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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Das Volksrecht als gemeines Ständerecht.
und auf eine einflußreiche Stellung in der städtischen Verfas-
sung einen wohlbegründeten Anspruch hatten. Es ist nichts
ehrenhafter, als die deutsche Handwerkerzunft zur Zeit ihrer
Blüthe, da sie die Anforderungen der Industrie noch befrie-
digte, und in ihrem Kreise Gewerbfleiß mit einem tüchtigen
Bürgersinn und einem würdigen Familienleben verbunden war.
Auch heute noch sind nicht alle Spuren der früheren Zustände
verwischt, und der Meister, welcher nach den verschiedenen Sei-
ten seiner Wirksamkeit hin seine Stellung tüchtig ausfüllt, ge-
hört zum Kern des städtischen Mittelstandes. Aber mit dem
eigentlichen Wesen des alten Handwerkerrechts ist es doch vor-
bei: die Zunftverfassung in ihrer Abgeschlossenheit und aus-
schließlichen Berechtigung, welche ursprünglich ein so natürli-
ches und gesundes Lebensprincip in sich trug, ist unter den
veränderten Verhältnissen der neueren Zeit zu einer lästigen
Beschränkung der Industrie geworden, welche, wie jede gereifte
Kraft, vor Allem der freien Bewegung bedarf, und wenn sie
auch in bestimmten Formen ihr weises Maaß finden kann,
dieses nicht aus einer entschwundenen Zeit in abgestorbenen
Instituten herübernehmen darf. Die Staatsgewalt, das Wohl
der Gesammtheit im Auge haltend, hat, wenn ihr die nöthige
Energie beiwohnt, diese Fesseln zu brechen, sollte es auch ohne
eine augenblickliche Verletzung des Privatrechts nicht geschehen
können; dagegen wird sie die Ausbildung genossenschaftlicher
Vereine in zeitgemäßer Form unter den Gewerken billig be-
günstigen, weil sich darin nur der Associationsgeist mit seinen
heilsamen Folgen bethätigen kann. -- Nun ist freilich die
Zunftverfassung noch bei weitem nicht in ganz Deutschland
aufgehoben; aber wo sie noch in alter Weise vorkommt, kann
sie keinen Anspruch mehr darauf machen, ein Institut des le-

Das Volksrecht als gemeines Staͤnderecht.
und auf eine einflußreiche Stellung in der ſtaͤdtiſchen Verfaſ-
ſung einen wohlbegruͤndeten Anſpruch hatten. Es iſt nichts
ehrenhafter, als die deutſche Handwerkerzunft zur Zeit ihrer
Bluͤthe, da ſie die Anforderungen der Induſtrie noch befrie-
digte, und in ihrem Kreiſe Gewerbfleiß mit einem tuͤchtigen
Buͤrgerſinn und einem wuͤrdigen Familienleben verbunden war.
Auch heute noch ſind nicht alle Spuren der fruͤheren Zuſtaͤnde
verwiſcht, und der Meiſter, welcher nach den verſchiedenen Sei-
ten ſeiner Wirkſamkeit hin ſeine Stellung tuͤchtig ausfuͤllt, ge-
hoͤrt zum Kern des ſtaͤdtiſchen Mittelſtandes. Aber mit dem
eigentlichen Weſen des alten Handwerkerrechts iſt es doch vor-
bei: die Zunftverfaſſung in ihrer Abgeſchloſſenheit und aus-
ſchließlichen Berechtigung, welche urſpruͤnglich ein ſo natuͤrli-
ches und geſundes Lebensprincip in ſich trug, iſt unter den
veraͤnderten Verhaͤltniſſen der neueren Zeit zu einer laͤſtigen
Beſchraͤnkung der Induſtrie geworden, welche, wie jede gereifte
Kraft, vor Allem der freien Bewegung bedarf, und wenn ſie
auch in beſtimmten Formen ihr weiſes Maaß finden kann,
dieſes nicht aus einer entſchwundenen Zeit in abgeſtorbenen
Inſtituten heruͤbernehmen darf. Die Staatsgewalt, das Wohl
der Geſammtheit im Auge haltend, hat, wenn ihr die noͤthige
Energie beiwohnt, dieſe Feſſeln zu brechen, ſollte es auch ohne
eine augenblickliche Verletzung des Privatrechts nicht geſchehen
koͤnnen; dagegen wird ſie die Ausbildung genoſſenſchaftlicher
Vereine in zeitgemaͤßer Form unter den Gewerken billig be-
guͤnſtigen, weil ſich darin nur der Aſſociationsgeiſt mit ſeinen
heilſamen Folgen bethaͤtigen kann. — Nun iſt freilich die
Zunftverfaſſung noch bei weitem nicht in ganz Deutſchland
aufgehoben; aber wo ſie noch in alter Weiſe vorkommt, kann
ſie keinen Anſpruch mehr darauf machen, ein Inſtitut des le-

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[223/0235] Das Volksrecht als gemeines Staͤnderecht. und auf eine einflußreiche Stellung in der ſtaͤdtiſchen Verfaſ- ſung einen wohlbegruͤndeten Anſpruch hatten. Es iſt nichts ehrenhafter, als die deutſche Handwerkerzunft zur Zeit ihrer Bluͤthe, da ſie die Anforderungen der Induſtrie noch befrie- digte, und in ihrem Kreiſe Gewerbfleiß mit einem tuͤchtigen Buͤrgerſinn und einem wuͤrdigen Familienleben verbunden war. Auch heute noch ſind nicht alle Spuren der fruͤheren Zuſtaͤnde verwiſcht, und der Meiſter, welcher nach den verſchiedenen Sei- ten ſeiner Wirkſamkeit hin ſeine Stellung tuͤchtig ausfuͤllt, ge- hoͤrt zum Kern des ſtaͤdtiſchen Mittelſtandes. Aber mit dem eigentlichen Weſen des alten Handwerkerrechts iſt es doch vor- bei: die Zunftverfaſſung in ihrer Abgeſchloſſenheit und aus- ſchließlichen Berechtigung, welche urſpruͤnglich ein ſo natuͤrli- ches und geſundes Lebensprincip in ſich trug, iſt unter den veraͤnderten Verhaͤltniſſen der neueren Zeit zu einer laͤſtigen Beſchraͤnkung der Induſtrie geworden, welche, wie jede gereifte Kraft, vor Allem der freien Bewegung bedarf, und wenn ſie auch in beſtimmten Formen ihr weiſes Maaß finden kann, dieſes nicht aus einer entſchwundenen Zeit in abgeſtorbenen Inſtituten heruͤbernehmen darf. Die Staatsgewalt, das Wohl der Geſammtheit im Auge haltend, hat, wenn ihr die noͤthige Energie beiwohnt, dieſe Feſſeln zu brechen, ſollte es auch ohne eine augenblickliche Verletzung des Privatrechts nicht geſchehen koͤnnen; dagegen wird ſie die Ausbildung genoſſenſchaftlicher Vereine in zeitgemaͤßer Form unter den Gewerken billig be- guͤnſtigen, weil ſich darin nur der Aſſociationsgeiſt mit ſeinen heilſamen Folgen bethaͤtigen kann. — Nun iſt freilich die Zunftverfaſſung noch bei weitem nicht in ganz Deutſchland aufgehoben; aber wo ſie noch in alter Weiſe vorkommt, kann ſie keinen Anſpruch mehr darauf machen, ein Inſtitut des le-

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/235>, abgerufen am 24.11.2024.