Rechtssprechung nach den Strafbestimmungen des gegenwärtigen Straf- gesetzbuches zu veranlassen, und daß der Weg der Gnade der allein zu- lässige sei. Es wurde indeß die Streichung des ersten Absatzes, den Vorbehalt der Begnadigung enthaltend, beschlossen, weil auch ohne diese Bestimmung der Weg der Gnade und die Ausübung des Begnadigungs- rechts unverschränkt sei und es nicht angemessen erscheine, in einem Ge- setze eine Anordnung zu treffen, welche lediglich ein ausschließliches Recht der Krone betrifft."
Im weiteren Verfolge dieser Angelegenheit ist von Seiten des Kö- niglichen Justizministeriums eine allgemeine Verfügung vom 25. Mai 1851. erlassen, m) deren Mittheilung, da sie in mehrfacher Hinsicht von Interesse ist, hier am Platze sein wird:
"Diese Bestimmung des Einführungsgesetzes (Art. VII.) beruhet auf der Erwägung: 1) daß prinzipiell ein ergangenes Erkenntniß da- durch an seiner Bedeutung nichts verlieren kann, daß die Gesetze, unter deren Herrschaft es erlassen worden, später eine Abänderung erfahren haben; 2) daß es in praktischer Hinsicht fast unausführbar sein würde, wenn sämmtliche ergangene Straferkenntnisse, die noch nicht vollständig vollstreckt worden, durch die Gerichte einer nochmaligen Revision und Prüfung unterworfen werden sollten, welche nicht allein auf das gerade vorliegende Verbrechen, sondern bei dem sehr ausgedehnten Arbitrium des Richters nach dem neuen Strafgesetze auch auf die individuelle Strafbarkeit zu richten sein würde; und 3) daß es überhaupt schwierig und mißlich ist, die nach einem früheren System des Strafrechts ge- troffenen Entscheidungen nach einem durch ein späteres Strafsystem gegebenen Maaßstabe zu beurtheilen, da, wenn letzteres schon zur Zeit der Entscheidung in Kraft gewesen wäre, die Anklage, die Untersuchung und das Erkenntniß nicht selten eine andere Richtung und eine andere Grundlage erhalten haben würden."
"So ist beispielsweise die Verheimlichung der Schwangerschaft und der Niederkunft, so wie die unerlaubte Selbsthülfe im Strafgesetzbuche nicht unter Strafe gestellt. Allein man würde irren, wenn man an- nehmen wollte, daß nun alle derartigen Fälle, in welchen auf Grund der älteren Gesetze auf Strafe erkannt worden, nach dem neuen Straf- gesetzbuche straflos geblieben sein würden. Anstatt der Strafe der ver- heimlichten Schwangerschaft und Niederkunft würde in sehr vielen Fäl- len, wenn nicht auf die Strafe der vorsätzlichen Tödtung, also des Kin- desmordes, so doch auf die Strafe der fahrlässigen Tödtung (§. 184. des neuen Strafgesetzbuchs) oder der heimlichen Beerdigung (§. 186. a. a. O.)
m) Justiz-Ministerial-Blatt von 1851. S. 194. 195.
Art. V-VII.
Rechtsſprechung nach den Strafbeſtimmungen des gegenwärtigen Straf- geſetzbuches zu veranlaſſen, und daß der Weg der Gnade der allein zu- läſſige ſei. Es wurde indeß die Streichung des erſten Abſatzes, den Vorbehalt der Begnadigung enthaltend, beſchloſſen, weil auch ohne dieſe Beſtimmung der Weg der Gnade und die Ausübung des Begnadigungs- rechts unverſchränkt ſei und es nicht angemeſſen erſcheine, in einem Ge- ſetze eine Anordnung zu treffen, welche lediglich ein ausſchließliches Recht der Krone betrifft.“
Im weiteren Verfolge dieſer Angelegenheit iſt von Seiten des Kö- niglichen Juſtizminiſteriums eine allgemeine Verfügung vom 25. Mai 1851. erlaſſen, m) deren Mittheilung, da ſie in mehrfacher Hinſicht von Intereſſe iſt, hier am Platze ſein wird:
„Dieſe Beſtimmung des Einführungsgeſetzes (Art. VII.) beruhet auf der Erwägung: 1) daß prinzipiell ein ergangenes Erkenntniß da- durch an ſeiner Bedeutung nichts verlieren kann, daß die Geſetze, unter deren Herrſchaft es erlaſſen worden, ſpäter eine Abänderung erfahren haben; 2) daß es in praktiſcher Hinſicht faſt unausführbar ſein würde, wenn ſämmtliche ergangene Straferkenntniſſe, die noch nicht vollſtändig vollſtreckt worden, durch die Gerichte einer nochmaligen Reviſion und Prüfung unterworfen werden ſollten, welche nicht allein auf das gerade vorliegende Verbrechen, ſondern bei dem ſehr ausgedehnten Arbitrium des Richters nach dem neuen Strafgeſetze auch auf die individuelle Strafbarkeit zu richten ſein würde; und 3) daß es überhaupt ſchwierig und mißlich iſt, die nach einem früheren Syſtem des Strafrechts ge- troffenen Entſcheidungen nach einem durch ein ſpäteres Strafſyſtem gegebenen Maaßſtabe zu beurtheilen, da, wenn letzteres ſchon zur Zeit der Entſcheidung in Kraft geweſen wäre, die Anklage, die Unterſuchung und das Erkenntniß nicht ſelten eine andere Richtung und eine andere Grundlage erhalten haben würden.“
„So iſt beiſpielsweiſe die Verheimlichung der Schwangerſchaft und der Niederkunft, ſo wie die unerlaubte Selbſthülfe im Strafgeſetzbuche nicht unter Strafe geſtellt. Allein man würde irren, wenn man an- nehmen wollte, daß nun alle derartigen Fälle, in welchen auf Grund der älteren Geſetze auf Strafe erkannt worden, nach dem neuen Straf- geſetzbuche ſtraflos geblieben ſein würden. Anſtatt der Strafe der ver- heimlichten Schwangerſchaft und Niederkunft würde in ſehr vielen Fäl- len, wenn nicht auf die Strafe der vorſätzlichen Tödtung, alſo des Kin- desmordes, ſo doch auf die Strafe der fahrläſſigen Tödtung (§. 184. des neuen Strafgeſetzbuchs) oder der heimlichen Beerdigung (§. 186. a. a. O.)
m) Juſtiz-Miniſterial-Blatt von 1851. S. 194. 195.
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Art. V-VII.
Rechtsſprechung nach den Strafbeſtimmungen des gegenwärtigen Straf-
geſetzbuches zu veranlaſſen, und daß der Weg der Gnade der allein zu-
läſſige ſei. Es wurde indeß die Streichung des erſten Abſatzes, den
Vorbehalt der Begnadigung enthaltend, beſchloſſen, weil auch ohne dieſe
Beſtimmung der Weg der Gnade und die Ausübung des Begnadigungs-
rechts unverſchränkt ſei und es nicht angemeſſen erſcheine, in einem Ge-
ſetze eine Anordnung zu treffen, welche lediglich ein ausſchließliches
Recht der Krone betrifft.“
Im weiteren Verfolge dieſer Angelegenheit iſt von Seiten des Kö-
niglichen Juſtizminiſteriums eine allgemeine Verfügung vom 25. Mai
1851. erlaſſen, m) deren Mittheilung, da ſie in mehrfacher Hinſicht von
Intereſſe iſt, hier am Platze ſein wird:
„Dieſe Beſtimmung des Einführungsgeſetzes (Art. VII.) beruhet
auf der Erwägung: 1) daß prinzipiell ein ergangenes Erkenntniß da-
durch an ſeiner Bedeutung nichts verlieren kann, daß die Geſetze, unter
deren Herrſchaft es erlaſſen worden, ſpäter eine Abänderung erfahren
haben; 2) daß es in praktiſcher Hinſicht faſt unausführbar ſein würde,
wenn ſämmtliche ergangene Straferkenntniſſe, die noch nicht vollſtändig
vollſtreckt worden, durch die Gerichte einer nochmaligen Reviſion und
Prüfung unterworfen werden ſollten, welche nicht allein auf das gerade
vorliegende Verbrechen, ſondern bei dem ſehr ausgedehnten Arbitrium
des Richters nach dem neuen Strafgeſetze auch auf die individuelle
Strafbarkeit zu richten ſein würde; und 3) daß es überhaupt ſchwierig
und mißlich iſt, die nach einem früheren Syſtem des Strafrechts ge-
troffenen Entſcheidungen nach einem durch ein ſpäteres Strafſyſtem
gegebenen Maaßſtabe zu beurtheilen, da, wenn letzteres ſchon zur Zeit
der Entſcheidung in Kraft geweſen wäre, die Anklage, die Unterſuchung
und das Erkenntniß nicht ſelten eine andere Richtung und eine andere
Grundlage erhalten haben würden.“
„So iſt beiſpielsweiſe die Verheimlichung der Schwangerſchaft und
der Niederkunft, ſo wie die unerlaubte Selbſthülfe im Strafgeſetzbuche
nicht unter Strafe geſtellt. Allein man würde irren, wenn man an-
nehmen wollte, daß nun alle derartigen Fälle, in welchen auf Grund
der älteren Geſetze auf Strafe erkannt worden, nach dem neuen Straf-
geſetzbuche ſtraflos geblieben ſein würden. Anſtatt der Strafe der ver-
heimlichten Schwangerſchaft und Niederkunft würde in ſehr vielen Fäl-
len, wenn nicht auf die Strafe der vorſätzlichen Tödtung, alſo des Kin-
desmordes, ſo doch auf die Strafe der fahrläſſigen Tödtung (§. 184.
des neuen Strafgeſetzbuchs) oder der heimlichen Beerdigung (§. 186. a. a. O.)
m) Juſtiz-Miniſterial-Blatt von 1851. S. 194. 195.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 607. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/617>, abgerufen am 28.11.2024.
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