I. Wenn es heißt: "mit einer Strafe belegt werden, die nicht gesetzlich bestimmt war," -- so bezieht sich das nicht bloß auf die Strafandrohung im Allgemeinen, die nur im Gesetze gültig geschehen kann, sondern es wird dadurch auch für nothwendig erklärt, daß die Strafe ihrer Art und ihrem Grade nach gesetzlich bestimmt sein muß. n) Die unbestimmte Androhung einer willkührlichen Strafe würde also künftig den Richter in Preußen nicht zur Verhängung einer Strafe be- rechtigen, was übrigens schon deswegen nicht wohl anginge, weil dafür ein nach den Bestimmungen des Gesetzes kompetenter Richter fehlen würde. In Beziehung auf die neben dem Strafgesetzbuch fortbestehenden Spezialgesetze hat indessen das Einführungsgesetz, Art. VIII. Vorsehung getroffen, indem es die Fälle, wo eine willkührliche Strafe angedroht ist, zu den Uebertretungen rechnet.
II. Indem ein Straferkenntniß nur auf Grund des Gesetzes für zulässig erklärt wird, ist die Geltung jeder andern Rechtsquelle, nament- lich des Gewohnheitsrechts, vom Gebiete der Strafrechtspflege ausge- schlossen. Dasselbe gilt auch von der Autonomie, und nur wenn es sich von der Bestrafung der Uebertretungen handelt, sind die gesetzlich erlassenen Verordnungen der Behörden den Gesetzen gleichgestellt; s. un- ten §. 332.
III. Was die Auslegung der Strafgesetze betrifft, so finden hier die allgemeinen Grundsätze über die Auslegung der Gesetze ihre Anwendung. Es kommt aber darauf an, den Sinn des Gesetzes fest- zustellen, damit es richtig angewandt werde, und zu diesem Behuf ist auch für die Strafgesetze die Auslegung als eine geistige Operation in ihrer Freiheit anzuerkennen. Aber es soll eben nur der Sinn des Ge- setzes hergestellt werden, der Ausleger hat sich nicht auf den Standpunkt des Gesetzgebers zu stellen, um dessen Aufgabe zu übernehmen, und das Gesetz zu verbessern oder zu ergänzen. Die Rechtsentwicklung aus dem Grunde (der ratio) des Gesetzes, welche für das Civilrecht aller- dings anzuerkennen ist, kann da, wo es sich um die Auferlegung einer Strafe handelt, nach den Bestimmungen des §. 2. als zulässig nicht anerkannt werden. Ausgeschlossen ist also die Analogie.
Nach dem gemeinen deutschen Rechte stellt sich allerdings die Sache anders, wenngleich von den meisten Rechtslehrern nur die Gesetzes- analogie, die Anwendung eines Gesetzes auf andere, nicht darin ent- haltene Fälle wegen Gleichheit des Grundes für das Strafrecht aner- kannt, und dagegen die Rechtsanalogie, welche aus dem Geiste des ganzen Rechtssystems einen übergegangenen Fall entscheiden will, ver-
n) S. Motive zum Entwurf des Strafgesetzbuchs von 1850. §. 2.
Einleitende Beſtimmungen.
I. Wenn es heißt: „mit einer Strafe belegt werden, die nicht geſetzlich beſtimmt war,“ — ſo bezieht ſich das nicht bloß auf die Strafandrohung im Allgemeinen, die nur im Geſetze gültig geſchehen kann, ſondern es wird dadurch auch für nothwendig erklärt, daß die Strafe ihrer Art und ihrem Grade nach geſetzlich beſtimmt ſein muß. n) Die unbeſtimmte Androhung einer willkührlichen Strafe würde alſo künftig den Richter in Preußen nicht zur Verhängung einer Strafe be- rechtigen, was übrigens ſchon deswegen nicht wohl anginge, weil dafür ein nach den Beſtimmungen des Geſetzes kompetenter Richter fehlen würde. In Beziehung auf die neben dem Strafgeſetzbuch fortbeſtehenden Spezialgeſetze hat indeſſen das Einführungsgeſetz, Art. VIII. Vorſehung getroffen, indem es die Fälle, wo eine willkührliche Strafe angedroht iſt, zu den Uebertretungen rechnet.
II. Indem ein Straferkenntniß nur auf Grund des Geſetzes für zuläſſig erklärt wird, iſt die Geltung jeder andern Rechtsquelle, nament- lich des Gewohnheitsrechts, vom Gebiete der Strafrechtspflege ausge- ſchloſſen. Daſſelbe gilt auch von der Autonomie, und nur wenn es ſich von der Beſtrafung der Uebertretungen handelt, ſind die geſetzlich erlaſſenen Verordnungen der Behörden den Geſetzen gleichgeſtellt; ſ. un- ten §. 332.
III. Was die Auslegung der Strafgeſetze betrifft, ſo finden hier die allgemeinen Grundſätze über die Auslegung der Geſetze ihre Anwendung. Es kommt aber darauf an, den Sinn des Geſetzes feſt- zuſtellen, damit es richtig angewandt werde, und zu dieſem Behuf iſt auch für die Strafgeſetze die Auslegung als eine geiſtige Operation in ihrer Freiheit anzuerkennen. Aber es ſoll eben nur der Sinn des Ge- ſetzes hergeſtellt werden, der Ausleger hat ſich nicht auf den Standpunkt des Geſetzgebers zu ſtellen, um deſſen Aufgabe zu übernehmen, und das Geſetz zu verbeſſern oder zu ergänzen. Die Rechtsentwicklung aus dem Grunde (der ratio) des Geſetzes, welche für das Civilrecht aller- dings anzuerkennen iſt, kann da, wo es ſich um die Auferlegung einer Strafe handelt, nach den Beſtimmungen des §. 2. als zuläſſig nicht anerkannt werden. Ausgeſchloſſen iſt alſo die Analogie.
Nach dem gemeinen deutſchen Rechte ſtellt ſich allerdings die Sache anders, wenngleich von den meiſten Rechtslehrern nur die Geſetzes- analogie, die Anwendung eines Geſetzes auf andere, nicht darin ent- haltene Fälle wegen Gleichheit des Grundes für das Strafrecht aner- kannt, und dagegen die Rechtsanalogie, welche aus dem Geiſte des ganzen Rechtsſyſtems einen übergegangenen Fall entſcheiden will, ver-
n) S. Motive zum Entwurf des Strafgeſetzbuchs von 1850. §. 2.
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Einleitende Beſtimmungen.
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geſetzlich beſtimmt war,“ — ſo bezieht ſich das nicht bloß auf die
Strafandrohung im Allgemeinen, die nur im Geſetze gültig geſchehen
kann, ſondern es wird dadurch auch für nothwendig erklärt, daß die
Strafe ihrer Art und ihrem Grade nach geſetzlich beſtimmt ſein muß. n)
Die unbeſtimmte Androhung einer willkührlichen Strafe würde alſo
künftig den Richter in Preußen nicht zur Verhängung einer Strafe be-
rechtigen, was übrigens ſchon deswegen nicht wohl anginge, weil dafür
ein nach den Beſtimmungen des Geſetzes kompetenter Richter fehlen
würde. In Beziehung auf die neben dem Strafgeſetzbuch fortbeſtehenden
Spezialgeſetze hat indeſſen das Einführungsgeſetz, Art. VIII. Vorſehung
getroffen, indem es die Fälle, wo eine willkührliche Strafe angedroht
iſt, zu den Uebertretungen rechnet.
II. Indem ein Straferkenntniß nur auf Grund des Geſetzes für
zuläſſig erklärt wird, iſt die Geltung jeder andern Rechtsquelle, nament-
lich des Gewohnheitsrechts, vom Gebiete der Strafrechtspflege ausge-
ſchloſſen. Daſſelbe gilt auch von der Autonomie, und nur wenn es
ſich von der Beſtrafung der Uebertretungen handelt, ſind die geſetzlich
erlaſſenen Verordnungen der Behörden den Geſetzen gleichgeſtellt; ſ. un-
ten §. 332.
III. Was die Auslegung der Strafgeſetze betrifft, ſo finden
hier die allgemeinen Grundſätze über die Auslegung der Geſetze ihre
Anwendung. Es kommt aber darauf an, den Sinn des Geſetzes feſt-
zuſtellen, damit es richtig angewandt werde, und zu dieſem Behuf iſt
auch für die Strafgeſetze die Auslegung als eine geiſtige Operation in
ihrer Freiheit anzuerkennen. Aber es ſoll eben nur der Sinn des Ge-
ſetzes hergeſtellt werden, der Ausleger hat ſich nicht auf den Standpunkt
des Geſetzgebers zu ſtellen, um deſſen Aufgabe zu übernehmen, und das
Geſetz zu verbeſſern oder zu ergänzen. Die Rechtsentwicklung aus
dem Grunde (der ratio) des Geſetzes, welche für das Civilrecht aller-
dings anzuerkennen iſt, kann da, wo es ſich um die Auferlegung einer
Strafe handelt, nach den Beſtimmungen des §. 2. als zuläſſig nicht
anerkannt werden. Ausgeſchloſſen iſt alſo die Analogie.
Nach dem gemeinen deutſchen Rechte ſtellt ſich allerdings die Sache
anders, wenngleich von den meiſten Rechtslehrern nur die Geſetzes-
analogie, die Anwendung eines Geſetzes auf andere, nicht darin ent-
haltene Fälle wegen Gleichheit des Grundes für das Strafrecht aner-
kannt, und dagegen die Rechtsanalogie, welche aus dem Geiſte des
ganzen Rechtsſyſtems einen übergegangenen Fall entſcheiden will, ver-
n) S. Motive zum Entwurf des Strafgeſetzbuchs von 1850. §. 2.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/78>, abgerufen am 21.11.2024.
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