Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Sechstes Kapitel. tion schon politisch in Verfall gerathen war, in dem corpora-tiven Leben ein Bild der Fülle und Tüchtigkeit dar. Aber vor der seit dem 17. Jahrhundert einseitig erweiterten Fürsten- gewalt trat auch die Selbständigkeit und freie Bewegung der Corporationen zurück, welche keinen nationalen Anhalt fanden, an dem sie sich hätten erheben können; es ward auf ihre Ko- sten eine einheitliche Staatsgewalt begründet, welche sich in der unmittelbaren Herrschaft auch über das Einzelne und Kleine gefiel, und den Deutschen blieb von ihrer ursprüngli- chen Ausrüstung fast nur der Familiensinn übrig. So erlosch auch der Associationsgeist in seiner bildenden Kraft fast ganz da ihm seine erste Bedingung, die Freiheit, versagt war, und allein England zeigte noch, was er zu wirken vermöge. -- In neuerer Zeit aber hat sich Manches gebessert: hat es die Na- tion auch noch nicht erreicht, in den höheren Beziehungen des Staatslebens zu einem befriedigten Daseyn zu gelangen, so ist doch an dem festen Unterbau der politischen Freiheit mit Erfolg gearbeitet worden; die Gemeinden namentlich haben eine würdigere Stellung erhalten, und auch der Associations- geist regt sich wieder mit frischer Kraft, und vereint die Ein- zelnen zur gemeinsamen Bestrebung. Daher ist aber die juri- stische Beurtheilung der Genossenschaften auch vorzugsweise dem Rechtsleben der Gegenwart zu entnehmen, indem die hi- storische Deduction an die Zeit anzuknüpfen hat, in welcher jener Geist noch in ungeschwächter Wirksamkeit unter den Deut- schen thätig war. Das 17. und 18. Jahrhundert, in denen gerade das heutige Juristenrecht ausgebildet worden, gewähren in dieser Hinsicht fast gar keine Ausbeute, und nur bei der Betrachtung einzelner Institute ist auf sie Rücksicht zu nehmen. Sechſtes Kapitel. tion ſchon politiſch in Verfall gerathen war, in dem corpora-tiven Leben ein Bild der Fuͤlle und Tuͤchtigkeit dar. Aber vor der ſeit dem 17. Jahrhundert einſeitig erweiterten Fuͤrſten- gewalt trat auch die Selbſtaͤndigkeit und freie Bewegung der Corporationen zuruͤck, welche keinen nationalen Anhalt fanden, an dem ſie ſich haͤtten erheben koͤnnen; es ward auf ihre Ko- ſten eine einheitliche Staatsgewalt begruͤndet, welche ſich in der unmittelbaren Herrſchaft auch uͤber das Einzelne und Kleine gefiel, und den Deutſchen blieb von ihrer urſpruͤngli- chen Ausruͤſtung faſt nur der Familienſinn uͤbrig. So erloſch auch der Aſſociationsgeiſt in ſeiner bildenden Kraft faſt ganz da ihm ſeine erſte Bedingung, die Freiheit, verſagt war, und allein England zeigte noch, was er zu wirken vermoͤge. — In neuerer Zeit aber hat ſich Manches gebeſſert: hat es die Na- tion auch noch nicht erreicht, in den hoͤheren Beziehungen des Staatslebens zu einem befriedigten Daſeyn zu gelangen, ſo iſt doch an dem feſten Unterbau der politiſchen Freiheit mit Erfolg gearbeitet worden; die Gemeinden namentlich haben eine wuͤrdigere Stellung erhalten, und auch der Aſſociations- geiſt regt ſich wieder mit friſcher Kraft, und vereint die Ein- zelnen zur gemeinſamen Beſtrebung. Daher iſt aber die juri- ſtiſche Beurtheilung der Genoſſenſchaften auch vorzugsweiſe dem Rechtsleben der Gegenwart zu entnehmen, indem die hi- ſtoriſche Deduction an die Zeit anzuknuͤpfen hat, in welcher jener Geiſt noch in ungeſchwaͤchter Wirkſamkeit unter den Deut- ſchen thaͤtig war. Das 17. und 18. Jahrhundert, in denen gerade das heutige Juriſtenrecht ausgebildet worden, gewaͤhren in dieſer Hinſicht faſt gar keine Ausbeute, und nur bei der Betrachtung einzelner Inſtitute iſt auf ſie Ruͤckſicht zu nehmen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0172" n="160"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechſtes Kapitel</hi>.</fw><lb/> tion ſchon politiſch in Verfall gerathen war, in dem corpora-<lb/> tiven Leben ein Bild der Fuͤlle und Tuͤchtigkeit dar. Aber<lb/> vor der ſeit dem 17. 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Sechſtes Kapitel.
tion ſchon politiſch in Verfall gerathen war, in dem corpora-
tiven Leben ein Bild der Fuͤlle und Tuͤchtigkeit dar. Aber
vor der ſeit dem 17. Jahrhundert einſeitig erweiterten Fuͤrſten-
gewalt trat auch die Selbſtaͤndigkeit und freie Bewegung der
Corporationen zuruͤck, welche keinen nationalen Anhalt fanden,
an dem ſie ſich haͤtten erheben koͤnnen; es ward auf ihre Ko-
ſten eine einheitliche Staatsgewalt begruͤndet, welche ſich in
der unmittelbaren Herrſchaft auch uͤber das Einzelne und
Kleine gefiel, und den Deutſchen blieb von ihrer urſpruͤngli-
chen Ausruͤſtung faſt nur der Familienſinn uͤbrig. So erloſch
auch der Aſſociationsgeiſt in ſeiner bildenden Kraft faſt ganz
da ihm ſeine erſte Bedingung, die Freiheit, verſagt war, und
allein England zeigte noch, was er zu wirken vermoͤge. — In
neuerer Zeit aber hat ſich Manches gebeſſert: hat es die Na-
tion auch noch nicht erreicht, in den hoͤheren Beziehungen des
Staatslebens zu einem befriedigten Daſeyn zu gelangen, ſo
iſt doch an dem feſten Unterbau der politiſchen Freiheit mit
Erfolg gearbeitet worden; die Gemeinden namentlich haben
eine wuͤrdigere Stellung erhalten, und auch der Aſſociations-
geiſt regt ſich wieder mit friſcher Kraft, und vereint die Ein-
zelnen zur gemeinſamen Beſtrebung. Daher iſt aber die juri-
ſtiſche Beurtheilung der Genoſſenſchaften auch vorzugsweiſe
dem Rechtsleben der Gegenwart zu entnehmen, indem die hi-
ſtoriſche Deduction an die Zeit anzuknuͤpfen hat, in welcher
jener Geiſt noch in ungeſchwaͤchter Wirkſamkeit unter den Deut-
ſchen thaͤtig war. Das 17. und 18. Jahrhundert, in denen
gerade das heutige Juriſtenrecht ausgebildet worden, gewaͤhren
in dieſer Hinſicht faſt gar keine Ausbeute, und nur bei der
Betrachtung einzelner Inſtitute iſt auf ſie Ruͤckſicht zu
nehmen.
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