Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Volksrecht als gemeines Ständerecht.
heit ins Auge faßt, sondern auch die früheren Zeiten beachtet,
so ergiebt sich, daß der Bauernstand auch manche arge Unbill
in Deutschland erlitten hat, für welche er wohl durch eine
milde Berücksichtigung seiner Bedürfnisse eine Vergütung ver-
diente. Ich denke hier nicht bloß an die Bedrückungen, wo-
durch die minder mächtigen Gemeinfreien im späteren Mittel-
alter um viele wichtigen Rechte an ihren Gütern und nament-
lich am Gemeindevermögen gebracht worden sind; auch die
Bauern, welche von jeher hörig waren, sind oft in dem Recht,
welches sie am Grundbesitz hatten, schmählich gekränkt wor-
den. Wie sehr auch die Hörigkeit mit ihren Frohnden und
Zinsen auf ihnen lastete, so läßt sich doch ziemlich allgemein
nachweisen, daß sie eine gewisse dingliche Berechtigung an ih-
rem Baugut hatten, welche ihnen willkührlich nicht entzogen
werden durfte. Seit dem 16. Jahrhundert aber, als die Guts-
herrn den eigenen Betrieb der Landwirthschaft unmittelbar vom
Hofe aus immermehr erweiterten, und die Romanisten geneigt
waren, dem deutschen Colonat die römische Zeitpacht unterzu-
breiten, sind viele Bauernfamilen um ihr Recht gebracht wor-
den, indem man sie eigenmächtig legte und ihren Besitz mit
dem Hoffelde vereinigte. Aehnliches ist auch hie und da bei
der Aufhebung der Leibeigenschaft geschehen, indem man den
früher Hörigen zwar die persönliche Freiheit gab, dafür aber
die auf das Baugut Berechtigten zu Tagelöhnern oder Zeitpäch-
tern herunterdrückte.

Bedenkt man solche Ereignisse, und erwägt ferner, wie
sehr "der arme Mann" durch Dienstzwang und willkührliche
Belastung im Einzelnen oft bedrängt worden ist, so stellen sich
die neueren Ablösungsordnungen, insoweit sie den Bauern-
stand begünstigen, als einen Act der in der Geschichte walten-

Das Volksrecht als gemeines Staͤnderecht.
heit ins Auge faßt, ſondern auch die fruͤheren Zeiten beachtet,
ſo ergiebt ſich, daß der Bauernſtand auch manche arge Unbill
in Deutſchland erlitten hat, fuͤr welche er wohl durch eine
milde Beruͤckſichtigung ſeiner Beduͤrfniſſe eine Verguͤtung ver-
diente. Ich denke hier nicht bloß an die Bedruͤckungen, wo-
durch die minder maͤchtigen Gemeinfreien im ſpaͤteren Mittel-
alter um viele wichtigen Rechte an ihren Guͤtern und nament-
lich am Gemeindevermoͤgen gebracht worden ſind; auch die
Bauern, welche von jeher hoͤrig waren, ſind oft in dem Recht,
welches ſie am Grundbeſitz hatten, ſchmaͤhlich gekraͤnkt wor-
den. Wie ſehr auch die Hoͤrigkeit mit ihren Frohnden und
Zinſen auf ihnen laſtete, ſo laͤßt ſich doch ziemlich allgemein
nachweiſen, daß ſie eine gewiſſe dingliche Berechtigung an ih-
rem Baugut hatten, welche ihnen willkuͤhrlich nicht entzogen
werden durfte. Seit dem 16. Jahrhundert aber, als die Guts-
herrn den eigenen Betrieb der Landwirthſchaft unmittelbar vom
Hofe aus immermehr erweiterten, und die Romaniſten geneigt
waren, dem deutſchen Colonat die roͤmiſche Zeitpacht unterzu-
breiten, ſind viele Bauernfamilen um ihr Recht gebracht wor-
den, indem man ſie eigenmaͤchtig legte und ihren Beſitz mit
dem Hoffelde vereinigte. Aehnliches iſt auch hie und da bei
der Aufhebung der Leibeigenſchaft geſchehen, indem man den
fruͤher Hoͤrigen zwar die perſoͤnliche Freiheit gab, dafuͤr aber
die auf das Baugut Berechtigten zu Tageloͤhnern oder Zeitpaͤch-
tern herunterdruͤckte.

Bedenkt man ſolche Ereigniſſe, und erwaͤgt ferner, wie
ſehr „der arme Mann“ durch Dienſtzwang und willkuͤhrliche
Belaſtung im Einzelnen oft bedraͤngt worden iſt, ſo ſtellen ſich
die neueren Abloͤſungsordnungen, inſoweit ſie den Bauern-
ſtand beguͤnſtigen, als einen Act der in der Geſchichte walten-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0225" n="213"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Das Volksrecht als gemeines Sta&#x0364;nderecht</hi>.</fw><lb/>
heit ins Auge faßt, &#x017F;ondern auch die fru&#x0364;heren Zeiten beachtet,<lb/>
&#x017F;o ergiebt &#x017F;ich, daß der Bauern&#x017F;tand auch manche arge Unbill<lb/>
in Deut&#x017F;chland erlitten hat, fu&#x0364;r welche er wohl durch eine<lb/>
milde Beru&#x0364;ck&#x017F;ichtigung &#x017F;einer Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e eine Vergu&#x0364;tung ver-<lb/>
diente. Ich denke hier nicht bloß an die Bedru&#x0364;ckungen, wo-<lb/>
durch die minder ma&#x0364;chtigen Gemeinfreien im &#x017F;pa&#x0364;teren Mittel-<lb/>
alter um viele wichtigen Rechte an ihren Gu&#x0364;tern und nament-<lb/>
lich am Gemeindevermo&#x0364;gen gebracht worden &#x017F;ind; auch die<lb/>
Bauern, welche von jeher ho&#x0364;rig waren, &#x017F;ind oft in dem Recht,<lb/>
welches &#x017F;ie am Grundbe&#x017F;itz hatten, &#x017F;chma&#x0364;hlich gekra&#x0364;nkt wor-<lb/>
den. Wie &#x017F;ehr auch die Ho&#x0364;rigkeit mit ihren Frohnden und<lb/>
Zin&#x017F;en auf ihnen la&#x017F;tete, &#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich doch ziemlich allgemein<lb/>
nachwei&#x017F;en, daß &#x017F;ie eine gewi&#x017F;&#x017F;e dingliche Berechtigung an ih-<lb/>
rem Baugut hatten, welche ihnen willku&#x0364;hrlich nicht entzogen<lb/>
werden durfte. Seit dem 16. Jahrhundert aber, als die Guts-<lb/>
herrn den eigenen Betrieb der Landwirth&#x017F;chaft unmittelbar vom<lb/>
Hofe aus immermehr erweiterten, und die Romani&#x017F;ten geneigt<lb/>
waren, dem deut&#x017F;chen Colonat die ro&#x0364;mi&#x017F;che Zeitpacht unterzu-<lb/>
breiten, &#x017F;ind viele Bauernfamilen um ihr Recht gebracht wor-<lb/>
den, indem man &#x017F;ie eigenma&#x0364;chtig legte und ihren Be&#x017F;itz mit<lb/>
dem Hoffelde vereinigte. Aehnliches i&#x017F;t auch hie und da bei<lb/>
der Aufhebung der Leibeigen&#x017F;chaft ge&#x017F;chehen, indem man den<lb/>
fru&#x0364;her Ho&#x0364;rigen zwar die per&#x017F;o&#x0364;nliche Freiheit gab, dafu&#x0364;r aber<lb/>
die auf das Baugut Berechtigten zu Tagelo&#x0364;hnern oder Zeitpa&#x0364;ch-<lb/>
tern herunterdru&#x0364;ckte.</p><lb/>
            <p>Bedenkt man &#x017F;olche Ereigni&#x017F;&#x017F;e, und erwa&#x0364;gt ferner, wie<lb/>
&#x017F;ehr &#x201E;der arme Mann&#x201C; durch Dien&#x017F;tzwang und willku&#x0364;hrliche<lb/>
Bela&#x017F;tung im Einzelnen oft bedra&#x0364;ngt worden i&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;tellen &#x017F;ich<lb/>
die neueren Ablo&#x0364;&#x017F;ungsordnungen, in&#x017F;oweit &#x017F;ie den Bauern-<lb/>
&#x017F;tand begu&#x0364;n&#x017F;tigen, als einen Act der in der Ge&#x017F;chichte walten-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0225] Das Volksrecht als gemeines Staͤnderecht. heit ins Auge faßt, ſondern auch die fruͤheren Zeiten beachtet, ſo ergiebt ſich, daß der Bauernſtand auch manche arge Unbill in Deutſchland erlitten hat, fuͤr welche er wohl durch eine milde Beruͤckſichtigung ſeiner Beduͤrfniſſe eine Verguͤtung ver- diente. Ich denke hier nicht bloß an die Bedruͤckungen, wo- durch die minder maͤchtigen Gemeinfreien im ſpaͤteren Mittel- alter um viele wichtigen Rechte an ihren Guͤtern und nament- lich am Gemeindevermoͤgen gebracht worden ſind; auch die Bauern, welche von jeher hoͤrig waren, ſind oft in dem Recht, welches ſie am Grundbeſitz hatten, ſchmaͤhlich gekraͤnkt wor- den. Wie ſehr auch die Hoͤrigkeit mit ihren Frohnden und Zinſen auf ihnen laſtete, ſo laͤßt ſich doch ziemlich allgemein nachweiſen, daß ſie eine gewiſſe dingliche Berechtigung an ih- rem Baugut hatten, welche ihnen willkuͤhrlich nicht entzogen werden durfte. Seit dem 16. Jahrhundert aber, als die Guts- herrn den eigenen Betrieb der Landwirthſchaft unmittelbar vom Hofe aus immermehr erweiterten, und die Romaniſten geneigt waren, dem deutſchen Colonat die roͤmiſche Zeitpacht unterzu- breiten, ſind viele Bauernfamilen um ihr Recht gebracht wor- den, indem man ſie eigenmaͤchtig legte und ihren Beſitz mit dem Hoffelde vereinigte. Aehnliches iſt auch hie und da bei der Aufhebung der Leibeigenſchaft geſchehen, indem man den fruͤher Hoͤrigen zwar die perſoͤnliche Freiheit gab, dafuͤr aber die auf das Baugut Berechtigten zu Tageloͤhnern oder Zeitpaͤch- tern herunterdruͤckte. Bedenkt man ſolche Ereigniſſe, und erwaͤgt ferner, wie ſehr „der arme Mann“ durch Dienſtzwang und willkuͤhrliche Belaſtung im Einzelnen oft bedraͤngt worden iſt, ſo ſtellen ſich die neueren Abloͤſungsordnungen, inſoweit ſie den Bauern- ſtand beguͤnſtigen, als einen Act der in der Geſchichte walten-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/225
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/225>, abgerufen am 24.11.2024.