Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Drittes Kapitel. lernte, desto mehr schied es sich von dem Pandectenrecht aus,und nahm am Ende als jus germanicum neben dem jus romanum die Bedeutung eines gemeinen, subsidiären Rechts für sich in Anspruch, doch so, daß noch Vieles, was der ein- heimischen Rechtsbildung angehörte, der Herrschaft des fremden Rechts überlassen blieb, oder gar nicht zu einer wissenschaftlichen Behandlung gelangte. Ersteres ist namentlich bei manchen Lehren des Juristenrechts, letzteres bei einem Theile des Volks- rechts der Fall gewesen. -- Dieß ist nun noch im Wesentlichen der Zustand des heutigen gemeinen Rechts in Deutschland, welches durch die Auflösung der Reichsverfassung seine Natur und Wirksamkeit nicht verändert hat, wohl aber in seiner allge- meinen Geltung dadurch beschränkt ist, daß in Folge der moder- nen Codificationen ein großer Theil Deutschlands seiner unmit- telbaren Herrschaft entzogen worden. Das heutige gemeine deutsche Recht ist also kein jus Drittes Kapitel. lernte, deſto mehr ſchied es ſich von dem Pandectenrecht aus,und nahm am Ende als jus germanicum neben dem jus romanum die Bedeutung eines gemeinen, ſubſidiaͤren Rechts fuͤr ſich in Anſpruch, doch ſo, daß noch Vieles, was der ein- heimiſchen Rechtsbildung angehoͤrte, der Herrſchaft des fremden Rechts uͤberlaſſen blieb, oder gar nicht zu einer wiſſenſchaftlichen Behandlung gelangte. Erſteres iſt namentlich bei manchen Lehren des Juriſtenrechts, letzteres bei einem Theile des Volks- rechts der Fall geweſen. — Dieß iſt nun noch im Weſentlichen der Zuſtand des heutigen gemeinen Rechts in Deutſchland, welches durch die Aufloͤſung der Reichsverfaſſung ſeine Natur und Wirkſamkeit nicht veraͤndert hat, wohl aber in ſeiner allge- meinen Geltung dadurch beſchraͤnkt iſt, daß in Folge der moder- nen Codificationen ein großer Theil Deutſchlands ſeiner unmit- telbaren Herrſchaft entzogen worden. Das heutige gemeine deutſche Recht iſt alſo kein jus <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0108" n="96"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Drittes Kapitel</hi>.</fw><lb/> lernte, deſto mehr ſchied es ſich von dem Pandectenrecht aus,<lb/> und nahm am Ende als <hi rendition="#aq">jus germanicum</hi> neben dem <hi rendition="#aq">jus<lb/> romanum</hi> die Bedeutung eines gemeinen, ſubſidiaͤren Rechts<lb/> fuͤr ſich in Anſpruch, doch ſo, daß noch Vieles, was der ein-<lb/> heimiſchen Rechtsbildung angehoͤrte, der Herrſchaft des fremden<lb/> Rechts uͤberlaſſen blieb, oder gar nicht zu einer wiſſenſchaftlichen<lb/> Behandlung gelangte. Erſteres iſt namentlich bei manchen<lb/> Lehren des Juriſtenrechts, letzteres bei einem Theile des Volks-<lb/> rechts der Fall geweſen. — Dieß iſt nun noch im Weſentlichen<lb/> der Zuſtand des heutigen gemeinen Rechts in Deutſchland,<lb/> welches durch die Aufloͤſung der Reichsverfaſſung ſeine Natur<lb/> und Wirkſamkeit nicht veraͤndert hat, wohl aber in ſeiner allge-<lb/> meinen Geltung dadurch beſchraͤnkt iſt, daß in Folge der moder-<lb/> nen Codificationen ein großer Theil Deutſchlands ſeiner unmit-<lb/> telbaren Herrſchaft entzogen worden.</p><lb/> <p>Das heutige gemeine deutſche Recht iſt alſo kein <hi rendition="#aq">jus<lb/> generale</hi> in dem Sinn, daß es an allen Orten zur Anwen-<lb/> dung kaͤme; es umfaßt aber auch nicht bloß das <hi rendition="#aq">jus com-<lb/> mune,</hi> da auch diejenigen Rechtsinſtitute, welche von der ſtrengen<lb/><hi rendition="#aq">ratio juris</hi> abweichen, und zu dieſer einen Gegenſatz bilden,<lb/> oder ihr eigenes Princip in ſich tragen, dazu gehoͤren. Das<lb/> Charakteriſtiſche des gemeinen Rechts beſteht vielmehr darin,<lb/> daß es nur ſolche Regeln enthaͤlt, welche eine allgemeinere<lb/> Natur haben, und keine Folge einer bloß ſpeciellen Rechtsbil-<lb/> dung ſind, wenn dieſe auch verhaͤltnißmaͤßig eine weite Geltung<lb/> haben ſollte. Aber damit iſt nicht geſagt, daß es ſeiner Be-<lb/> ſchaffenheit nach ganz gleichmaͤßig iſt; es giebt im Kreiſe des<lb/> gemeinen Rechts wieder nicht unbedeutende Verſchiedenheiten,<lb/> welche großen Theils auf dem Grundſatze beruhen daß die An-<lb/> wendung einer Rechtsregel von dem Daſeyn des Verhaͤltniſſes,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0108]
Drittes Kapitel.
lernte, deſto mehr ſchied es ſich von dem Pandectenrecht aus,
und nahm am Ende als jus germanicum neben dem jus
romanum die Bedeutung eines gemeinen, ſubſidiaͤren Rechts
fuͤr ſich in Anſpruch, doch ſo, daß noch Vieles, was der ein-
heimiſchen Rechtsbildung angehoͤrte, der Herrſchaft des fremden
Rechts uͤberlaſſen blieb, oder gar nicht zu einer wiſſenſchaftlichen
Behandlung gelangte. Erſteres iſt namentlich bei manchen
Lehren des Juriſtenrechts, letzteres bei einem Theile des Volks-
rechts der Fall geweſen. — Dieß iſt nun noch im Weſentlichen
der Zuſtand des heutigen gemeinen Rechts in Deutſchland,
welches durch die Aufloͤſung der Reichsverfaſſung ſeine Natur
und Wirkſamkeit nicht veraͤndert hat, wohl aber in ſeiner allge-
meinen Geltung dadurch beſchraͤnkt iſt, daß in Folge der moder-
nen Codificationen ein großer Theil Deutſchlands ſeiner unmit-
telbaren Herrſchaft entzogen worden.
Das heutige gemeine deutſche Recht iſt alſo kein jus
generale in dem Sinn, daß es an allen Orten zur Anwen-
dung kaͤme; es umfaßt aber auch nicht bloß das jus com-
mune, da auch diejenigen Rechtsinſtitute, welche von der ſtrengen
ratio juris abweichen, und zu dieſer einen Gegenſatz bilden,
oder ihr eigenes Princip in ſich tragen, dazu gehoͤren. Das
Charakteriſtiſche des gemeinen Rechts beſteht vielmehr darin,
daß es nur ſolche Regeln enthaͤlt, welche eine allgemeinere
Natur haben, und keine Folge einer bloß ſpeciellen Rechtsbil-
dung ſind, wenn dieſe auch verhaͤltnißmaͤßig eine weite Geltung
haben ſollte. Aber damit iſt nicht geſagt, daß es ſeiner Be-
ſchaffenheit nach ganz gleichmaͤßig iſt; es giebt im Kreiſe des
gemeinen Rechts wieder nicht unbedeutende Verſchiedenheiten,
welche großen Theils auf dem Grundſatze beruhen daß die An-
wendung einer Rechtsregel von dem Daſeyn des Verhaͤltniſſes,
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