men werden muß. Das ist auch sehr bestimmt von dem Ver- fasser des sächsischen Landrechts (III. 42.) ausgesprochen wor- den, indem er sagt: "Nu ne latet jük nicht wunderen, dat dit buk so lüttel seget von dienstlüde rechte, went it is so manich valt, dat is nieman to ende komen kan; under jewelkem bi- schope unde abbede unde ebbedischen (Aebtissin) hebben die dienstlüde sunderlik recht, dar umme ne kan ik is nicht besceiden."
Dagegen entwickelte sich mit um so größerer Consequenz und Selbständigkeit neben dem gemeinen Landrecht das be- sondere Standesrecht der Geistlichkeit, nachdem es der römi- schen Curie gelungen war, der Kirche eine unabhängige Stel- lung im Staate zu verschaffen, und die geistlichen Gerichts- höfe, von der immer thätiger werdenden päpstlichen Gesetzge- bung beherrscht, sich eine weite Competenz verschafft hatten, welche sie stets in ihrem Interesse auszudehnen strebten. -- Aehnlich erhoben sich seit dem 11. Jahrhundert die deutschen Städte zu einer selbständigen Bedeutung, und indem sie von dem Gauverbande eximirt, das Landrecht nach ihren besonde- ren Bedürfnissen autonomisch umbildeten, legten sie den Grund zu einer neuen Rechtsentwicklung, welche sich nicht mehr in den Grenzen der alten Freiheit und Unfreiheit bewegte.
Fragt man nun, wie dieß verschiedenartige Recht in sei- nen mannichfaltigen Erscheinungen doch mit Sicherheit hat erkannt und angewandt werden können, so läßt sich dieß aus seiner allgemeinen Beschaffenheit, mit welcher die Gerichtsver- fassung durchaus übereinstimmte, zur Genüge erklären. Denn es war fast ganz ein Volksrecht, aus den Lebensverhältnissen unmittelbar hervorgegangen, und in seinen Grundzügen wie
Erſtes Kapitel.
men werden muß. Das iſt auch ſehr beſtimmt von dem Ver- faſſer des ſaͤchſiſchen Landrechts (III. 42.) ausgeſprochen wor- den, indem er ſagt: „Nu ne latet juͤk nicht wunderen, dat dit buk ſo luͤttel ſeget von dienſtluͤde rechte, went it is ſo manich valt, dat is nieman to ende komen kan; under jewelkem bi- ſchope unde abbede unde ebbediſchen (Aebtiſſin) hebben die dienſtluͤde ſunderlik recht, dar umme ne kan ik is nicht beſceiden.“
Dagegen entwickelte ſich mit um ſo groͤßerer Conſequenz und Selbſtaͤndigkeit neben dem gemeinen Landrecht das be- ſondere Standesrecht der Geiſtlichkeit, nachdem es der roͤmi- ſchen Curie gelungen war, der Kirche eine unabhaͤngige Stel- lung im Staate zu verſchaffen, und die geiſtlichen Gerichts- hoͤfe, von der immer thaͤtiger werdenden paͤpſtlichen Geſetzge- bung beherrſcht, ſich eine weite Competenz verſchafft hatten, welche ſie ſtets in ihrem Intereſſe auszudehnen ſtrebten. — Aehnlich erhoben ſich ſeit dem 11. Jahrhundert die deutſchen Staͤdte zu einer ſelbſtaͤndigen Bedeutung, und indem ſie von dem Gauverbande eximirt, das Landrecht nach ihren beſonde- ren Beduͤrfniſſen autonomiſch umbildeten, legten ſie den Grund zu einer neuen Rechtsentwicklung, welche ſich nicht mehr in den Grenzen der alten Freiheit und Unfreiheit bewegte.
Fragt man nun, wie dieß verſchiedenartige Recht in ſei- nen mannichfaltigen Erſcheinungen doch mit Sicherheit hat erkannt und angewandt werden koͤnnen, ſo laͤßt ſich dieß aus ſeiner allgemeinen Beſchaffenheit, mit welcher die Gerichtsver- faſſung durchaus uͤbereinſtimmte, zur Genuͤge erklaͤren. Denn es war faſt ganz ein Volksrecht, aus den Lebensverhaͤltniſſen unmittelbar hervorgegangen, und in ſeinen Grundzuͤgen wie
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Erſtes Kapitel.
men werden muß. Das iſt auch ſehr beſtimmt von dem Ver-
faſſer des ſaͤchſiſchen Landrechts (III. 42.) ausgeſprochen wor-
den, indem er ſagt:
„Nu ne latet juͤk nicht wunderen, dat dit buk ſo luͤttel
ſeget von dienſtluͤde rechte, went it is ſo manich valt,
dat is nieman to ende komen kan; under jewelkem bi-
ſchope unde abbede unde ebbediſchen (Aebtiſſin) hebben
die dienſtluͤde ſunderlik recht, dar umme ne kan ik is
nicht beſceiden.“
Dagegen entwickelte ſich mit um ſo groͤßerer Conſequenz
und Selbſtaͤndigkeit neben dem gemeinen Landrecht das be-
ſondere Standesrecht der Geiſtlichkeit, nachdem es der roͤmi-
ſchen Curie gelungen war, der Kirche eine unabhaͤngige Stel-
lung im Staate zu verſchaffen, und die geiſtlichen Gerichts-
hoͤfe, von der immer thaͤtiger werdenden paͤpſtlichen Geſetzge-
bung beherrſcht, ſich eine weite Competenz verſchafft hatten,
welche ſie ſtets in ihrem Intereſſe auszudehnen ſtrebten. —
Aehnlich erhoben ſich ſeit dem 11. Jahrhundert die deutſchen
Staͤdte zu einer ſelbſtaͤndigen Bedeutung, und indem ſie von
dem Gauverbande eximirt, das Landrecht nach ihren beſonde-
ren Beduͤrfniſſen autonomiſch umbildeten, legten ſie den Grund
zu einer neuen Rechtsentwicklung, welche ſich nicht mehr in
den Grenzen der alten Freiheit und Unfreiheit bewegte.
Fragt man nun, wie dieß verſchiedenartige Recht in ſei-
nen mannichfaltigen Erſcheinungen doch mit Sicherheit hat
erkannt und angewandt werden koͤnnen, ſo laͤßt ſich dieß aus
ſeiner allgemeinen Beſchaffenheit, mit welcher die Gerichtsver-
faſſung durchaus uͤbereinſtimmte, zur Genuͤge erklaͤren. Denn
es war faſt ganz ein Volksrecht, aus den Lebensverhaͤltniſſen
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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/28>, abgerufen am 16.07.2024.
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