Das frühere Standesrecht der landsässigen Ritterschaft ist daher gegenwärtig ebensowenig bei der Gesammtheit der Rittergutsbesitzer als bei den zum niedern Adel gehörigen Per- sonen zu finden; jenen fehlt die unmittelbare Beziehung zwi- schen den Geburtsrechten und dem Grundbesitz, und diesen mangelt, ein wie großes Gewicht auch auf Herkunft und Fa- milie gelegt werden mag, die materielle Basis eines entspre- chenden Vermögens, um die in Anspruch genommene bevor- zugte Stellung mit einer so allgemeinen Wirksamkeit, wie es bei einem Stande erwartet werden darf, durchzuführen. Doch soll damit nicht behauptet werden, daß nicht von den früheren Zuständen noch sehr bemerkliche Spuren im gegenwärtigen Rechtsleben vorhanden sind. Es ist verhältnißmäßig noch der größte Theil der Rittergüter im Besitz adlicher Familien; die- selben liefern noch jetzt der stehenden Armee die meisten Offi- ciere; in mancher Landes- und Provinzialverfassung ferner ist dem adelichen Theil der Ritterschaft eine bevorzugte Stellung ge- währt; auch zeigt sich gerade hier ein Bestreben, durch Fidei- commißstiftungen mit besonderen Successionsordnungen ein be- stimmtes Vermögen an die Familie zu knüpfen, und deren Glanz, wenn auch auf Kosten der einzelnen Mitglieder, auf- recht zu erhalten. Mit diesen Erscheinungen steht denn auch der Plan patriotischer Männer in Verbindung, den Adel über- haupt mit dem ritterschaftlichen Grundbesitz zu identificiren, und durch die Beschränkung der gemeinrechtlichen Erbfolge einen selbständigen, in der Zahl seiner Mitglieder beschränkten Ritterstand zu begründen, von dem man sich namentlich große politische Vortheile verspricht. Bringt man es nun zur Frage, ob eine solche Einrichtung den gegenwärtigen deutschen Verhältnissen angemessen seyn möchte, so ist natürlich die erste unabweisbare
Siebentes Kapitel.
Das fruͤhere Standesrecht der landſaͤſſigen Ritterſchaft iſt daher gegenwaͤrtig ebenſowenig bei der Geſammtheit der Rittergutsbeſitzer als bei den zum niedern Adel gehoͤrigen Per- ſonen zu finden; jenen fehlt die unmittelbare Beziehung zwi- ſchen den Geburtsrechten und dem Grundbeſitz, und dieſen mangelt, ein wie großes Gewicht auch auf Herkunft und Fa- milie gelegt werden mag, die materielle Baſis eines entſpre- chenden Vermoͤgens, um die in Anſpruch genommene bevor- zugte Stellung mit einer ſo allgemeinen Wirkſamkeit, wie es bei einem Stande erwartet werden darf, durchzufuͤhren. Doch ſoll damit nicht behauptet werden, daß nicht von den fruͤheren Zuſtaͤnden noch ſehr bemerkliche Spuren im gegenwaͤrtigen Rechtsleben vorhanden ſind. Es iſt verhaͤltnißmaͤßig noch der groͤßte Theil der Ritterguͤter im Beſitz adlicher Familien; die- ſelben liefern noch jetzt der ſtehenden Armee die meiſten Offi- ciere; in mancher Landes- und Provinzialverfaſſung ferner iſt dem adelichen Theil der Ritterſchaft eine bevorzugte Stellung ge- waͤhrt; auch zeigt ſich gerade hier ein Beſtreben, durch Fidei- commißſtiftungen mit beſonderen Succeſſionsordnungen ein be- ſtimmtes Vermoͤgen an die Familie zu knuͤpfen, und deren Glanz, wenn auch auf Koſten der einzelnen Mitglieder, auf- recht zu erhalten. Mit dieſen Erſcheinungen ſteht denn auch der Plan patriotiſcher Maͤnner in Verbindung, den Adel uͤber- haupt mit dem ritterſchaftlichen Grundbeſitz zu identificiren, und durch die Beſchraͤnkung der gemeinrechtlichen Erbfolge einen ſelbſtaͤndigen, in der Zahl ſeiner Mitglieder beſchraͤnkten Ritterſtand zu begruͤnden, von dem man ſich namentlich große politiſche Vortheile verſpricht. Bringt man es nun zur Frage, ob eine ſolche Einrichtung den gegenwaͤrtigen deutſchen Verhaͤltniſſen angemeſſen ſeyn moͤchte, ſo iſt natuͤrlich die erſte unabweisbare
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Siebentes Kapitel.
Das fruͤhere Standesrecht der landſaͤſſigen Ritterſchaft
iſt daher gegenwaͤrtig ebenſowenig bei der Geſammtheit der
Rittergutsbeſitzer als bei den zum niedern Adel gehoͤrigen Per-
ſonen zu finden; jenen fehlt die unmittelbare Beziehung zwi-
ſchen den Geburtsrechten und dem Grundbeſitz, und dieſen
mangelt, ein wie großes Gewicht auch auf Herkunft und Fa-
milie gelegt werden mag, die materielle Baſis eines entſpre-
chenden Vermoͤgens, um die in Anſpruch genommene bevor-
zugte Stellung mit einer ſo allgemeinen Wirkſamkeit, wie es
bei einem Stande erwartet werden darf, durchzufuͤhren. Doch
ſoll damit nicht behauptet werden, daß nicht von den fruͤheren
Zuſtaͤnden noch ſehr bemerkliche Spuren im gegenwaͤrtigen
Rechtsleben vorhanden ſind. Es iſt verhaͤltnißmaͤßig noch der
groͤßte Theil der Ritterguͤter im Beſitz adlicher Familien; die-
ſelben liefern noch jetzt der ſtehenden Armee die meiſten Offi-
ciere; in mancher Landes- und Provinzialverfaſſung ferner iſt dem
adelichen Theil der Ritterſchaft eine bevorzugte Stellung ge-
waͤhrt; auch zeigt ſich gerade hier ein Beſtreben, durch Fidei-
commißſtiftungen mit beſonderen Succeſſionsordnungen ein be-
ſtimmtes Vermoͤgen an die Familie zu knuͤpfen, und deren
Glanz, wenn auch auf Koſten der einzelnen Mitglieder, auf-
recht zu erhalten. Mit dieſen Erſcheinungen ſteht denn auch
der Plan patriotiſcher Maͤnner in Verbindung, den Adel uͤber-
haupt mit dem ritterſchaftlichen Grundbeſitz zu identificiren,
und durch die Beſchraͤnkung der gemeinrechtlichen Erbfolge
einen ſelbſtaͤndigen, in der Zahl ſeiner Mitglieder beſchraͤnkten
Ritterſtand zu begruͤnden, von dem man ſich namentlich große
politiſche Vortheile verſpricht. Bringt man es nun zur Frage, ob
eine ſolche Einrichtung den gegenwaͤrtigen deutſchen Verhaͤltniſſen
angemeſſen ſeyn moͤchte, ſo iſt natuͤrlich die erſte unabweisbare
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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/218>, abgerufen am 24.11.2024.
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