die ausschließliche Quelle des Rechts dachte, so ließ man das Gewohnheitsrecht nur durch die ausdrückliche oder stillschwei- gende Genehmigung des Staats entstehen, und nahm, um ein falsches Princip aufrecht zu erhalten, zu Fictionen seine Zuflucht.
2. Die Nothwendigkeit der Staatsgenehmigung wird auch auf das römische Recht zurückgeführt. Allein dieses, ohne Ahnung von dem germanischen Associationsgeiste und den dadurch hervorgerufenen Instituten, verlangt nur aus po- lizeilichen Gründen, welche mit der Verfassung der Monarchie zusammenhingen, eine Bestätigung der collegia und cor- pora, die erst in Folge ausdrücklicher Gesetze beliebt ward, und das heutige Recht und namentlich die deutschrechtliche Genossenschaft nicht berührt. Zwar könnte man hiergegen einwenden wollen, das Juristenrecht habe diese beschränkende Vorschrift in Deutschland recipirt und generalisirt; allein wenn auch die Juristen in dieser Beziehung die gleichen Principien verfochten hätten, was, wie gezeigt, nicht der Fall gewesen ist, so würde doch die Beobachtung des im Volke waltenden Rechtslebens zeigen, daß sie mit ihrer Ansicht nicht durchge- drungen sind. Denn es finden sich in deutschen Ländern, wo das römische Princip nicht ausdrücklich sanctionirt worden ist, viele Genossenschaften, die keine Staatsgenehmigung erhalten haben, und welche doch auch der entschiedenste Romanist nicht, ohne sich lächerlich zu machen, selbst in Beziehung auf das Vermögen, als bloße communio behandeln dürfte. Man denke sich nur einen schon lange in anerkannter Wirksamkeit bestehenden geselligen Klubb, der nicht confirmirt worden, mit einem bedeutenden Vermögen, und lasse ein austretendes Mitglied oder die Erben eines verstorbenen die Theilungsklage anstellen!
Sechſtes Kapitel.
die ausſchließliche Quelle des Rechts dachte, ſo ließ man das Gewohnheitsrecht nur durch die ausdruͤckliche oder ſtillſchwei- gende Genehmigung des Staats entſtehen, und nahm, um ein falſches Princip aufrecht zu erhalten, zu Fictionen ſeine Zuflucht.
2. Die Nothwendigkeit der Staatsgenehmigung wird auch auf das roͤmiſche Recht zuruͤckgefuͤhrt. Allein dieſes, ohne Ahnung von dem germaniſchen Aſſociationsgeiſte und den dadurch hervorgerufenen Inſtituten, verlangt nur aus po- lizeilichen Gruͤnden, welche mit der Verfaſſung der Monarchie zuſammenhingen, eine Beſtaͤtigung der collegia und cor- pora, die erſt in Folge ausdruͤcklicher Geſetze beliebt ward, und das heutige Recht und namentlich die deutſchrechtliche Genoſſenſchaft nicht beruͤhrt. Zwar koͤnnte man hiergegen einwenden wollen, das Juriſtenrecht habe dieſe beſchraͤnkende Vorſchrift in Deutſchland recipirt und generaliſirt; allein wenn auch die Juriſten in dieſer Beziehung die gleichen Principien verfochten haͤtten, was, wie gezeigt, nicht der Fall geweſen iſt, ſo wuͤrde doch die Beobachtung des im Volke waltenden Rechtslebens zeigen, daß ſie mit ihrer Anſicht nicht durchge- drungen ſind. Denn es finden ſich in deutſchen Laͤndern, wo das roͤmiſche Princip nicht ausdruͤcklich ſanctionirt worden iſt, viele Genoſſenſchaften, die keine Staatsgenehmigung erhalten haben, und welche doch auch der entſchiedenſte Romaniſt nicht, ohne ſich laͤcherlich zu machen, ſelbſt in Beziehung auf das Vermoͤgen, als bloße communio behandeln duͤrfte. Man denke ſich nur einen ſchon lange in anerkannter Wirkſamkeit beſtehenden geſelligen Klubb, der nicht confirmirt worden, mit einem bedeutenden Vermoͤgen, und laſſe ein austretendes Mitglied oder die Erben eines verſtorbenen die Theilungsklage anſtellen!
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Sechſtes Kapitel.
die ausſchließliche Quelle des Rechts dachte, ſo ließ man das
Gewohnheitsrecht nur durch die ausdruͤckliche oder ſtillſchwei-
gende Genehmigung des Staats entſtehen, und nahm, um ein
falſches Princip aufrecht zu erhalten, zu Fictionen ſeine Zuflucht.
2. Die Nothwendigkeit der Staatsgenehmigung wird
auch auf das roͤmiſche Recht zuruͤckgefuͤhrt. Allein dieſes,
ohne Ahnung von dem germaniſchen Aſſociationsgeiſte und
den dadurch hervorgerufenen Inſtituten, verlangt nur aus po-
lizeilichen Gruͤnden, welche mit der Verfaſſung der Monarchie
zuſammenhingen, eine Beſtaͤtigung der collegia und cor-
pora, die erſt in Folge ausdruͤcklicher Geſetze beliebt ward,
und das heutige Recht und namentlich die deutſchrechtliche
Genoſſenſchaft nicht beruͤhrt. Zwar koͤnnte man hiergegen
einwenden wollen, das Juriſtenrecht habe dieſe beſchraͤnkende
Vorſchrift in Deutſchland recipirt und generaliſirt; allein wenn
auch die Juriſten in dieſer Beziehung die gleichen Principien
verfochten haͤtten, was, wie gezeigt, nicht der Fall geweſen iſt,
ſo wuͤrde doch die Beobachtung des im Volke waltenden
Rechtslebens zeigen, daß ſie mit ihrer Anſicht nicht durchge-
drungen ſind. Denn es finden ſich in deutſchen Laͤndern, wo
das roͤmiſche Princip nicht ausdruͤcklich ſanctionirt worden iſt,
viele Genoſſenſchaften, die keine Staatsgenehmigung erhalten
haben, und welche doch auch der entſchiedenſte Romaniſt nicht,
ohne ſich laͤcherlich zu machen, ſelbſt in Beziehung auf das
Vermoͤgen, als bloße communio behandeln duͤrfte. Man
denke ſich nur einen ſchon lange in anerkannter Wirkſamkeit
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Mitglied oder die Erben eines verſtorbenen die Theilungsklage
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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/186>, abgerufen am 16.02.2025.
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