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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Neuntes Kapitel.
zum neuen Glanze aufgeregt werden kann; -- wenn wir
überhaupt noch auf ein freies und nationales Rechts- und
Staatsleben hoffen dürfen: so wird auch ein frischer und
tüchtiger Geist in unsere Gerichtshöfe wieder einziehen, und
statt der Actennoth und elender Geheimnißkrämerei wieder das
offene Wort und die besonnene, aber energische Entschlossen-
heit darin herrschen. Wir müssen aus der Schriftgelehrsamkeit
heraus zur lebendigen That, so wie in allen Beziehungen des
öffentlichen Lebens, so auch namentlich in dem gerichtlichen
Verfahren. Und auch darüber ist kein Zweifel: wenn der Rich-
ter seine Kenntniß der Sache nur aus den Acten heraus lesen
kann, so ist es mit einer volksthümlichen Reform unserer Ge-
richtsverfassung vorbei. Denn es wäre baarer Unsinn, die
Männer aus dem Volke, welche als Schöffen oder Geschworne
fungiren sollen, zu einer solchen Arbeit anhalten zu wollen, bei
der selbst der studirte Jurist, dem sie Lebensberuf ist, so oft
seine geistige Frische und Unbefangenheit zusetzt. Die unmit-
telbare Anschauung der lebendig vor die Sinne gebrachten Mo-
mente, in würdiger Sammlung und mit ernstem Wahrheits-
eifer zur letzten Entscheidung zusammen gefaßt, -- das ist es,
was den Richter in seinem Urtheil bestimmen muß, und was
nie durch die Schrift ersetzt werden kann, wenn sie auch da-
bei als Aushülfe zu gebrauchen ist. -- Fassen wir die Sache
aber nach ihren einzelnen Beziehungen noch etwas näher ins
Auge.

1. Ein wesentlicher Vorzug des öffentlich-mündlichen
Verfahrens besteht darin, daß es eine so wirksame Garantie
für die Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und überhaupt für die
Gewissenhaftigkeit der Gerichte gewährt. Denn in der Oef-
fentlichkeit der Verhandlungen erwächst der Gerechtigkeit eine

Neuntes Kapitel.
zum neuen Glanze aufgeregt werden kann; — wenn wir
uͤberhaupt noch auf ein freies und nationales Rechts- und
Staatsleben hoffen duͤrfen: ſo wird auch ein friſcher und
tuͤchtiger Geiſt in unſere Gerichtshoͤfe wieder einziehen, und
ſtatt der Actennoth und elender Geheimnißkraͤmerei wieder das
offene Wort und die beſonnene, aber energiſche Entſchloſſen-
heit darin herrſchen. Wir muͤſſen aus der Schriftgelehrſamkeit
heraus zur lebendigen That, ſo wie in allen Beziehungen des
oͤffentlichen Lebens, ſo auch namentlich in dem gerichtlichen
Verfahren. Und auch daruͤber iſt kein Zweifel: wenn der Rich-
ter ſeine Kenntniß der Sache nur aus den Acten heraus leſen
kann, ſo iſt es mit einer volksthuͤmlichen Reform unſerer Ge-
richtsverfaſſung vorbei. Denn es waͤre baarer Unſinn, die
Maͤnner aus dem Volke, welche als Schoͤffen oder Geſchworne
fungiren ſollen, zu einer ſolchen Arbeit anhalten zu wollen, bei
der ſelbſt der ſtudirte Juriſt, dem ſie Lebensberuf iſt, ſo oft
ſeine geiſtige Friſche und Unbefangenheit zuſetzt. Die unmit-
telbare Anſchauung der lebendig vor die Sinne gebrachten Mo-
mente, in wuͤrdiger Sammlung und mit ernſtem Wahrheits-
eifer zur letzten Entſcheidung zuſammen gefaßt, — das iſt es,
was den Richter in ſeinem Urtheil beſtimmen muß, und was
nie durch die Schrift erſetzt werden kann, wenn ſie auch da-
bei als Aushuͤlfe zu gebrauchen iſt. — Faſſen wir die Sache
aber nach ihren einzelnen Beziehungen noch etwas naͤher ins
Auge.

1. Ein weſentlicher Vorzug des oͤffentlich-muͤndlichen
Verfahrens beſteht darin, daß es eine ſo wirkſame Garantie
fuͤr die Unabhaͤngigkeit, Unparteilichkeit und uͤberhaupt fuͤr die
Gewiſſenhaftigkeit der Gerichte gewaͤhrt. Denn in der Oef-
fentlichkeit der Verhandlungen erwaͤchſt der Gerechtigkeit eine

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[288/0300] Neuntes Kapitel. zum neuen Glanze aufgeregt werden kann; — wenn wir uͤberhaupt noch auf ein freies und nationales Rechts- und Staatsleben hoffen duͤrfen: ſo wird auch ein friſcher und tuͤchtiger Geiſt in unſere Gerichtshoͤfe wieder einziehen, und ſtatt der Actennoth und elender Geheimnißkraͤmerei wieder das offene Wort und die beſonnene, aber energiſche Entſchloſſen- heit darin herrſchen. Wir muͤſſen aus der Schriftgelehrſamkeit heraus zur lebendigen That, ſo wie in allen Beziehungen des oͤffentlichen Lebens, ſo auch namentlich in dem gerichtlichen Verfahren. Und auch daruͤber iſt kein Zweifel: wenn der Rich- ter ſeine Kenntniß der Sache nur aus den Acten heraus leſen kann, ſo iſt es mit einer volksthuͤmlichen Reform unſerer Ge- richtsverfaſſung vorbei. Denn es waͤre baarer Unſinn, die Maͤnner aus dem Volke, welche als Schoͤffen oder Geſchworne fungiren ſollen, zu einer ſolchen Arbeit anhalten zu wollen, bei der ſelbſt der ſtudirte Juriſt, dem ſie Lebensberuf iſt, ſo oft ſeine geiſtige Friſche und Unbefangenheit zuſetzt. Die unmit- telbare Anſchauung der lebendig vor die Sinne gebrachten Mo- mente, in wuͤrdiger Sammlung und mit ernſtem Wahrheits- eifer zur letzten Entſcheidung zuſammen gefaßt, — das iſt es, was den Richter in ſeinem Urtheil beſtimmen muß, und was nie durch die Schrift erſetzt werden kann, wenn ſie auch da- bei als Aushuͤlfe zu gebrauchen iſt. — Faſſen wir die Sache aber nach ihren einzelnen Beziehungen noch etwas naͤher ins Auge. 1. Ein weſentlicher Vorzug des oͤffentlich-muͤndlichen Verfahrens beſteht darin, daß es eine ſo wirkſame Garantie fuͤr die Unabhaͤngigkeit, Unparteilichkeit und uͤberhaupt fuͤr die Gewiſſenhaftigkeit der Gerichte gewaͤhrt. Denn in der Oef- fentlichkeit der Verhandlungen erwaͤchſt der Gerechtigkeit eine

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/300>, abgerufen am 22.11.2024.