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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§§. 225-227. Unterschlagung.
aber in keinem Falle so zu verstehen, als ob es nur auf den thatsäch-
lichen Erfolg der Handlung ankomme, und der Dolus dabei nicht in
Betracht zu ziehen sei. Dieß wäre nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen,
deren Anwendung die Französische Jurisprudenz gerade in diesem Fall
mit der größten Entschiedenheit verlangt, u) ganz unzulässig; auch hat
die Kommission der ersten Kammer den Grund der Aenderung nur darin
gefunden, daß nicht allein der dolus directus, wie es nach der früheren
Fassung habe scheinen können, sondern auch der dolus indeterminatus
durch die gesetzliche Vorschrift getroffen werden solle. v) Es kommt aber
außerdem noch in Betracht, daß gegenwärtig doch auf den Erfolg der
Handlung insofern ein besonderes Gewicht gelegt ist, als angenommen
werden muß, daß die Handlung, auch wenn sie an und für sich rechts-
widrig ist, nicht als Unterschlagung bestraft werden kann, wenn sie dem
Eigenthümer u. s. w. nicht zum Nachtheile gereicht hat. Wenn jemand
z. B. auf einer Reise für einen Anderen Geld einkassirt und es zu sei-
nem Nutzen verwendet, zur rechten Zeit aber die Zahlung macht, so
trifft ihn keine Strafe, in welcher Absicht er auch gehandelt haben mag.
Schon im Staatsrathe wurde es angeregt, daß solche Fälle entschuld-
barer Verwendung von der Unterschlagung ausgeschieden werden müßten,
und in Frankreich hat sich die Jurisprudenz gleichfalls dafür erklärt. w)
-- Natürlich bezieht sich dieß aber weder auf die Verletzung amtlicher
Pflichten, deren sich öffentliche Beamte schuldig machen, noch auf die
Verhältnisse, für welche die Vorschriften des Tit. XXII. über die Un-
treue maaßgebend sind. In beiden Beziehungen kommen die besonderen
Bestimmungen zur Anwendung, welche im Interesse des Dienstes und
des öffentlichen Vertrauens aufgestellt sind.

II. Die Handlungen, durch welche eine Unterschlagung begangen
wird, sind bezeichnet als "veräußern, verpfänden, verbrauchen, bei Seite
schaffen". Früher hieß es noch "auf andere Weise sich oder Anderen
zueignen"; aber dieser Zusatz würde den Thatbestand unbestimmt ma-
chen, und doch nicht dazu dienen, eine erhebliche Lücke auszufüllen. Die
Weglassung desselben erscheint demnach ganz angemessen. -- In der
Kommission der ersten Kammer wurde ein anderes Bedenken geäußert;
man fand nämlich, daß die Rechtsgeschäfte, vermöge deren die Sachen
einem Dritten anvertraut werden, und welche also die Unterschlagung

u) Chauveau et Helie Faustin, Theorie du Code penal. IV.
chap. LXIII. p. 113.
v) Bericht der Kommission der ersten Kammer zu §. 225.
w) Chauveau l. c. p. 114. La regle generale en cette matiere, est
qu'il n'y a delit susceptible d'une poursuite correctionnelle qu'apres que
celui a qui des deniers ou des effets ont ete confies, a ete mis en demeure
de les restituer
.

§§. 225-227. Unterſchlagung.
aber in keinem Falle ſo zu verſtehen, als ob es nur auf den thatſäch-
lichen Erfolg der Handlung ankomme, und der Dolus dabei nicht in
Betracht zu ziehen ſei. Dieß wäre nach allgemeinen Rechtsgrundſätzen,
deren Anwendung die Franzöſiſche Jurisprudenz gerade in dieſem Fall
mit der größten Entſchiedenheit verlangt, u) ganz unzuläſſig; auch hat
die Kommiſſion der erſten Kammer den Grund der Aenderung nur darin
gefunden, daß nicht allein der dolus directus, wie es nach der früheren
Faſſung habe ſcheinen können, ſondern auch der dolus indeterminatus
durch die geſetzliche Vorſchrift getroffen werden ſolle. v) Es kommt aber
außerdem noch in Betracht, daß gegenwärtig doch auf den Erfolg der
Handlung inſofern ein beſonderes Gewicht gelegt iſt, als angenommen
werden muß, daß die Handlung, auch wenn ſie an und für ſich rechts-
widrig iſt, nicht als Unterſchlagung beſtraft werden kann, wenn ſie dem
Eigenthümer u. ſ. w. nicht zum Nachtheile gereicht hat. Wenn jemand
z. B. auf einer Reiſe für einen Anderen Geld einkaſſirt und es zu ſei-
nem Nutzen verwendet, zur rechten Zeit aber die Zahlung macht, ſo
trifft ihn keine Strafe, in welcher Abſicht er auch gehandelt haben mag.
Schon im Staatsrathe wurde es angeregt, daß ſolche Fälle entſchuld-
barer Verwendung von der Unterſchlagung ausgeſchieden werden müßten,
und in Frankreich hat ſich die Jurisprudenz gleichfalls dafür erklärt. w)
— Natürlich bezieht ſich dieß aber weder auf die Verletzung amtlicher
Pflichten, deren ſich öffentliche Beamte ſchuldig machen, noch auf die
Verhältniſſe, für welche die Vorſchriften des Tit. XXII. über die Un-
treue maaßgebend ſind. In beiden Beziehungen kommen die beſonderen
Beſtimmungen zur Anwendung, welche im Intereſſe des Dienſtes und
des öffentlichen Vertrauens aufgeſtellt ſind.

II. Die Handlungen, durch welche eine Unterſchlagung begangen
wird, ſind bezeichnet als „veräußern, verpfänden, verbrauchen, bei Seite
ſchaffen“. Früher hieß es noch „auf andere Weiſe ſich oder Anderen
zueignen“; aber dieſer Zuſatz würde den Thatbeſtand unbeſtimmt ma-
chen, und doch nicht dazu dienen, eine erhebliche Lücke auszufüllen. Die
Weglaſſung deſſelben erſcheint demnach ganz angemeſſen. — In der
Kommiſſion der erſten Kammer wurde ein anderes Bedenken geäußert;
man fand nämlich, daß die Rechtsgeſchäfte, vermöge deren die Sachen
einem Dritten anvertraut werden, und welche alſo die Unterſchlagung

u) Chauveau et Hélie Faustin, Théorie du Code pénal. IV.
chap. LXIII. p. 113.
v) Bericht der Kommiſſion der erſten Kammer zu §. 225.
w) Chauveau l. c. p. 114. La règle générale en cette matière, est
qu'il n'y a délit susceptible d'une poursuite correctionnelle qu'après que
celui à qui des deniers ou des effets ont été confiés, a été mis en demeure
de les restituer
.
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[431/0441] §§. 225-227. Unterſchlagung. aber in keinem Falle ſo zu verſtehen, als ob es nur auf den thatſäch- lichen Erfolg der Handlung ankomme, und der Dolus dabei nicht in Betracht zu ziehen ſei. Dieß wäre nach allgemeinen Rechtsgrundſätzen, deren Anwendung die Franzöſiſche Jurisprudenz gerade in dieſem Fall mit der größten Entſchiedenheit verlangt, u) ganz unzuläſſig; auch hat die Kommiſſion der erſten Kammer den Grund der Aenderung nur darin gefunden, daß nicht allein der dolus directus, wie es nach der früheren Faſſung habe ſcheinen können, ſondern auch der dolus indeterminatus durch die geſetzliche Vorſchrift getroffen werden ſolle. v) Es kommt aber außerdem noch in Betracht, daß gegenwärtig doch auf den Erfolg der Handlung inſofern ein beſonderes Gewicht gelegt iſt, als angenommen werden muß, daß die Handlung, auch wenn ſie an und für ſich rechts- widrig iſt, nicht als Unterſchlagung beſtraft werden kann, wenn ſie dem Eigenthümer u. ſ. w. nicht zum Nachtheile gereicht hat. Wenn jemand z. B. auf einer Reiſe für einen Anderen Geld einkaſſirt und es zu ſei- nem Nutzen verwendet, zur rechten Zeit aber die Zahlung macht, ſo trifft ihn keine Strafe, in welcher Abſicht er auch gehandelt haben mag. Schon im Staatsrathe wurde es angeregt, daß ſolche Fälle entſchuld- barer Verwendung von der Unterſchlagung ausgeſchieden werden müßten, und in Frankreich hat ſich die Jurisprudenz gleichfalls dafür erklärt. w) — Natürlich bezieht ſich dieß aber weder auf die Verletzung amtlicher Pflichten, deren ſich öffentliche Beamte ſchuldig machen, noch auf die Verhältniſſe, für welche die Vorſchriften des Tit. XXII. über die Un- treue maaßgebend ſind. In beiden Beziehungen kommen die beſonderen Beſtimmungen zur Anwendung, welche im Intereſſe des Dienſtes und des öffentlichen Vertrauens aufgeſtellt ſind. II. Die Handlungen, durch welche eine Unterſchlagung begangen wird, ſind bezeichnet als „veräußern, verpfänden, verbrauchen, bei Seite ſchaffen“. Früher hieß es noch „auf andere Weiſe ſich oder Anderen zueignen“; aber dieſer Zuſatz würde den Thatbeſtand unbeſtimmt ma- chen, und doch nicht dazu dienen, eine erhebliche Lücke auszufüllen. Die Weglaſſung deſſelben erſcheint demnach ganz angemeſſen. — In der Kommiſſion der erſten Kammer wurde ein anderes Bedenken geäußert; man fand nämlich, daß die Rechtsgeſchäfte, vermöge deren die Sachen einem Dritten anvertraut werden, und welche alſo die Unterſchlagung u) Chauveau et Hélie Faustin, Théorie du Code pénal. IV. chap. LXIII. p. 113. v) Bericht der Kommiſſion der erſten Kammer zu §. 225. w) Chauveau l. c. p. 114. La règle générale en cette matière, est qu'il n'y a délit susceptible d'une poursuite correctionnelle qu'après que celui à qui des deniers ou des effets ont été confiés, a été mis en demeure de les restituer.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/441>, abgerufen am 22.12.2024.