Vagabondiren, den liederlichen Lebenswandel, über die Verleumdung, den einfachen Bankerutt. c)
d.Die Fahrlässigkeit wird auch dann bestraft, wenn das Rechts- widrige der Handlung darin liegt, daß etwas vorgenommen wird, wozu jemand nicht befugt ist, und also der Eingriff in die fremde Rechts- sphäre der Grund der Strafandrohung ist, statt deren nach römischem Recht regelmäßig die actio injuriarum in ihrem weiteren Sinne zur Anwendung kommen würde. d)
Das Princip, welches bei der Bestrafung fahrlässiger Handlungen im Gesetzbuch befolgt worden ist, läßt sich nicht auf ein einzelnes Mo- ment zurückführen, sondern ist aus verschiedenen Erwägungen hervor- gegangen. Einmal kann die fahrlässige Handlung eine solche sein, daß sie aus höheren Gründen der strafenden Gerechtigkeit geahndet werden muß, was namentlich dann der Fall ist, wenn schon die Wichtigkeit des verletzten Rechtes den negativ bösen Willen besonders auszeichnet, und die schweren Folgen des Versehens -- Tödtung eines Menschen, Brand, Ueberschwemmung -- die Strafbarkeit desselben begründen. In solchen Fällen ist die fahrlässige Handlung neben der dolosen ausdrück- lich unter Strafe gestellt worden. Außerdem aber sind in dem Gesetz- buch auch außer den bloßen Uebertretungen manche Handlungen mit Strafe bedroht, nicht sowohl, weil sie an sich besonders strafwürdig erscheinen, sondern vorzugsweise aus Rücksichten der polizeilichen Vor- beugung und Aufsicht. Gerade hierauf beziehen sich zunächst die oben aufgeführten Strafbestimmungen wegen fahrlässiger Handlungen. Der Richter darf aber in zweifelhaften Fällen nicht vergessen, daß das Straf- recht regelmäßig den Dolus voraussetzt, damit eine Handlung als Ver- brechen oder Vergehen bestraft werden kann.
Steht es aber auch fest, wann überhaupt die Fahrlässigkeit bestraft werden soll, so bleibt doch noch die weitere Frage zu erledigen, welchen Grad des Versehens das Gesetzbuch voraussetzt, um die Bestrafung eintreten zu lassen. Dieß ist um so wichtiger zu wissen, da die Grenze zwischen dem Zufall und dem Versehen eine sehr unsichere ist, und auch nach der andern Seite hin, dem Dolus gegenüber, der Unterschied oft leichter im Begriff als bei der Beurtheilung des besonderen Falles fest- zustellen ist. e) Das Strafgesetzbuch kommt nun aber dem Verständniß
c) S. §. 92, 110, 115-17, 119, 156, 186, 261, 264, 268, 278, 306, 307.
d) S. §. 97, 104, 105, 137, 155, 265, 273, 274.
e) Selbst in den ältesten deutschen Rechtsquellen kommen über diese Fragen schon Kontroversen vor; f. Wilda, das Strafrecht der Germanen. (Halle, 1842.) S. 587.
Beseler Kommentar. 4
§. VIII. Vorſatz und Fahrläſſigkeit.
Vagabondiren, den liederlichen Lebenswandel, über die Verleumdung, den einfachen Bankerutt. c)
d.Die Fahrläſſigkeit wird auch dann beſtraft, wenn das Rechts- widrige der Handlung darin liegt, daß etwas vorgenommen wird, wozu jemand nicht befugt iſt, und alſo der Eingriff in die fremde Rechts- ſphäre der Grund der Strafandrohung iſt, ſtatt deren nach römiſchem Recht regelmäßig die actio injuriarum in ihrem weiteren Sinne zur Anwendung kommen würde. d)
Das Princip, welches bei der Beſtrafung fahrläſſiger Handlungen im Geſetzbuch befolgt worden iſt, läßt ſich nicht auf ein einzelnes Mo- ment zurückführen, ſondern iſt aus verſchiedenen Erwägungen hervor- gegangen. Einmal kann die fahrläſſige Handlung eine ſolche ſein, daß ſie aus höheren Gründen der ſtrafenden Gerechtigkeit geahndet werden muß, was namentlich dann der Fall iſt, wenn ſchon die Wichtigkeit des verletzten Rechtes den negativ böſen Willen beſonders auszeichnet, und die ſchweren Folgen des Verſehens — Tödtung eines Menſchen, Brand, Ueberſchwemmung — die Strafbarkeit deſſelben begründen. In ſolchen Fällen iſt die fahrläſſige Handlung neben der doloſen ausdrück- lich unter Strafe geſtellt worden. Außerdem aber ſind in dem Geſetz- buch auch außer den bloßen Uebertretungen manche Handlungen mit Strafe bedroht, nicht ſowohl, weil ſie an ſich beſonders ſtrafwürdig erſcheinen, ſondern vorzugsweiſe aus Rückſichten der polizeilichen Vor- beugung und Aufſicht. Gerade hierauf beziehen ſich zunächſt die oben aufgeführten Strafbeſtimmungen wegen fahrläſſiger Handlungen. Der Richter darf aber in zweifelhaften Fällen nicht vergeſſen, daß das Straf- recht regelmäßig den Dolus vorausſetzt, damit eine Handlung als Ver- brechen oder Vergehen beſtraft werden kann.
Steht es aber auch feſt, wann überhaupt die Fahrläſſigkeit beſtraft werden ſoll, ſo bleibt doch noch die weitere Frage zu erledigen, welchen Grad des Verſehens das Geſetzbuch vorausſetzt, um die Beſtrafung eintreten zu laſſen. Dieß iſt um ſo wichtiger zu wiſſen, da die Grenze zwiſchen dem Zufall und dem Verſehen eine ſehr unſichere iſt, und auch nach der andern Seite hin, dem Dolus gegenüber, der Unterſchied oft leichter im Begriff als bei der Beurtheilung des beſonderen Falles feſt- zuſtellen iſt. e) Das Strafgeſetzbuch kommt nun aber dem Verſtändniß
c) S. §. 92, 110, 115-17, 119, 156, 186, 261, 264, 268, 278, 306, 307.
d) S. §. 97, 104, 105, 137, 155, 265, 273, 274.
e) Selbſt in den älteſten deutſchen Rechtsquellen kommen über dieſe Fragen ſchon Kontroverſen vor; f. Wilda, das Strafrecht der Germanen. (Halle, 1842.) S. 587.
Beſeler Kommentar. 4
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Vagabondiren, den liederlichen Lebenswandel, über die Verleumdung,
den einfachen Bankerutt. c)
d.Die Fahrläſſigkeit wird auch dann beſtraft, wenn das Rechts-
widrige der Handlung darin liegt, daß etwas vorgenommen wird, wozu
jemand nicht befugt iſt, und alſo der Eingriff in die fremde Rechts-
ſphäre der Grund der Strafandrohung iſt, ſtatt deren nach römiſchem
Recht regelmäßig die actio injuriarum in ihrem weiteren Sinne zur
Anwendung kommen würde. d)
Das Princip, welches bei der Beſtrafung fahrläſſiger Handlungen
im Geſetzbuch befolgt worden iſt, läßt ſich nicht auf ein einzelnes Mo-
ment zurückführen, ſondern iſt aus verſchiedenen Erwägungen hervor-
gegangen. Einmal kann die fahrläſſige Handlung eine ſolche ſein, daß
ſie aus höheren Gründen der ſtrafenden Gerechtigkeit geahndet werden
muß, was namentlich dann der Fall iſt, wenn ſchon die Wichtigkeit
des verletzten Rechtes den negativ böſen Willen beſonders auszeichnet,
und die ſchweren Folgen des Verſehens — Tödtung eines Menſchen,
Brand, Ueberſchwemmung — die Strafbarkeit deſſelben begründen. In
ſolchen Fällen iſt die fahrläſſige Handlung neben der doloſen ausdrück-
lich unter Strafe geſtellt worden. Außerdem aber ſind in dem Geſetz-
buch auch außer den bloßen Uebertretungen manche Handlungen mit
Strafe bedroht, nicht ſowohl, weil ſie an ſich beſonders ſtrafwürdig
erſcheinen, ſondern vorzugsweiſe aus Rückſichten der polizeilichen Vor-
beugung und Aufſicht. Gerade hierauf beziehen ſich zunächſt die oben
aufgeführten Strafbeſtimmungen wegen fahrläſſiger Handlungen. Der
Richter darf aber in zweifelhaften Fällen nicht vergeſſen, daß das Straf-
recht regelmäßig den Dolus vorausſetzt, damit eine Handlung als Ver-
brechen oder Vergehen beſtraft werden kann.
Steht es aber auch feſt, wann überhaupt die Fahrläſſigkeit beſtraft
werden ſoll, ſo bleibt doch noch die weitere Frage zu erledigen, welchen
Grad des Verſehens das Geſetzbuch vorausſetzt, um die Beſtrafung
eintreten zu laſſen. Dieß iſt um ſo wichtiger zu wiſſen, da die Grenze
zwiſchen dem Zufall und dem Verſehen eine ſehr unſichere iſt, und auch
nach der andern Seite hin, dem Dolus gegenüber, der Unterſchied oft
leichter im Begriff als bei der Beurtheilung des beſonderen Falles feſt-
zuſtellen iſt. e) Das Strafgeſetzbuch kommt nun aber dem Verſtändniß
c) S. §. 92, 110, 115-17, 119, 156, 186, 261, 264, 268, 278, 306, 307.
d) S. §. 97, 104, 105, 137, 155, 265, 273, 274.
e) Selbſt in den älteſten deutſchen Rechtsquellen kommen über dieſe Fragen
ſchon Kontroverſen vor; f. Wilda, das Strafrecht der Germanen. (Halle, 1842.)
S. 587.
Beſeler Kommentar. 4
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/59>, abgerufen am 23.07.2024.
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