zu empfehlen, so soll damit doch natürlich nicht gesagt seyn, daß nicht die Civil- und Criminalgerichtsbarkeit nach der Com- petenz der Behörden getrennt seyn könnte.
6. Eine solche allgemeine Einführung der Schöffenge- richte mit nicht juristischen Beisitzern würde freilich die Thä- tigkeit des Volks mehr, wie bei der vereinzelten Anwendung der Jury, in Anspruch nehmen, und von den Einzelnen ein nicht geringes Opfer an Zeit und Mühe für das allgemeine Beste erheischen. Das würde namentlich in solchen Bezirken schwer empfunden werden, wo es an einer größeren Anzahl von Personen fehlte, deren bürgerliche Lage ihnen eine gewisse Freiheit von täglich wiederkehrenden Berufsarbeiten und Muße und Neigung für die öffentlichen Geschäfte gestattet. Zwar würde sich, wie in andern gemischten Behörden, Manches durch die juristischen Beisitzer allein abthun lassen; aber in dieser Beziehung wäre doch ein gewisses Maaß zu halten, weil große Vorsicht nöthig, daß dadurch nicht ein entschiedenes Uebergewicht auf Seiten der Juristen sich bilde. Man darf sich in dieser Hinsicht keiner Täuschung überlassen, und muß eine Frage zur bestimmten Entscheidung bringen. Entweder will die Nation von der ausschließlichen Herrschaft der Beam- ten auch in den niederen Kreisen des bürgerlichen Lebens be- freit werden, und selbständigen Antheil an den öffentlichen Ge- schäften nehmen; dann muß sie auch die Opfer nicht scheuen, welche damit nothwendig verbunden sind. Oder sie ist schon so sehr in der Gewöhnung der ewigen Bevormundung verfan- gen, daß sie sich von ihrer Bequemlichkeit, Selbstsucht und Vergnügungssucht nicht losreißen kann, und lieber, als selbst handeln, andere für sich will schalten und walten lassen; dann entsage sie auch den Streben nach wahrhaft politischer Freiheit,
Das Volksrecht und das Gerichtsweſen.
zu empfehlen, ſo ſoll damit doch natuͤrlich nicht geſagt ſeyn, daß nicht die Civil- und Criminalgerichtsbarkeit nach der Com- petenz der Behoͤrden getrennt ſeyn koͤnnte.
6. Eine ſolche allgemeine Einfuͤhrung der Schoͤffenge- richte mit nicht juriſtiſchen Beiſitzern wuͤrde freilich die Thaͤ- tigkeit des Volks mehr, wie bei der vereinzelten Anwendung der Jury, in Anſpruch nehmen, und von den Einzelnen ein nicht geringes Opfer an Zeit und Muͤhe fuͤr das allgemeine Beſte erheiſchen. Das wuͤrde namentlich in ſolchen Bezirken ſchwer empfunden werden, wo es an einer groͤßeren Anzahl von Perſonen fehlte, deren buͤrgerliche Lage ihnen eine gewiſſe Freiheit von taͤglich wiederkehrenden Berufsarbeiten und Muße und Neigung fuͤr die oͤffentlichen Geſchaͤfte geſtattet. Zwar wuͤrde ſich, wie in andern gemiſchten Behoͤrden, Manches durch die juriſtiſchen Beiſitzer allein abthun laſſen; aber in dieſer Beziehung waͤre doch ein gewiſſes Maaß zu halten, weil große Vorſicht noͤthig, daß dadurch nicht ein entſchiedenes Uebergewicht auf Seiten der Juriſten ſich bilde. Man darf ſich in dieſer Hinſicht keiner Taͤuſchung uͤberlaſſen, und muß eine Frage zur beſtimmten Entſcheidung bringen. Entweder will die Nation von der ausſchließlichen Herrſchaft der Beam- ten auch in den niederen Kreiſen des buͤrgerlichen Lebens be- freit werden, und ſelbſtaͤndigen Antheil an den oͤffentlichen Ge- ſchaͤften nehmen; dann muß ſie auch die Opfer nicht ſcheuen, welche damit nothwendig verbunden ſind. Oder ſie iſt ſchon ſo ſehr in der Gewoͤhnung der ewigen Bevormundung verfan- gen, daß ſie ſich von ihrer Bequemlichkeit, Selbſtſucht und Vergnuͤgungsſucht nicht losreißen kann, und lieber, als ſelbſt handeln, andere fuͤr ſich will ſchalten und walten laſſen; dann entſage ſie auch den Streben nach wahrhaft politiſcher Freiheit,
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Das Volksrecht und das Gerichtsweſen.
zu empfehlen, ſo ſoll damit doch natuͤrlich nicht geſagt ſeyn,
daß nicht die Civil- und Criminalgerichtsbarkeit nach der Com-
petenz der Behoͤrden getrennt ſeyn koͤnnte.
6. Eine ſolche allgemeine Einfuͤhrung der Schoͤffenge-
richte mit nicht juriſtiſchen Beiſitzern wuͤrde freilich die Thaͤ-
tigkeit des Volks mehr, wie bei der vereinzelten Anwendung
der Jury, in Anſpruch nehmen, und von den Einzelnen ein
nicht geringes Opfer an Zeit und Muͤhe fuͤr das allgemeine
Beſte erheiſchen. Das wuͤrde namentlich in ſolchen Bezirken
ſchwer empfunden werden, wo es an einer groͤßeren Anzahl
von Perſonen fehlte, deren buͤrgerliche Lage ihnen eine gewiſſe
Freiheit von taͤglich wiederkehrenden Berufsarbeiten und Muße
und Neigung fuͤr die oͤffentlichen Geſchaͤfte geſtattet. Zwar
wuͤrde ſich, wie in andern gemiſchten Behoͤrden, Manches
durch die juriſtiſchen Beiſitzer allein abthun laſſen; aber in
dieſer Beziehung waͤre doch ein gewiſſes Maaß zu halten, weil
große Vorſicht noͤthig, daß dadurch nicht ein entſchiedenes
Uebergewicht auf Seiten der Juriſten ſich bilde. Man darf
ſich in dieſer Hinſicht keiner Taͤuſchung uͤberlaſſen, und muß
eine Frage zur beſtimmten Entſcheidung bringen. Entweder
will die Nation von der ausſchließlichen Herrſchaft der Beam-
ten auch in den niederen Kreiſen des buͤrgerlichen Lebens be-
freit werden, und ſelbſtaͤndigen Antheil an den oͤffentlichen Ge-
ſchaͤften nehmen; dann muß ſie auch die Opfer nicht ſcheuen,
welche damit nothwendig verbunden ſind. Oder ſie iſt ſchon
ſo ſehr in der Gewoͤhnung der ewigen Bevormundung verfan-
gen, daß ſie ſich von ihrer Bequemlichkeit, Selbſtſucht und
Vergnuͤgungsſucht nicht losreißen kann, und lieber, als ſelbſt
handeln, andere fuͤr ſich will ſchalten und walten laſſen; dann
entſage ſie auch den Streben nach wahrhaft politiſcher Freiheit,
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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/291>, abgerufen am 16.07.2024.
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