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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Das Volksrecht und das Gerichtswesen.
als Spruchcollegien begründet ward. Zu einer festen und durch-
gebildeten Gestaltung schien die Einrichtung solcher gemischten
Gerichte aber seit dem 16. Jahrhundert in Deutschland gelan-
gen zu wollen, als man nach dem Vorgange des Reichskam-
mergerichts bei den meisten collegialisch zusammengesetzten Ju-
stizhöfen einen Theil der Stellen mit gelehrten und einen Theil
mit ungelehrten Richtern besetzte, und auf diese Weise nament-
lich dem römischen Recht einen gewissen Einfluß sichern wollte,
der aber freilich bald übermächtig ward, und auch das volks-
thümliche Element in der Gerichtsverfassung fast ganz unter-
drückte. Wo dagegen das römische Recht keine so unmittel-
bare und allgemeine Geltung erhielt, und die Volksfreiheit
nicht ganz vor der Beamtenherrschaft zurücktrat, wie in den
meisten Kantonen der Schweiz, da hat sich jene Einrichtung,
welche noch immer als Schöffengericht passend bezeichnet wird,
in lebendiger Wirksamkeit erhalten, und selbst in Deutschland
hat man neuerlich mit einigen Handelsgerichten und mit den
würtembergischen Oberamtsgerichten den Versuch ihrer Wieder-
einführung gemacht.

Wenn man nun diese verschiedenen Formen der Gerichts-
verfassung aufmerksam prüft, und es namentlich zur Frage
stellt, welche von ihnen wohl diejenige seyn möchte, der sich
für die gegenwärtigen Bedürfnisse Deutschlands der beste Er-
folg versprechen lasse; so wird sich wohl soviel bald herausstel-
len, daß die reinen Volksgerichte nicht wieder herzustellen sind.
Es bedarf, um zu dieser Ansicht zu gelangen, gar nicht erst
einer besonderen Untersuchung, ob überhaupt eine solche Ein-
richtung noch möglich ist, wenn das Rechtswesen bereits bis
zu einem gewissen Grade der Ausbildung gelangt ist; denn es
kann wenigstens immer noch zweifelhaft bleiben, wann denn

Das Volksrecht und das Gerichtsweſen.
als Spruchcollegien begruͤndet ward. Zu einer feſten und durch-
gebildeten Geſtaltung ſchien die Einrichtung ſolcher gemiſchten
Gerichte aber ſeit dem 16. Jahrhundert in Deutſchland gelan-
gen zu wollen, als man nach dem Vorgange des Reichskam-
mergerichts bei den meiſten collegialiſch zuſammengeſetzten Ju-
ſtizhoͤfen einen Theil der Stellen mit gelehrten und einen Theil
mit ungelehrten Richtern beſetzte, und auf dieſe Weiſe nament-
lich dem roͤmiſchen Recht einen gewiſſen Einfluß ſichern wollte,
der aber freilich bald uͤbermaͤchtig ward, und auch das volks-
thuͤmliche Element in der Gerichtsverfaſſung faſt ganz unter-
druͤckte. Wo dagegen das roͤmiſche Recht keine ſo unmittel-
bare und allgemeine Geltung erhielt, und die Volksfreiheit
nicht ganz vor der Beamtenherrſchaft zuruͤcktrat, wie in den
meiſten Kantonen der Schweiz, da hat ſich jene Einrichtung,
welche noch immer als Schoͤffengericht paſſend bezeichnet wird,
in lebendiger Wirkſamkeit erhalten, und ſelbſt in Deutſchland
hat man neuerlich mit einigen Handelsgerichten und mit den
wuͤrtembergiſchen Oberamtsgerichten den Verſuch ihrer Wieder-
einfuͤhrung gemacht.

Wenn man nun dieſe verſchiedenen Formen der Gerichts-
verfaſſung aufmerkſam pruͤft, und es namentlich zur Frage
ſtellt, welche von ihnen wohl diejenige ſeyn moͤchte, der ſich
fuͤr die gegenwaͤrtigen Beduͤrfniſſe Deutſchlands der beſte Er-
folg verſprechen laſſe; ſo wird ſich wohl ſoviel bald herausſtel-
len, daß die reinen Volksgerichte nicht wieder herzuſtellen ſind.
Es bedarf, um zu dieſer Anſicht zu gelangen, gar nicht erſt
einer beſonderen Unterſuchung, ob uͤberhaupt eine ſolche Ein-
richtung noch moͤglich iſt, wenn das Rechtsweſen bereits bis
zu einem gewiſſen Grade der Ausbildung gelangt iſt; denn es
kann wenigſtens immer noch zweifelhaft bleiben, wann denn

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[251/0263] Das Volksrecht und das Gerichtsweſen. als Spruchcollegien begruͤndet ward. Zu einer feſten und durch- gebildeten Geſtaltung ſchien die Einrichtung ſolcher gemiſchten Gerichte aber ſeit dem 16. Jahrhundert in Deutſchland gelan- gen zu wollen, als man nach dem Vorgange des Reichskam- mergerichts bei den meiſten collegialiſch zuſammengeſetzten Ju- ſtizhoͤfen einen Theil der Stellen mit gelehrten und einen Theil mit ungelehrten Richtern beſetzte, und auf dieſe Weiſe nament- lich dem roͤmiſchen Recht einen gewiſſen Einfluß ſichern wollte, der aber freilich bald uͤbermaͤchtig ward, und auch das volks- thuͤmliche Element in der Gerichtsverfaſſung faſt ganz unter- druͤckte. Wo dagegen das roͤmiſche Recht keine ſo unmittel- bare und allgemeine Geltung erhielt, und die Volksfreiheit nicht ganz vor der Beamtenherrſchaft zuruͤcktrat, wie in den meiſten Kantonen der Schweiz, da hat ſich jene Einrichtung, welche noch immer als Schoͤffengericht paſſend bezeichnet wird, in lebendiger Wirkſamkeit erhalten, und ſelbſt in Deutſchland hat man neuerlich mit einigen Handelsgerichten und mit den wuͤrtembergiſchen Oberamtsgerichten den Verſuch ihrer Wieder- einfuͤhrung gemacht. Wenn man nun dieſe verſchiedenen Formen der Gerichts- verfaſſung aufmerkſam pruͤft, und es namentlich zur Frage ſtellt, welche von ihnen wohl diejenige ſeyn moͤchte, der ſich fuͤr die gegenwaͤrtigen Beduͤrfniſſe Deutſchlands der beſte Er- folg verſprechen laſſe; ſo wird ſich wohl ſoviel bald herausſtel- len, daß die reinen Volksgerichte nicht wieder herzuſtellen ſind. Es bedarf, um zu dieſer Anſicht zu gelangen, gar nicht erſt einer beſonderen Unterſuchung, ob uͤberhaupt eine ſolche Ein- richtung noch moͤglich iſt, wenn das Rechtsweſen bereits bis zu einem gewiſſen Grade der Ausbildung gelangt iſt; denn es kann wenigſtens immer noch zweifelhaft bleiben, wann denn

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/263>, abgerufen am 22.11.2024.