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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Siebentes Kapitel.
meinschaftliche Organisation, in welcher die verschiedenen Inter-
essen neben einander zur Geltung kommen, und in dem ge-
meinsamen Ziele ihre Ausgleichung und Vereinigung finden.

Soll also von einem besonderen Rechte des Bürgerstan-
des die Rede seyn, so muß dasselbe seinen Schwerpunct an-
derswo als in der städtischen Gemeinde haben. In dem Privat-
recht, Criminalrecht, Proceß u. s. w. ist er aber auch nicht zu
suchen; denn was sich in dieser Beziehung im Laufe der Zei-
ten statutarisch entwickelt hat, ist entweder vor der modernen
Gesetzgebung gefallen, oder trägt doch keine natürliche Lebens-
kraft mehr in sich. Höchstens können Modificationen einzelner
Rechtstheile, z. B. des ehelichen Güterrechts, hier frei gestellt
werden, ohne daß dadurch auch nur dem gemeinen Landrecht ein
wesentlicher Abbruch zu geschehen brauchte. Soll in dieser
Sphäre also noch ein selbständiges Ständerecht gelten, so muß
es im städtischen Gewerbe begründet seyn; aber hier reicht
eine allgemeine Betrachtung nicht aus. Noch mehr fast, wie
Ritterschaft und Bauern, scheidet sich der Handwerker vom Fa-
brikanten und von beiden wieder der Kaufmann; dieser Unter-
schied muß festgehalten werden, wobei aber zugleich wieder-
holt darauf aufmerksam zu machen ist, daß namentlich der Fa-
brikant nicht an die Stadt gebunden erscheint.

1. Das Recht der Handwerker und Fabri-
kanten
. Es gab eine Zeit, in welcher die corporative Ver-
fassung der Gewerke in ihrer zunftmäßigen Ausbildung eine tiefe
Bedeutung hatte, und unmittelbar aus dem Volksleben her-
ausgewachsen, dem städtischen Bürgerthum einen kräftigen
Haltpunct gewährte. Das Bedürfniß führte zu diesen genos-
senschaftlichen Vereinen, welche dem Gewerbe Würde und
Kraft verliehen, die kunstfertige Betreibung derselben förderten

Siebentes Kapitel.
meinſchaftliche Organiſation, in welcher die verſchiedenen Inter-
eſſen neben einander zur Geltung kommen, und in dem ge-
meinſamen Ziele ihre Ausgleichung und Vereinigung finden.

Soll alſo von einem beſonderen Rechte des Buͤrgerſtan-
des die Rede ſeyn, ſo muß daſſelbe ſeinen Schwerpunct an-
derswo als in der ſtaͤdtiſchen Gemeinde haben. In dem Privat-
recht, Criminalrecht, Proceß u. ſ. w. iſt er aber auch nicht zu
ſuchen; denn was ſich in dieſer Beziehung im Laufe der Zei-
ten ſtatutariſch entwickelt hat, iſt entweder vor der modernen
Geſetzgebung gefallen, oder traͤgt doch keine natuͤrliche Lebens-
kraft mehr in ſich. Hoͤchſtens koͤnnen Modificationen einzelner
Rechtstheile, z. B. des ehelichen Guͤterrechts, hier frei geſtellt
werden, ohne daß dadurch auch nur dem gemeinen Landrecht ein
weſentlicher Abbruch zu geſchehen brauchte. Soll in dieſer
Sphaͤre alſo noch ein ſelbſtaͤndiges Staͤnderecht gelten, ſo muß
es im ſtaͤdtiſchen Gewerbe begruͤndet ſeyn; aber hier reicht
eine allgemeine Betrachtung nicht aus. Noch mehr faſt, wie
Ritterſchaft und Bauern, ſcheidet ſich der Handwerker vom Fa-
brikanten und von beiden wieder der Kaufmann; dieſer Unter-
ſchied muß feſtgehalten werden, wobei aber zugleich wieder-
holt darauf aufmerkſam zu machen iſt, daß namentlich der Fa-
brikant nicht an die Stadt gebunden erſcheint.

1. Das Recht der Handwerker und Fabri-
kanten
. Es gab eine Zeit, in welcher die corporative Ver-
faſſung der Gewerke in ihrer zunftmaͤßigen Ausbildung eine tiefe
Bedeutung hatte, und unmittelbar aus dem Volksleben her-
ausgewachſen, dem ſtaͤdtiſchen Buͤrgerthum einen kraͤftigen
Haltpunct gewaͤhrte. Das Beduͤrfniß fuͤhrte zu dieſen genoſ-
ſenſchaftlichen Vereinen, welche dem Gewerbe Wuͤrde und
Kraft verliehen, die kunſtfertige Betreibung derſelben foͤrderten

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[222/0234] Siebentes Kapitel. meinſchaftliche Organiſation, in welcher die verſchiedenen Inter- eſſen neben einander zur Geltung kommen, und in dem ge- meinſamen Ziele ihre Ausgleichung und Vereinigung finden. Soll alſo von einem beſonderen Rechte des Buͤrgerſtan- des die Rede ſeyn, ſo muß daſſelbe ſeinen Schwerpunct an- derswo als in der ſtaͤdtiſchen Gemeinde haben. In dem Privat- recht, Criminalrecht, Proceß u. ſ. w. iſt er aber auch nicht zu ſuchen; denn was ſich in dieſer Beziehung im Laufe der Zei- ten ſtatutariſch entwickelt hat, iſt entweder vor der modernen Geſetzgebung gefallen, oder traͤgt doch keine natuͤrliche Lebens- kraft mehr in ſich. Hoͤchſtens koͤnnen Modificationen einzelner Rechtstheile, z. B. des ehelichen Guͤterrechts, hier frei geſtellt werden, ohne daß dadurch auch nur dem gemeinen Landrecht ein weſentlicher Abbruch zu geſchehen brauchte. Soll in dieſer Sphaͤre alſo noch ein ſelbſtaͤndiges Staͤnderecht gelten, ſo muß es im ſtaͤdtiſchen Gewerbe begruͤndet ſeyn; aber hier reicht eine allgemeine Betrachtung nicht aus. Noch mehr faſt, wie Ritterſchaft und Bauern, ſcheidet ſich der Handwerker vom Fa- brikanten und von beiden wieder der Kaufmann; dieſer Unter- ſchied muß feſtgehalten werden, wobei aber zugleich wieder- holt darauf aufmerkſam zu machen iſt, daß namentlich der Fa- brikant nicht an die Stadt gebunden erſcheint. 1. Das Recht der Handwerker und Fabri- kanten. Es gab eine Zeit, in welcher die corporative Ver- faſſung der Gewerke in ihrer zunftmaͤßigen Ausbildung eine tiefe Bedeutung hatte, und unmittelbar aus dem Volksleben her- ausgewachſen, dem ſtaͤdtiſchen Buͤrgerthum einen kraͤftigen Haltpunct gewaͤhrte. Das Beduͤrfniß fuͤhrte zu dieſen genoſ- ſenſchaftlichen Vereinen, welche dem Gewerbe Wuͤrde und Kraft verliehen, die kunſtfertige Betreibung derſelben foͤrderten

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/234>, abgerufen am 24.11.2024.