Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Drittes Kapitel. Das gemeine Recht rc. Ständerecht, und zwar bald mit der Kraft einer unbedingten,bald nur mit der einer bedingten Geltung. Diese Eintheilung befaßt das gesammte gemeine Recht, mag es nun fremden oder einheimischen Ursprungs seyn. Auch das Volksrecht und das Juristenrecht werden dadurch nach dem Umfang ihrer Geltung näher bestimmt, und können also in der weitesten Ausdehnung und in der engsten Begrenzung ihre Anwendung finden. Doch ist der Sitz des Juristenrechts vor Allem in dem gemeinen Land- recht zu suchen, während das Volksrecht sich häufig auch in den engeren Kreisen der Gemeinde, der Provinz u. s. w. dar- stellt. Gerade hier hat sich, namentlich unter dem Bauern- stande, ein reicher Schatz von sinnvollen und echtnationalen Rechtsformen und Gebräuchen erhalten, welche von einem, der Gegenwart zugewandten Jacob Grimm erforscht und zusam- mengestellt, für die lebendige Kunde des einheimischen Rechts von großer Bedeutung werden könnten. Auch in dem Par- ticularrecht der einzelnen deutschen Staaten findet sich das Volksrecht in manchen eigenthümlichen Erscheinungen, welche nicht bloß eine allgemeine nationale Rechtsidee unter besonderen Modificationen wiedergeben. Daß sich eben in dieser Sphäre solche originelle Rechtsbildungen von wahrhaft volksthümlichem Gehalt nicht noch häufiger zeigen, als es in der That der Fall ist, erklärt sich wohl nur daraus, daß auf die Entstehung der meisten deutschen Staaten so viel Zufälliges eingewirkt hat, welches es nicht zu einem organischen Verwachsen der einzelnen Theile und zu einer entsprechenden Rechtsbildung kommen ließ. Drittes Kapitel. Das gemeine Recht ꝛc. Staͤnderecht, und zwar bald mit der Kraft einer unbedingten,bald nur mit der einer bedingten Geltung. Dieſe Eintheilung befaßt das geſammte gemeine Recht, mag es nun fremden oder einheimiſchen Urſprungs ſeyn. Auch das Volksrecht und das Juriſtenrecht werden dadurch nach dem Umfang ihrer Geltung naͤher beſtimmt, und koͤnnen alſo in der weiteſten Ausdehnung und in der engſten Begrenzung ihre Anwendung finden. Doch iſt der Sitz des Juriſtenrechts vor Allem in dem gemeinen Land- recht zu ſuchen, waͤhrend das Volksrecht ſich haͤufig auch in den engeren Kreiſen der Gemeinde, der Provinz u. ſ. w. dar- ſtellt. Gerade hier hat ſich, namentlich unter dem Bauern- ſtande, ein reicher Schatz von ſinnvollen und echtnationalen Rechtsformen und Gebraͤuchen erhalten, welche von einem, der Gegenwart zugewandten Jacob Grimm erforſcht und zuſam- mengeſtellt, fuͤr die lebendige Kunde des einheimiſchen Rechts von großer Bedeutung werden koͤnnten. Auch in dem Par- ticularrecht der einzelnen deutſchen Staaten findet ſich das Volksrecht in manchen eigenthuͤmlichen Erſcheinungen, welche nicht bloß eine allgemeine nationale Rechtsidee unter beſonderen Modificationen wiedergeben. Daß ſich eben in dieſer Sphaͤre ſolche originelle Rechtsbildungen von wahrhaft volksthuͤmlichem Gehalt nicht noch haͤufiger zeigen, als es in der That der Fall iſt, erklaͤrt ſich wohl nur daraus, daß auf die Entſtehung der meiſten deutſchen Staaten ſo viel Zufaͤlliges eingewirkt hat, welches es nicht zu einem organiſchen Verwachſen der einzelnen Theile und zu einer entſprechenden Rechtsbildung kommen ließ. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0118" n="106"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Drittes Kapitel. Das gemeine Recht ꝛc</hi>.</fw><lb/> Staͤnderecht, und zwar bald mit der Kraft einer unbedingten,<lb/> bald nur mit der einer bedingten Geltung. Dieſe Eintheilung<lb/> befaßt das geſammte gemeine Recht, mag es nun fremden oder<lb/> einheimiſchen Urſprungs ſeyn. Auch das Volksrecht und das<lb/> Juriſtenrecht werden dadurch nach dem Umfang ihrer Geltung<lb/> naͤher beſtimmt, und koͤnnen alſo in der weiteſten Ausdehnung und<lb/> in der engſten Begrenzung ihre Anwendung finden. Doch iſt<lb/> der Sitz des Juriſtenrechts vor Allem in dem gemeinen Land-<lb/> recht zu ſuchen, waͤhrend das Volksrecht ſich haͤufig auch in<lb/> den engeren Kreiſen der Gemeinde, der Provinz u. ſ. w. dar-<lb/> ſtellt. Gerade hier hat ſich, namentlich unter dem Bauern-<lb/> ſtande, ein reicher Schatz von ſinnvollen und echtnationalen<lb/> Rechtsformen und Gebraͤuchen erhalten, welche von einem, der<lb/> Gegenwart zugewandten Jacob Grimm erforſcht und zuſam-<lb/> mengeſtellt, fuͤr die lebendige Kunde des einheimiſchen Rechts<lb/> von großer Bedeutung werden koͤnnten. Auch in dem Par-<lb/> ticularrecht der einzelnen deutſchen Staaten findet ſich das<lb/> Volksrecht in manchen eigenthuͤmlichen Erſcheinungen, welche<lb/> nicht bloß eine allgemeine nationale Rechtsidee unter beſonderen<lb/> Modificationen wiedergeben. Daß ſich eben in dieſer Sphaͤre<lb/> ſolche originelle Rechtsbildungen von wahrhaft volksthuͤmlichem<lb/> Gehalt nicht noch haͤufiger zeigen, als es in der That der Fall<lb/> iſt, erklaͤrt ſich wohl nur daraus, daß auf die Entſtehung der<lb/> meiſten deutſchen Staaten ſo viel Zufaͤlliges eingewirkt hat,<lb/> welches es nicht zu einem organiſchen Verwachſen der einzelnen<lb/> Theile und zu einer entſprechenden Rechtsbildung kommen ließ.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </body> </text> </TEI> [106/0118]
Drittes Kapitel. Das gemeine Recht ꝛc.
Staͤnderecht, und zwar bald mit der Kraft einer unbedingten,
bald nur mit der einer bedingten Geltung. Dieſe Eintheilung
befaßt das geſammte gemeine Recht, mag es nun fremden oder
einheimiſchen Urſprungs ſeyn. Auch das Volksrecht und das
Juriſtenrecht werden dadurch nach dem Umfang ihrer Geltung
naͤher beſtimmt, und koͤnnen alſo in der weiteſten Ausdehnung und
in der engſten Begrenzung ihre Anwendung finden. Doch iſt
der Sitz des Juriſtenrechts vor Allem in dem gemeinen Land-
recht zu ſuchen, waͤhrend das Volksrecht ſich haͤufig auch in
den engeren Kreiſen der Gemeinde, der Provinz u. ſ. w. dar-
ſtellt. Gerade hier hat ſich, namentlich unter dem Bauern-
ſtande, ein reicher Schatz von ſinnvollen und echtnationalen
Rechtsformen und Gebraͤuchen erhalten, welche von einem, der
Gegenwart zugewandten Jacob Grimm erforſcht und zuſam-
mengeſtellt, fuͤr die lebendige Kunde des einheimiſchen Rechts
von großer Bedeutung werden koͤnnten. Auch in dem Par-
ticularrecht der einzelnen deutſchen Staaten findet ſich das
Volksrecht in manchen eigenthuͤmlichen Erſcheinungen, welche
nicht bloß eine allgemeine nationale Rechtsidee unter beſonderen
Modificationen wiedergeben. Daß ſich eben in dieſer Sphaͤre
ſolche originelle Rechtsbildungen von wahrhaft volksthuͤmlichem
Gehalt nicht noch haͤufiger zeigen, als es in der That der Fall
iſt, erklaͤrt ſich wohl nur daraus, daß auf die Entſtehung der
meiſten deutſchen Staaten ſo viel Zufaͤlliges eingewirkt hat,
welches es nicht zu einem organiſchen Verwachſen der einzelnen
Theile und zu einer entſprechenden Rechtsbildung kommen ließ.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |