Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Fortsetzung. -- Das Recht der Genossenschaft. durfte. -- Forschen wir nun dem tieferen Zusammenhange die-ser Erscheinung nach, so stellt sich der wesentliche Unterschied heraus, daß der antike Staat von einer verhältnißmäßig gerin- gen Zahl freier Bürger getragen ward, während es die Auf- gabe der modernen, durch das Christenthum geläuterten Zeit ist, die Idee des Vaterlandes und der Freiheit in einer zahl- reichen, im Wesentlichen gleich berechtigten Bevölkerung zur Geltung zu bringen. Wie aber nun einmal die Natur des Menschen ist, so läßt sich die Menge von dem Höchsten und Allgemeinsten nicht fortwährend beherrschen, sie will das, woran ihr Leben in Freude und Leid gebunden ist, in unmittelbarer Nähe erfassen; auch ist bei den heutigen, selbst räumlichen Verhältnissen der Staaten, die Theilnahme Aller an der Aus- übung der höchsten Gewalt undenkbar, und doch ist es die unmittelbare Ausübung eines Rechts, die Macht, wonach Alle streben. Die Vorsehung hat daher wunderbar für die Mensch- heit gesorgt, als sie, nachdem das Alterthum in der grauen- vollen Oede des römischen Principats untergegangen war, die Germanen zur Begründung eines neuen Lebens in der Welt- geschichte auftreten ließ, ausgerüstet nicht nur mit der nöthi- gen Naturkraft, um körperlich und geistig eine umfassende Re- generation zu bewirken, sondern auch mit dem tiefen Familien- sinn und mit jenem Associationsgeiste, welcher, der höchsten Entwicklung zum Staate fähig, sich doch auch in den niedern Sphären des Lebens, in der Gemeinde und der Genossenschaft, mit einer beschränkteren Wirksamkeit genügen ließ, so wie neben der Liebe zum großen Vaterlande auch die zur trauten Hei- math sich erhalten konnte. Das germanische Mittelalter be- wegte sich daher vorzugsweise in jenen engeren Kreisen, und auch die deutsche Geschichte bietet noch zur Zeit, als die Na- Fortſetzung. — Das Recht der Genoſſenſchaft. durfte. — Forſchen wir nun dem tieferen Zuſammenhange die-ſer Erſcheinung nach, ſo ſtellt ſich der weſentliche Unterſchied heraus, daß der antike Staat von einer verhaͤltnißmaͤßig gerin- gen Zahl freier Buͤrger getragen ward, waͤhrend es die Auf- gabe der modernen, durch das Chriſtenthum gelaͤuterten Zeit iſt, die Idee des Vaterlandes und der Freiheit in einer zahl- reichen, im Weſentlichen gleich berechtigten Bevoͤlkerung zur Geltung zu bringen. Wie aber nun einmal die Natur des Menſchen iſt, ſo laͤßt ſich die Menge von dem Hoͤchſten und Allgemeinſten nicht fortwaͤhrend beherrſchen, ſie will das, woran ihr Leben in Freude und Leid gebunden iſt, in unmittelbarer Naͤhe erfaſſen; auch iſt bei den heutigen, ſelbſt raͤumlichen Verhaͤltniſſen der Staaten, die Theilnahme Aller an der Aus- uͤbung der hoͤchſten Gewalt undenkbar, und doch iſt es die unmittelbare Ausuͤbung eines Rechts, die Macht, wonach Alle ſtreben. Die Vorſehung hat daher wunderbar fuͤr die Menſch- heit geſorgt, als ſie, nachdem das Alterthum in der grauen- vollen Oede des roͤmiſchen Principats untergegangen war, die Germanen zur Begruͤndung eines neuen Lebens in der Welt- geſchichte auftreten ließ, ausgeruͤſtet nicht nur mit der noͤthi- gen Naturkraft, um koͤrperlich und geiſtig eine umfaſſende Re- generation zu bewirken, ſondern auch mit dem tiefen Familien- ſinn und mit jenem Aſſociationsgeiſte, welcher, der hoͤchſten Entwicklung zum Staate faͤhig, ſich doch auch in den niedern Sphaͤren des Lebens, in der Gemeinde und der Genoſſenſchaft, mit einer beſchraͤnkteren Wirkſamkeit genuͤgen ließ, ſo wie neben der Liebe zum großen Vaterlande auch die zur trauten Hei- math ſich erhalten konnte. Das germaniſche Mittelalter be- wegte ſich daher vorzugsweiſe in jenen engeren Kreiſen, und auch die deutſche Geſchichte bietet noch zur Zeit, als die Na- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0171" n="159"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fortſetzung. — Das Recht der Genoſſenſchaft</hi>.</fw><lb/> durfte. — Forſchen wir nun dem tieferen Zuſammenhange die-<lb/> ſer Erſcheinung nach, ſo ſtellt ſich der weſentliche Unterſchied<lb/> heraus, daß der antike Staat von einer verhaͤltnißmaͤßig gerin-<lb/> gen Zahl freier Buͤrger getragen ward, waͤhrend es die Auf-<lb/> gabe der modernen, durch das Chriſtenthum gelaͤuterten Zeit<lb/> iſt, die Idee des Vaterlandes und der Freiheit in einer zahl-<lb/> reichen, im Weſentlichen gleich berechtigten Bevoͤlkerung zur<lb/> Geltung zu bringen. Wie aber nun einmal die Natur des<lb/> Menſchen iſt, ſo laͤßt ſich die Menge von dem Hoͤchſten und<lb/> Allgemeinſten nicht fortwaͤhrend beherrſchen, ſie will das, woran<lb/> ihr Leben in Freude und Leid gebunden iſt, in unmittelbarer<lb/> Naͤhe erfaſſen; auch iſt bei den heutigen, ſelbſt raͤumlichen<lb/> Verhaͤltniſſen der Staaten, die Theilnahme Aller an der Aus-<lb/> uͤbung der hoͤchſten Gewalt undenkbar, und doch iſt es die<lb/> unmittelbare Ausuͤbung eines Rechts, die Macht, wonach Alle<lb/> ſtreben. Die Vorſehung hat daher wunderbar fuͤr die Menſch-<lb/> heit geſorgt, als ſie, nachdem das Alterthum in der grauen-<lb/> vollen Oede des roͤmiſchen Principats untergegangen war, die<lb/> Germanen zur Begruͤndung eines neuen Lebens in der Welt-<lb/> geſchichte auftreten ließ, ausgeruͤſtet nicht nur mit der noͤthi-<lb/> gen Naturkraft, um koͤrperlich und geiſtig eine umfaſſende Re-<lb/> generation zu bewirken, ſondern auch mit dem tiefen Familien-<lb/> ſinn und mit jenem Aſſociationsgeiſte, welcher, der hoͤchſten<lb/> Entwicklung zum Staate faͤhig, ſich doch auch in den niedern<lb/> Sphaͤren des Lebens, in der Gemeinde und der Genoſſenſchaft,<lb/> mit einer beſchraͤnkteren Wirkſamkeit genuͤgen ließ, ſo wie neben<lb/> der Liebe zum großen Vaterlande auch die zur trauten Hei-<lb/> math ſich erhalten konnte. Das germaniſche Mittelalter be-<lb/> wegte ſich daher vorzugsweiſe in jenen engeren Kreiſen, und<lb/> auch die deutſche Geſchichte bietet noch zur Zeit, als die Na-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [159/0171]
Fortſetzung. — Das Recht der Genoſſenſchaft.
durfte. — Forſchen wir nun dem tieferen Zuſammenhange die-
ſer Erſcheinung nach, ſo ſtellt ſich der weſentliche Unterſchied
heraus, daß der antike Staat von einer verhaͤltnißmaͤßig gerin-
gen Zahl freier Buͤrger getragen ward, waͤhrend es die Auf-
gabe der modernen, durch das Chriſtenthum gelaͤuterten Zeit
iſt, die Idee des Vaterlandes und der Freiheit in einer zahl-
reichen, im Weſentlichen gleich berechtigten Bevoͤlkerung zur
Geltung zu bringen. Wie aber nun einmal die Natur des
Menſchen iſt, ſo laͤßt ſich die Menge von dem Hoͤchſten und
Allgemeinſten nicht fortwaͤhrend beherrſchen, ſie will das, woran
ihr Leben in Freude und Leid gebunden iſt, in unmittelbarer
Naͤhe erfaſſen; auch iſt bei den heutigen, ſelbſt raͤumlichen
Verhaͤltniſſen der Staaten, die Theilnahme Aller an der Aus-
uͤbung der hoͤchſten Gewalt undenkbar, und doch iſt es die
unmittelbare Ausuͤbung eines Rechts, die Macht, wonach Alle
ſtreben. Die Vorſehung hat daher wunderbar fuͤr die Menſch-
heit geſorgt, als ſie, nachdem das Alterthum in der grauen-
vollen Oede des roͤmiſchen Principats untergegangen war, die
Germanen zur Begruͤndung eines neuen Lebens in der Welt-
geſchichte auftreten ließ, ausgeruͤſtet nicht nur mit der noͤthi-
gen Naturkraft, um koͤrperlich und geiſtig eine umfaſſende Re-
generation zu bewirken, ſondern auch mit dem tiefen Familien-
ſinn und mit jenem Aſſociationsgeiſte, welcher, der hoͤchſten
Entwicklung zum Staate faͤhig, ſich doch auch in den niedern
Sphaͤren des Lebens, in der Gemeinde und der Genoſſenſchaft,
mit einer beſchraͤnkteren Wirkſamkeit genuͤgen ließ, ſo wie neben
der Liebe zum großen Vaterlande auch die zur trauten Hei-
math ſich erhalten konnte. Das germaniſche Mittelalter be-
wegte ſich daher vorzugsweiſe in jenen engeren Kreiſen, und
auch die deutſche Geſchichte bietet noch zur Zeit, als die Na-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |