es denn namentlich darauf an,
ob der Spruch einer hoͤheren Inſtanz moͤglich wird ohne die
Wiederholung der ganzen vorhergegangenen Verhandlung, oder
ob die Grundlage, worauf das erſte Urtheil erwachſen iſt, fuͤr
das ſpaͤtere nicht maaßgebend ſeyn kann. Das fuͤhrt aber
darauf, zwiſchen Civil- und Criminalſachen zu unterſcheiden.
In jenen, wo nach der Verhandlungsmaxime das Princip des
Verzichtes von Einfluß iſt, und der einmal feſtgeſtellte That-
beſtand nicht einſeitig veraͤndert werden kann, wird es in der
Regel moͤglich ſeyn, die relevanten Thatſachen und namentlich
auch das Reſultat der Beweisfuͤhrung in den Schriftſaͤtzen der
Parteien, ſo weit dieſe zulaͤſſig ſind, und im Gerichtsprotokoll
zu fixiren. Auf dieſe Grundlage wird ſich in Verbindung
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muͤndliche Verhandlung vor dem hoͤheren Gerichte einleiten
laſſen, ohne daß die Wiederholung des fruͤheren Verfahrens

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[292/0304] Neuntes Kapitel. vor, deſſen Zweck freilich meiſtens die Einholung einer Rechts- belehrung war, ohne daß die Verhandlungen der erſten In- ſtanz wiederholt zu werden brauchten; auch das franzoͤſiſche Recht laͤßt ja unbedingt eine Caſſation der geſprochenen Ur- theile wegen Nullitaͤt zu, und gewaͤhrt in allen Faͤllen, wo die Gerichte ohne Zuziehung von Geſchwornen geurtheilt ha- ben, einen regelmaͤßigen Inſtanzenzug. Dieſe Unterſcheidung aber ſcheint da, wo das Schoͤffenthum conſequent durchgefuͤhrt worden, nicht begruͤndet, ſo wie ſie ja auch von ſelbſt weg- fiele, wenn die Geſchwornen ſtets zur Entſcheidung herbeige- zogen wuͤrden; es wird daher die Frage, in wiefern Rechts- mittel mit dem oͤffentlichen Verfahren zu vereinigen ſind, bei einer ganz gleichmaͤßigen Einrichtung der Gerichtsverfaſſung nach andern, in der Natur der Sache liegenden Momenten zu beſtimmen ſeyn. Dabei kommt es denn namentlich darauf an, ob der Spruch einer hoͤheren Inſtanz moͤglich wird ohne die Wiederholung der ganzen vorhergegangenen Verhandlung, oder ob die Grundlage, worauf das erſte Urtheil erwachſen iſt, fuͤr das ſpaͤtere nicht maaßgebend ſeyn kann. Das fuͤhrt aber darauf, zwiſchen Civil- und Criminalſachen zu unterſcheiden. In jenen, wo nach der Verhandlungsmaxime das Princip des Verzichtes von Einfluß iſt, und der einmal feſtgeſtellte That- beſtand nicht einſeitig veraͤndert werden kann, wird es in der Regel moͤglich ſeyn, die relevanten Thatſachen und namentlich auch das Reſultat der Beweisfuͤhrung in den Schriftſaͤtzen der Parteien, ſo weit dieſe zulaͤſſig ſind, und im Gerichtsprotokoll zu fixiren. Auf dieſe Grundlage wird ſich in Verbindung mit den Entſcheidungsgruͤnden der unteren Inſtanz eine neue muͤndliche Verhandlung vor dem hoͤheren Gerichte einleiten laſſen, ohne daß die Wiederholung des fruͤheren Verfahrens

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/304>, abgerufen am 23.11.2024.