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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Das Volksrecht und das Gerichtswesen.
nen nicht gehörig gewahrt ist, und die Rechtspflege selbst nur
unvollkommen geübt werden kann. Das weist denn auf die
dritte Art der Gerichte hin, nämlich auf die gemischten,
mit denen wir es nun noch besonders zu thun haben. Die
beiden verschiedenen Formen, in denen sie vorkommen, nämlich
als Schwurgerichte und Schöffengerichte, sind bereits oben
kurz charakterisirt worden; hier ist nun aber näher auf ihr
Wesen und ihre Bedeutung einzugehen.

In England, wo bekanntlich das Schwurgericht seine
moderne Ausbildung erhalten hat, kommt es für Civilsachen
so gut wie für Criminalsachen vor, und zwar, wenn auch mit
manchen Abweichungen, im Allgemeinen doch zu demselben
Zweck, indem nämlich den Juristen eine gewisse Anzahl von
Männern aus dem Volke beigeordnet wird, um über das Fac-
tische des Processes, über den beigebrachten Beweis ein Ur-
theil abzugeben. Es ist eine gründlichere Einsicht in das We-
sen des englischen Civilprocesses nöthig, als ich mir habe ver-
schaffen können, und vor Allem wohl die unmittelbare Beob-
achtung der Gerichtspraxis selber, um darüber zu entscheiden,
ob und in wiefern die Wirksamkeit der Geschwornen in dieser
Anwendung von großer Bedeutung und von durchaus günsti-
gem Erfolge ist. Ohne Zweifel wird dadurch die Abwägung
der Beweismittel mehr unter den Einfluß einer freien und le-
bendigen Rechtsanschauung gebracht, so daß neben der law
of evidence
die unbefangene Erwägung der Totalität des
ganzen Rechtsfalls, welche durch das Verfahren in den engli-
schen Gerichten so sehr begünstigt wird, möglich, und ein Mit-
tel gegeben ist, welches den Mangel eines strengen Formalis-
mus, der stets auf den juristischen Beweis der Rechtsgeschäfte
bedacht ist, einigermaaßen ersetzt. Die Franzosen haben die

Das Volksrecht und das Gerichtsweſen.
nen nicht gehoͤrig gewahrt iſt, und die Rechtspflege ſelbſt nur
unvollkommen geuͤbt werden kann. Das weiſt denn auf die
dritte Art der Gerichte hin, naͤmlich auf die gemiſchten,
mit denen wir es nun noch beſonders zu thun haben. Die
beiden verſchiedenen Formen, in denen ſie vorkommen, naͤmlich
als Schwurgerichte und Schoͤffengerichte, ſind bereits oben
kurz charakteriſirt worden; hier iſt nun aber naͤher auf ihr
Weſen und ihre Bedeutung einzugehen.

In England, wo bekanntlich das Schwurgericht ſeine
moderne Ausbildung erhalten hat, kommt es fuͤr Civilſachen
ſo gut wie fuͤr Criminalſachen vor, und zwar, wenn auch mit
manchen Abweichungen, im Allgemeinen doch zu demſelben
Zweck, indem naͤmlich den Juriſten eine gewiſſe Anzahl von
Maͤnnern aus dem Volke beigeordnet wird, um uͤber das Fac-
tiſche des Proceſſes, uͤber den beigebrachten Beweis ein Ur-
theil abzugeben. Es iſt eine gruͤndlichere Einſicht in das We-
ſen des engliſchen Civilproceſſes noͤthig, als ich mir habe ver-
ſchaffen koͤnnen, und vor Allem wohl die unmittelbare Beob-
achtung der Gerichtspraxis ſelber, um daruͤber zu entſcheiden,
ob und in wiefern die Wirkſamkeit der Geſchwornen in dieſer
Anwendung von großer Bedeutung und von durchaus guͤnſti-
gem Erfolge iſt. Ohne Zweifel wird dadurch die Abwaͤgung
der Beweismittel mehr unter den Einfluß einer freien und le-
bendigen Rechtsanſchauung gebracht, ſo daß neben der law
of evidence
die unbefangene Erwaͤgung der Totalitaͤt des
ganzen Rechtsfalls, welche durch das Verfahren in den engli-
ſchen Gerichten ſo ſehr beguͤnſtigt wird, moͤglich, und ein Mit-
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[265/0277] Das Volksrecht und das Gerichtsweſen. nen nicht gehoͤrig gewahrt iſt, und die Rechtspflege ſelbſt nur unvollkommen geuͤbt werden kann. Das weiſt denn auf die dritte Art der Gerichte hin, naͤmlich auf die gemiſchten, mit denen wir es nun noch beſonders zu thun haben. Die beiden verſchiedenen Formen, in denen ſie vorkommen, naͤmlich als Schwurgerichte und Schoͤffengerichte, ſind bereits oben kurz charakteriſirt worden; hier iſt nun aber naͤher auf ihr Weſen und ihre Bedeutung einzugehen. In England, wo bekanntlich das Schwurgericht ſeine moderne Ausbildung erhalten hat, kommt es fuͤr Civilſachen ſo gut wie fuͤr Criminalſachen vor, und zwar, wenn auch mit manchen Abweichungen, im Allgemeinen doch zu demſelben Zweck, indem naͤmlich den Juriſten eine gewiſſe Anzahl von Maͤnnern aus dem Volke beigeordnet wird, um uͤber das Fac- tiſche des Proceſſes, uͤber den beigebrachten Beweis ein Ur- theil abzugeben. Es iſt eine gruͤndlichere Einſicht in das We- ſen des engliſchen Civilproceſſes noͤthig, als ich mir habe ver- ſchaffen koͤnnen, und vor Allem wohl die unmittelbare Beob- achtung der Gerichtspraxis ſelber, um daruͤber zu entſcheiden, ob und in wiefern die Wirkſamkeit der Geſchwornen in dieſer Anwendung von großer Bedeutung und von durchaus guͤnſti- gem Erfolge iſt. Ohne Zweifel wird dadurch die Abwaͤgung der Beweismittel mehr unter den Einfluß einer freien und le- bendigen Rechtsanſchauung gebracht, ſo daß neben der law of evidence die unbefangene Erwaͤgung der Totalitaͤt des ganzen Rechtsfalls, welche durch das Verfahren in den engli- ſchen Gerichten ſo ſehr beguͤnſtigt wird, moͤglich, und ein Mit- tel gegeben iſt, welches den Mangel eines ſtrengen Formalis- mus, der ſtets auf den juriſtiſchen Beweis der Rechtsgeſchaͤfte bedacht iſt, einigermaaßen erſetzt. Die Franzoſen haben die

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/277>, abgerufen am 22.11.2024.