Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Viertes Kapitel. diums, welches durchaus eine gelehrte Richtung hat, haltenihn, wenn nicht ganz besonders günstige Umstände vorliegen, vom eigentlichen Volksleben fern, und stellen ihn, wenigstens in vielen Beziehungen, auf den Standpunct eines außerhalb desselben befindlichen Beobachters. Am Günstigsten ist noch die Lage des Advocaten, der mit den Parteien im unmittelba- ren Verkehr steht, und dem sie unbefangen ihr Herz aufschlie- ßen; ihm am Nächsten kommt der Unterrichter; schlimmer ist schon das Mitglied eines höheren Gerichtshofs gestellt, welches fast nur mit Acten verkehrt; am Meisten ist aber der Univer- sitätsgelehrte als solcher dem Rechtsleben entfremdet, nament- lich seitdem die Thätigkeit der Spruchcollegien so beschränkt worden ist. Und doch sind es gerade die zuletzt genannten Classen der Juristen, welche vorzugsweise die Förderung un seres Rechtes in Händen haben. -- Vor Allem nun liegt es dem Juristen ob, bei der Erkun- Viertes Kapitel. diums, welches durchaus eine gelehrte Richtung hat, haltenihn, wenn nicht ganz beſonders guͤnſtige Umſtaͤnde vorliegen, vom eigentlichen Volksleben fern, und ſtellen ihn, wenigſtens in vielen Beziehungen, auf den Standpunct eines außerhalb deſſelben befindlichen Beobachters. Am Guͤnſtigſten iſt noch die Lage des Advocaten, der mit den Parteien im unmittelba- ren Verkehr ſteht, und dem ſie unbefangen ihr Herz aufſchlie- ßen; ihm am Naͤchſten kommt der Unterrichter; ſchlimmer iſt ſchon das Mitglied eines hoͤheren Gerichtshofs geſtellt, welches faſt nur mit Acten verkehrt; am Meiſten iſt aber der Univer- ſitaͤtsgelehrte als ſolcher dem Rechtsleben entfremdet, nament- lich ſeitdem die Thaͤtigkeit der Spruchcollegien ſo beſchraͤnkt worden iſt. Und doch ſind es gerade die zuletzt genannten Claſſen der Juriſten, welche vorzugsweiſe die Foͤrderung un ſeres Rechtes in Haͤnden haben. — Vor Allem nun liegt es dem Juriſten ob, bei der Erkun- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0132" n="120"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Viertes Kapitel</hi>.</fw><lb/> diums, welches durchaus eine gelehrte Richtung hat, halten<lb/> ihn, wenn nicht ganz beſonders guͤnſtige Umſtaͤnde vorliegen,<lb/> vom eigentlichen Volksleben fern, und ſtellen ihn, wenigſtens<lb/> in vielen Beziehungen, auf den Standpunct eines außerhalb<lb/> deſſelben befindlichen Beobachters. Am Guͤnſtigſten iſt noch<lb/> die Lage des Advocaten, der mit den Parteien im unmittelba-<lb/> ren Verkehr ſteht, und dem ſie unbefangen ihr Herz aufſchlie-<lb/> ßen; ihm am Naͤchſten kommt der Unterrichter; ſchlimmer iſt<lb/> ſchon das Mitglied eines hoͤheren Gerichtshofs geſtellt, welches<lb/> faſt nur mit Acten verkehrt; am Meiſten iſt aber der Univer-<lb/> ſitaͤtsgelehrte als ſolcher dem Rechtsleben entfremdet, nament-<lb/> lich ſeitdem die Thaͤtigkeit der Spruchcollegien ſo beſchraͤnkt<lb/> worden iſt. Und doch ſind es gerade die zuletzt genannten<lb/> Claſſen der Juriſten, welche vorzugsweiſe die Foͤrderung un<lb/> ſeres Rechtes in Haͤnden haben. —</p><lb/> <p>Vor Allem nun liegt es dem Juriſten ob, bei der Erkun-<lb/> dung des Volksrechts mit voller Unbefangenheit zu Werke zu<lb/> gehen. Das iſt freilich eine Anforderung, welche ſich ganz<lb/> von ſelbſt verſteht, und daher, ſcheint es, kaum beſonders her-<lb/> vorgehoben zu werden braucht. Aber bei dem uͤberwiegenden<lb/> Einfluß, welchen das Studium des roͤmiſchen Rechts auf die<lb/> heutige juriſtiſche Bildung ausuͤbt, und bei der noch unvoll-<lb/> kommenen Entwicklung, welche dem einheimiſchen Rechte bis<lb/> jetzt zu Theil geworden iſt, trifft es ſich nur zu haͤufig, daß<lb/> ſelbſt derjenige, welcher das im Volke lebende Recht ſich an-<lb/> zueignen bemuͤht iſt, fremdartige Begriffe auf daſſelbe uͤber-<lb/> traͤgt, und mit Analogien ſich begnuͤgend, oder doch das ei-<lb/> gentliche Lebensprincip uͤberſehend, zur wahren Erkenntniß nicht<lb/> gelangen kann. Der unbefangene, verſtaͤndige Sinn, der un-<lb/> getruͤbte, natuͤrliche Blick, der Eifer fuͤr das Wirkliche und<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [120/0132]
Viertes Kapitel.
diums, welches durchaus eine gelehrte Richtung hat, halten
ihn, wenn nicht ganz beſonders guͤnſtige Umſtaͤnde vorliegen,
vom eigentlichen Volksleben fern, und ſtellen ihn, wenigſtens
in vielen Beziehungen, auf den Standpunct eines außerhalb
deſſelben befindlichen Beobachters. Am Guͤnſtigſten iſt noch
die Lage des Advocaten, der mit den Parteien im unmittelba-
ren Verkehr ſteht, und dem ſie unbefangen ihr Herz aufſchlie-
ßen; ihm am Naͤchſten kommt der Unterrichter; ſchlimmer iſt
ſchon das Mitglied eines hoͤheren Gerichtshofs geſtellt, welches
faſt nur mit Acten verkehrt; am Meiſten iſt aber der Univer-
ſitaͤtsgelehrte als ſolcher dem Rechtsleben entfremdet, nament-
lich ſeitdem die Thaͤtigkeit der Spruchcollegien ſo beſchraͤnkt
worden iſt. Und doch ſind es gerade die zuletzt genannten
Claſſen der Juriſten, welche vorzugsweiſe die Foͤrderung un
ſeres Rechtes in Haͤnden haben. —
Vor Allem nun liegt es dem Juriſten ob, bei der Erkun-
dung des Volksrechts mit voller Unbefangenheit zu Werke zu
gehen. Das iſt freilich eine Anforderung, welche ſich ganz
von ſelbſt verſteht, und daher, ſcheint es, kaum beſonders her-
vorgehoben zu werden braucht. Aber bei dem uͤberwiegenden
Einfluß, welchen das Studium des roͤmiſchen Rechts auf die
heutige juriſtiſche Bildung ausuͤbt, und bei der noch unvoll-
kommenen Entwicklung, welche dem einheimiſchen Rechte bis
jetzt zu Theil geworden iſt, trifft es ſich nur zu haͤufig, daß
ſelbſt derjenige, welcher das im Volke lebende Recht ſich an-
zueignen bemuͤht iſt, fremdartige Begriffe auf daſſelbe uͤber-
traͤgt, und mit Analogien ſich begnuͤgend, oder doch das ei-
gentliche Lebensprincip uͤberſehend, zur wahren Erkenntniß nicht
gelangen kann. Der unbefangene, verſtaͤndige Sinn, der un-
getruͤbte, natuͤrliche Blick, der Eifer fuͤr das Wirkliche und
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