Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertes Kapitel.
ding immermehr an Bedeutung verlor, und die Lehen- und
Voigtsgerichte, in den Städten auch die Schöffenbank oder
der Stadtrath die Auflassung der zu ihrer Competenz gehöri-
gen Güter vor sich vollziehen ließen. Denn die jetzt mehr
Platz greifende richterliche Voruntersuchung, welche namentlich
das Recht an Erbgütern feststellte, hatte doch nicht eine solche
Bedeutung, daß dadurch jede spätere Anfechtung unmöglich
ward, da von einer eventuellen Haftung des Gerichts wegen
mangelhafter Berichtigung des Legitimationspunctes wohl vor
den neueren Gesetzgebungen keine Spuren vorkommen. Immer
aber blieb, so lange die deutsche Gerichtsverfassung bestand,
die gerichtliche Auflassung die einzige Form, welche neben der
Erbfolge und dem Richterspruch das Eigenthum oder irgend
ein dingliches Recht (die Gewere) an Immobilien übertrug,
und wenn auch seit dem 13. Jahrhunderte, namentlich in den
Städten, die schriftliche Aufzeichnung der vollzogenen Auflas-
sung hinzukam, so war dieß nichts Wesentliches, und diente
bloß zur Sicherung des Beweises, ersetzte wenigstens die feier-
liche Handlung selbst nicht. -- Durch das Princip der Auf-
lassung ward nun dem deutschen Recht des Grundbesitzes eine
außerordentliche Festigkeit und Sicherheit gegeben; es ward da-
durch der Besitztitel des Eigenthümers unter die Garantie der
Oeffentlichkeit gestellt, und jedes dingliche Recht in Beziehung
auf den Erwerb und die Priorität vollständig geschützt und
controlirt. Später, als das römische Recht aufgenommen,
die deutsche Gerichtsverfassung gesprengt ward, änderte sich
das Verhältniß: die Romanisten, welche die mancipatio und
in jure cessio als einen etwaigen Anhalt im Justinianischen
Rechte nicht mehr vorfanden, übersahen ganz die Bedeutung
des deutschrechtlichen Instituts, und erkannten statt dessen für

Viertes Kapitel.
ding immermehr an Bedeutung verlor, und die Lehen- und
Voigtsgerichte, in den Staͤdten auch die Schoͤffenbank oder
der Stadtrath die Auflaſſung der zu ihrer Competenz gehoͤri-
gen Guͤter vor ſich vollziehen ließen. Denn die jetzt mehr
Platz greifende richterliche Vorunterſuchung, welche namentlich
das Recht an Erbguͤtern feſtſtellte, hatte doch nicht eine ſolche
Bedeutung, daß dadurch jede ſpaͤtere Anfechtung unmoͤglich
ward, da von einer eventuellen Haftung des Gerichts wegen
mangelhafter Berichtigung des Legitimationspunctes wohl vor
den neueren Geſetzgebungen keine Spuren vorkommen. Immer
aber blieb, ſo lange die deutſche Gerichtsverfaſſung beſtand,
die gerichtliche Auflaſſung die einzige Form, welche neben der
Erbfolge und dem Richterſpruch das Eigenthum oder irgend
ein dingliches Recht (die Gewere) an Immobilien uͤbertrug,
und wenn auch ſeit dem 13. Jahrhunderte, namentlich in den
Staͤdten, die ſchriftliche Aufzeichnung der vollzogenen Auflaſ-
ſung hinzukam, ſo war dieß nichts Weſentliches, und diente
bloß zur Sicherung des Beweiſes, erſetzte wenigſtens die feier-
liche Handlung ſelbſt nicht. — Durch das Princip der Auf-
laſſung ward nun dem deutſchen Recht des Grundbeſitzes eine
außerordentliche Feſtigkeit und Sicherheit gegeben; es ward da-
durch der Beſitztitel des Eigenthuͤmers unter die Garantie der
Oeffentlichkeit geſtellt, und jedes dingliche Recht in Beziehung
auf den Erwerb und die Prioritaͤt vollſtaͤndig geſchuͤtzt und
controlirt. Spaͤter, als das roͤmiſche Recht aufgenommen,
die deutſche Gerichtsverfaſſung geſprengt ward, aͤnderte ſich
das Verhaͤltniß: die Romaniſten, welche die mancipatio und
in jure cessio als einen etwaigen Anhalt im Juſtinianiſchen
Rechte nicht mehr vorfanden, uͤberſahen ganz die Bedeutung
des deutſchrechtlichen Inſtituts, und erkannten ſtatt deſſen fuͤr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0144" n="132"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Viertes Kapitel</hi>.</fw><lb/>
ding immermehr an Bedeutung verlor, und die Lehen- und<lb/>
Voigtsgerichte, in den Sta&#x0364;dten auch die Scho&#x0364;ffenbank oder<lb/>
der Stadtrath die Aufla&#x017F;&#x017F;ung der zu ihrer Competenz geho&#x0364;ri-<lb/>
gen Gu&#x0364;ter vor &#x017F;ich vollziehen ließen. Denn die jetzt mehr<lb/>
Platz greifende richterliche Vorunter&#x017F;uchung, welche namentlich<lb/>
das Recht an Erbgu&#x0364;tern fe&#x017F;t&#x017F;tellte, hatte doch nicht eine &#x017F;olche<lb/>
Bedeutung, daß dadurch jede &#x017F;pa&#x0364;tere Anfechtung unmo&#x0364;glich<lb/>
ward, da von einer eventuellen Haftung des Gerichts wegen<lb/>
mangelhafter Berichtigung des Legitimationspunctes wohl vor<lb/>
den neueren Ge&#x017F;etzgebungen keine Spuren vorkommen. Immer<lb/>
aber blieb, &#x017F;o lange die deut&#x017F;che Gerichtsverfa&#x017F;&#x017F;ung be&#x017F;tand,<lb/>
die gerichtliche Aufla&#x017F;&#x017F;ung die einzige Form, welche neben der<lb/>
Erbfolge und dem Richter&#x017F;pruch das Eigenthum oder irgend<lb/>
ein dingliches Recht (die Gewere) an Immobilien u&#x0364;bertrug,<lb/>
und wenn auch &#x017F;eit dem 13. Jahrhunderte, namentlich in den<lb/>
Sta&#x0364;dten, die &#x017F;chriftliche Aufzeichnung der vollzogenen Aufla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ung hinzukam, &#x017F;o war dieß nichts We&#x017F;entliches, und diente<lb/>
bloß zur Sicherung des Bewei&#x017F;es, er&#x017F;etzte wenig&#x017F;tens die feier-<lb/>
liche Handlung &#x017F;elb&#x017F;t nicht. &#x2014; Durch das Princip der Auf-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;ung ward nun dem deut&#x017F;chen Recht des Grundbe&#x017F;itzes eine<lb/>
außerordentliche Fe&#x017F;tigkeit und Sicherheit gegeben; es ward da-<lb/>
durch der Be&#x017F;itztitel des Eigenthu&#x0364;mers unter die Garantie der<lb/>
Oeffentlichkeit ge&#x017F;tellt, und jedes dingliche Recht in Beziehung<lb/>
auf den Erwerb und die Priorita&#x0364;t voll&#x017F;ta&#x0364;ndig ge&#x017F;chu&#x0364;tzt und<lb/>
controlirt. Spa&#x0364;ter, als das ro&#x0364;mi&#x017F;che Recht aufgenommen,<lb/>
die deut&#x017F;che Gerichtsverfa&#x017F;&#x017F;ung ge&#x017F;prengt ward, a&#x0364;nderte &#x017F;ich<lb/>
das Verha&#x0364;ltniß: die Romani&#x017F;ten, welche die <hi rendition="#aq">mancipatio</hi> und<lb/><hi rendition="#aq">in jure cessio</hi> als einen etwaigen Anhalt im Ju&#x017F;tiniani&#x017F;chen<lb/>
Rechte nicht mehr vorfanden, u&#x0364;ber&#x017F;ahen ganz die Bedeutung<lb/>
des deut&#x017F;chrechtlichen In&#x017F;tituts, und erkannten &#x017F;tatt de&#x017F;&#x017F;en fu&#x0364;r<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0144] Viertes Kapitel. ding immermehr an Bedeutung verlor, und die Lehen- und Voigtsgerichte, in den Staͤdten auch die Schoͤffenbank oder der Stadtrath die Auflaſſung der zu ihrer Competenz gehoͤri- gen Guͤter vor ſich vollziehen ließen. Denn die jetzt mehr Platz greifende richterliche Vorunterſuchung, welche namentlich das Recht an Erbguͤtern feſtſtellte, hatte doch nicht eine ſolche Bedeutung, daß dadurch jede ſpaͤtere Anfechtung unmoͤglich ward, da von einer eventuellen Haftung des Gerichts wegen mangelhafter Berichtigung des Legitimationspunctes wohl vor den neueren Geſetzgebungen keine Spuren vorkommen. Immer aber blieb, ſo lange die deutſche Gerichtsverfaſſung beſtand, die gerichtliche Auflaſſung die einzige Form, welche neben der Erbfolge und dem Richterſpruch das Eigenthum oder irgend ein dingliches Recht (die Gewere) an Immobilien uͤbertrug, und wenn auch ſeit dem 13. Jahrhunderte, namentlich in den Staͤdten, die ſchriftliche Aufzeichnung der vollzogenen Auflaſ- ſung hinzukam, ſo war dieß nichts Weſentliches, und diente bloß zur Sicherung des Beweiſes, erſetzte wenigſtens die feier- liche Handlung ſelbſt nicht. — Durch das Princip der Auf- laſſung ward nun dem deutſchen Recht des Grundbeſitzes eine außerordentliche Feſtigkeit und Sicherheit gegeben; es ward da- durch der Beſitztitel des Eigenthuͤmers unter die Garantie der Oeffentlichkeit geſtellt, und jedes dingliche Recht in Beziehung auf den Erwerb und die Prioritaͤt vollſtaͤndig geſchuͤtzt und controlirt. Spaͤter, als das roͤmiſche Recht aufgenommen, die deutſche Gerichtsverfaſſung geſprengt ward, aͤnderte ſich das Verhaͤltniß: die Romaniſten, welche die mancipatio und in jure cessio als einen etwaigen Anhalt im Juſtinianiſchen Rechte nicht mehr vorfanden, uͤberſahen ganz die Bedeutung des deutſchrechtlichen Inſtituts, und erkannten ſtatt deſſen fuͤr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/144
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/144>, abgerufen am 12.12.2024.