Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Historische Einleitung.
griff sie nicht in regelmäßiger Wirksamkeit ein, sondern über-
wachte und leitete hauptsächlich, so gut es ging, die Fehden der
einzelnen Genossen, die aber seltner mit Waffen als mit Ei-
den ausgekämpft wurden, und in der Zahlung einer Buße
an den Verletzten regelmäßig ihre Erledigung fanden. Doch
erhob sie vom Friedbrecher in selbständiger Berechtigung auch
noch das Fredum, und wer sich direct an der Gesammtheit
verging, den traf die Strafe des Verräthers. Im Felde wird
aber überhaupt ein strengeres Kriegsrecht gegolten haben.

In dieser Lage blieben die im heutigen Deutschland an-
gesessenen Volksstämme, (denn nur mit diesen haben wir es
hier zunächst zu thun) bis zwei Ereignisse eintraten, welche zu
einander in naher Beziehung stehend, einen welthistorischen
Einfluß auf sie ausübten: ihre Bekehrung zum Christenthume
und ihre Einverleibung in die fränkische Monarchie. Die
christliche Religion, für welche gerade bei den Germanen die
größte Empfänglichkeit vorhanden war, hat sie befähigt, an
der allgemeinen Entwicklung der abendländischen Cultur Theil
zu nehmen, und überhaupt auf das Rechtswesen bedeutungs-
voll einwirkend, vor Allem in der eigenthümlichen Stellung
der Geistlichkeit ein neues Element der Verfassung hervorge-
rufen. In der fränkischen Monarchie aber kamen die Deut-
schen unter die Gewalt des auf dem eroberten römischen Bo-
den entwickelten Königthums, welches die Souverainität der
einzelnen Volksstämme und ihrer Herzöge beschränkte, und sie
zu einer, wenn auch nur äußerlichen politischen Einheit zu-
sammenführte, in der sich schon ein geordnetes Staatsleben
geltend machte. Karl's des Großen Sieg über die Sachsen
bildet den Wendepunct in dieser Periode der deutschen Ge-
schichte, wie denn überhaupt die Bedeutung des fränkischen

Hiſtoriſche Einleitung.
griff ſie nicht in regelmaͤßiger Wirkſamkeit ein, ſondern uͤber-
wachte und leitete hauptſaͤchlich, ſo gut es ging, die Fehden der
einzelnen Genoſſen, die aber ſeltner mit Waffen als mit Ei-
den ausgekaͤmpft wurden, und in der Zahlung einer Buße
an den Verletzten regelmaͤßig ihre Erledigung fanden. Doch
erhob ſie vom Friedbrecher in ſelbſtaͤndiger Berechtigung auch
noch das Fredum, und wer ſich direct an der Geſammtheit
verging, den traf die Strafe des Verraͤthers. Im Felde wird
aber uͤberhaupt ein ſtrengeres Kriegsrecht gegolten haben.

In dieſer Lage blieben die im heutigen Deutſchland an-
geſeſſenen Volksſtaͤmme, (denn nur mit dieſen haben wir es
hier zunaͤchſt zu thun) bis zwei Ereigniſſe eintraten, welche zu
einander in naher Beziehung ſtehend, einen welthiſtoriſchen
Einfluß auf ſie ausuͤbten: ihre Bekehrung zum Chriſtenthume
und ihre Einverleibung in die fraͤnkiſche Monarchie. Die
chriſtliche Religion, fuͤr welche gerade bei den Germanen die
groͤßte Empfaͤnglichkeit vorhanden war, hat ſie befaͤhigt, an
der allgemeinen Entwicklung der abendlaͤndiſchen Cultur Theil
zu nehmen, und uͤberhaupt auf das Rechtsweſen bedeutungs-
voll einwirkend, vor Allem in der eigenthuͤmlichen Stellung
der Geiſtlichkeit ein neues Element der Verfaſſung hervorge-
rufen. In der fraͤnkiſchen Monarchie aber kamen die Deut-
ſchen unter die Gewalt des auf dem eroberten roͤmiſchen Bo-
den entwickelten Koͤnigthums, welches die Souverainitaͤt der
einzelnen Volksſtaͤmme und ihrer Herzoͤge beſchraͤnkte, und ſie
zu einer, wenn auch nur aͤußerlichen politiſchen Einheit zu-
ſammenfuͤhrte, in der ſich ſchon ein geordnetes Staatsleben
geltend machte. Karl’s des Großen Sieg uͤber die Sachſen
bildet den Wendepunct in dieſer Periode der deutſchen Ge-
ſchichte, wie denn uͤberhaupt die Bedeutung des fraͤnkiſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0019" n="7"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Hi&#x017F;tori&#x017F;che Einleitung</hi>.</fw><lb/>
griff &#x017F;ie nicht in regelma&#x0364;ßiger Wirk&#x017F;amkeit ein, &#x017F;ondern u&#x0364;ber-<lb/>
wachte und leitete haupt&#x017F;a&#x0364;chlich, &#x017F;o gut es ging, die Fehden der<lb/>
einzelnen Geno&#x017F;&#x017F;en, die aber &#x017F;eltner mit Waffen als mit Ei-<lb/>
den ausgeka&#x0364;mpft wurden, und in der Zahlung einer Buße<lb/>
an den Verletzten regelma&#x0364;ßig ihre Erledigung fanden. Doch<lb/>
erhob &#x017F;ie vom Friedbrecher in &#x017F;elb&#x017F;ta&#x0364;ndiger Berechtigung auch<lb/>
noch das Fredum, und wer &#x017F;ich direct an der Ge&#x017F;ammtheit<lb/>
verging, den traf die Strafe des Verra&#x0364;thers. Im Felde wird<lb/>
aber u&#x0364;berhaupt ein &#x017F;trengeres Kriegsrecht gegolten haben.</p><lb/>
          <p>In die&#x017F;er Lage blieben die im heutigen Deut&#x017F;chland an-<lb/>
ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;enen Volks&#x017F;ta&#x0364;mme, (denn nur mit die&#x017F;en haben wir es<lb/>
hier zuna&#x0364;ch&#x017F;t zu thun) bis zwei Ereigni&#x017F;&#x017F;e eintraten, welche zu<lb/>
einander in naher Beziehung &#x017F;tehend, einen welthi&#x017F;tori&#x017F;chen<lb/>
Einfluß auf &#x017F;ie ausu&#x0364;bten: ihre Bekehrung zum Chri&#x017F;tenthume<lb/>
und ihre Einverleibung in die fra&#x0364;nki&#x017F;che Monarchie. Die<lb/>
chri&#x017F;tliche Religion, fu&#x0364;r welche gerade bei den Germanen die<lb/>
gro&#x0364;ßte Empfa&#x0364;nglichkeit vorhanden war, hat &#x017F;ie befa&#x0364;higt, an<lb/>
der allgemeinen Entwicklung der abendla&#x0364;ndi&#x017F;chen Cultur Theil<lb/>
zu nehmen, und u&#x0364;berhaupt auf das Rechtswe&#x017F;en bedeutungs-<lb/>
voll einwirkend, vor Allem in der eigenthu&#x0364;mlichen Stellung<lb/>
der Gei&#x017F;tlichkeit ein neues Element der Verfa&#x017F;&#x017F;ung hervorge-<lb/>
rufen. In der fra&#x0364;nki&#x017F;chen Monarchie aber kamen die Deut-<lb/>
&#x017F;chen unter die Gewalt des auf dem eroberten ro&#x0364;mi&#x017F;chen Bo-<lb/>
den entwickelten Ko&#x0364;nigthums, welches die Souverainita&#x0364;t der<lb/>
einzelnen Volks&#x017F;ta&#x0364;mme und ihrer Herzo&#x0364;ge be&#x017F;chra&#x0364;nkte, und &#x017F;ie<lb/>
zu einer, wenn auch nur a&#x0364;ußerlichen politi&#x017F;chen Einheit zu-<lb/>
&#x017F;ammenfu&#x0364;hrte, in der &#x017F;ich &#x017F;chon ein geordnetes Staatsleben<lb/>
geltend machte. Karl&#x2019;s des Großen Sieg u&#x0364;ber die Sach&#x017F;en<lb/>
bildet den Wendepunct in die&#x017F;er Periode der deut&#x017F;chen Ge-<lb/>
&#x017F;chichte, wie denn u&#x0364;berhaupt die Bedeutung des fra&#x0364;nki&#x017F;chen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0019] Hiſtoriſche Einleitung. griff ſie nicht in regelmaͤßiger Wirkſamkeit ein, ſondern uͤber- wachte und leitete hauptſaͤchlich, ſo gut es ging, die Fehden der einzelnen Genoſſen, die aber ſeltner mit Waffen als mit Ei- den ausgekaͤmpft wurden, und in der Zahlung einer Buße an den Verletzten regelmaͤßig ihre Erledigung fanden. Doch erhob ſie vom Friedbrecher in ſelbſtaͤndiger Berechtigung auch noch das Fredum, und wer ſich direct an der Geſammtheit verging, den traf die Strafe des Verraͤthers. Im Felde wird aber uͤberhaupt ein ſtrengeres Kriegsrecht gegolten haben. In dieſer Lage blieben die im heutigen Deutſchland an- geſeſſenen Volksſtaͤmme, (denn nur mit dieſen haben wir es hier zunaͤchſt zu thun) bis zwei Ereigniſſe eintraten, welche zu einander in naher Beziehung ſtehend, einen welthiſtoriſchen Einfluß auf ſie ausuͤbten: ihre Bekehrung zum Chriſtenthume und ihre Einverleibung in die fraͤnkiſche Monarchie. Die chriſtliche Religion, fuͤr welche gerade bei den Germanen die groͤßte Empfaͤnglichkeit vorhanden war, hat ſie befaͤhigt, an der allgemeinen Entwicklung der abendlaͤndiſchen Cultur Theil zu nehmen, und uͤberhaupt auf das Rechtsweſen bedeutungs- voll einwirkend, vor Allem in der eigenthuͤmlichen Stellung der Geiſtlichkeit ein neues Element der Verfaſſung hervorge- rufen. In der fraͤnkiſchen Monarchie aber kamen die Deut- ſchen unter die Gewalt des auf dem eroberten roͤmiſchen Bo- den entwickelten Koͤnigthums, welches die Souverainitaͤt der einzelnen Volksſtaͤmme und ihrer Herzoͤge beſchraͤnkte, und ſie zu einer, wenn auch nur aͤußerlichen politiſchen Einheit zu- ſammenfuͤhrte, in der ſich ſchon ein geordnetes Staatsleben geltend machte. Karl’s des Großen Sieg uͤber die Sachſen bildet den Wendepunct in dieſer Periode der deutſchen Ge- ſchichte, wie denn uͤberhaupt die Bedeutung des fraͤnkiſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/19
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/19>, abgerufen am 27.11.2024.