adoptirt und der Begriff der Unterschlagung auf die rechtswidrige An- eignung anvertrauter Sachen beschränkt.
Die Staatsraths-Kommission entschied sich für diese letztere Ansicht, indem namentlich bemerkt wurde: "Das Strafrecht würde offenbar seine Grenze überschreiten, wenn es jede in Privatverhältnissen unbefugte oder rechtswidrige Handlung sogleich als eine strafbare und zum Verbrechen steigende That bezeichnen wolle. Wer einem Andern sein Eigenthum vorenthalte, werde dadurch allerdings unter Umständen zum unredlichen Besitzer (A. L. R. Th. I. Tit. 7. §. 10.); er müsse nach den Vorschrif- ten des Civilrechts die fructus percipiendos erstatten, das geringste Versehen vertreten und dem rechtmäßigen Besitzer Alles ersetzen, was derselbe durch die Vorenthaltung des Besitzes verloren habe (a. a. O. §§. 239. 241. 244. ff.); allein die Strafe der Unterschlagung könne nur dann eintreten, wenn hierbei zugleich ein besonderes Vertrauen verletzt worden sei. In der That würde der Staat die Sorge für das Eigen- thum zu weit treiben, wenn er jeden Besitzer, der seine Rechte über- schreite, mit Strafe bedrohen wollte. Es sei Sache des Eigenthümers, das Seinige zusammen zu halten, und es bedürfe außer dem Civil- anspruche auf Schadenersatz und Bindikation nur dann des strafrecht- lichen Schutzes, wenn die Rechtsverhältnisse des bürgerlichen Lebens es mit sich bringen, daß er sein Eigenthum fremden Händen anvertraut habe. Das Allg. Landrecht habe allerdings die Grenzen des Verbre- chens dadurch zu sehr beschränkt, daß es die Unterschlagung nirgends unter Strafe gestellt und sich auf die Bestrafung des Gesindes, der Pri- vatverwalter, der Bevollmächtigten, der Depositarien und der Pfand- inhaber (II. 20. §. 1345. ff.) beschränkt habe; p) allein hieraus folge noch nicht, daß man die Prinzipien, auf welchen die Vorschriften des Landrechts, in Uebereinstimmung des gemeinen Deutschen Kriminalrechts (P. G. O. Art. 170.), im Wesentlichen beruhen, gänzlich verlassen, und dem Verbrechen einen so weiten Umfang geben dürfe, als dies im re- vidirten Entwurfe geschehen sei." q)
Der Staatsrath schloß sich dieser Ausführung durchaus an, und erklärte es nur für nothwendig, daß für den Fall, daß jemand gefun- dene Sachen sich widerrechtlich aneignet, eine Strafbestimmung auf- gestellt werde. Dagegen wurde der Vorschlag, die Unterschlagung nur auf den Antrag des Verletzten bestrafen zu lassen, nicht angenommen; es wurde freilich zugegeben, daß es häufig von der Absicht des Eigen- thümers abhange, in welcher er einem Anderen eine Sache anvertraut
p)Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommission. III. S. 386. 387.
q)Code penal. Art. 386. 408.
§. 225-227. Unterſchlagung.
adoptirt und der Begriff der Unterſchlagung auf die rechtswidrige An- eignung anvertrauter Sachen beſchränkt.
Die Staatsraths-Kommiſſion entſchied ſich für dieſe letztere Anſicht, indem namentlich bemerkt wurde: „Das Strafrecht würde offenbar ſeine Grenze überſchreiten, wenn es jede in Privatverhältniſſen unbefugte oder rechtswidrige Handlung ſogleich als eine ſtrafbare und zum Verbrechen ſteigende That bezeichnen wolle. Wer einem Andern ſein Eigenthum vorenthalte, werde dadurch allerdings unter Umſtänden zum unredlichen Beſitzer (A. L. R. Th. I. Tit. 7. §. 10.); er müſſe nach den Vorſchrif- ten des Civilrechts die fructus percipiendos erſtatten, das geringſte Verſehen vertreten und dem rechtmäßigen Beſitzer Alles erſetzen, was derſelbe durch die Vorenthaltung des Beſitzes verloren habe (a. a. O. §§. 239. 241. 244. ff.); allein die Strafe der Unterſchlagung könne nur dann eintreten, wenn hierbei zugleich ein beſonderes Vertrauen verletzt worden ſei. In der That würde der Staat die Sorge für das Eigen- thum zu weit treiben, wenn er jeden Beſitzer, der ſeine Rechte über- ſchreite, mit Strafe bedrohen wollte. Es ſei Sache des Eigenthümers, das Seinige zuſammen zu halten, und es bedürfe außer dem Civil- anſpruche auf Schadenerſatz und Bindikation nur dann des ſtrafrecht- lichen Schutzes, wenn die Rechtsverhältniſſe des bürgerlichen Lebens es mit ſich bringen, daß er ſein Eigenthum fremden Händen anvertraut habe. Das Allg. Landrecht habe allerdings die Grenzen des Verbre- chens dadurch zu ſehr beſchränkt, daß es die Unterſchlagung nirgends unter Strafe geſtellt und ſich auf die Beſtrafung des Geſindes, der Pri- vatverwalter, der Bevollmächtigten, der Depoſitarien und der Pfand- inhaber (II. 20. §. 1345. ff.) beſchränkt habe; p) allein hieraus folge noch nicht, daß man die Prinzipien, auf welchen die Vorſchriften des Landrechts, in Uebereinſtimmung des gemeinen Deutſchen Kriminalrechts (P. G. O. Art. 170.), im Weſentlichen beruhen, gänzlich verlaſſen, und dem Verbrechen einen ſo weiten Umfang geben dürfe, als dies im re- vidirten Entwurfe geſchehen ſei.“ q)
Der Staatsrath ſchloß ſich dieſer Ausführung durchaus an, und erklärte es nur für nothwendig, daß für den Fall, daß jemand gefun- dene Sachen ſich widerrechtlich aneignet, eine Strafbeſtimmung auf- geſtellt werde. Dagegen wurde der Vorſchlag, die Unterſchlagung nur auf den Antrag des Verletzten beſtrafen zu laſſen, nicht angenommen; es wurde freilich zugegeben, daß es häufig von der Abſicht des Eigen- thümers abhange, in welcher er einem Anderen eine Sache anvertraut
p)Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. III. S. 386. 387.
q)Code pénal. Art. 386. 408.
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§. 225-227. Unterſchlagung.
adoptirt und der Begriff der Unterſchlagung auf die rechtswidrige An-
eignung anvertrauter Sachen beſchränkt.
Die Staatsraths-Kommiſſion entſchied ſich für dieſe letztere Anſicht,
indem namentlich bemerkt wurde: „Das Strafrecht würde offenbar ſeine
Grenze überſchreiten, wenn es jede in Privatverhältniſſen unbefugte oder
rechtswidrige Handlung ſogleich als eine ſtrafbare und zum Verbrechen
ſteigende That bezeichnen wolle. Wer einem Andern ſein Eigenthum
vorenthalte, werde dadurch allerdings unter Umſtänden zum unredlichen
Beſitzer (A. L. R. Th. I. Tit. 7. §. 10.); er müſſe nach den Vorſchrif-
ten des Civilrechts die fructus percipiendos erſtatten, das geringſte
Verſehen vertreten und dem rechtmäßigen Beſitzer Alles erſetzen, was
derſelbe durch die Vorenthaltung des Beſitzes verloren habe (a. a. O.
§§. 239. 241. 244. ff.); allein die Strafe der Unterſchlagung könne nur
dann eintreten, wenn hierbei zugleich ein beſonderes Vertrauen verletzt
worden ſei. In der That würde der Staat die Sorge für das Eigen-
thum zu weit treiben, wenn er jeden Beſitzer, der ſeine Rechte über-
ſchreite, mit Strafe bedrohen wollte. Es ſei Sache des Eigenthümers,
das Seinige zuſammen zu halten, und es bedürfe außer dem Civil-
anſpruche auf Schadenerſatz und Bindikation nur dann des ſtrafrecht-
lichen Schutzes, wenn die Rechtsverhältniſſe des bürgerlichen Lebens es
mit ſich bringen, daß er ſein Eigenthum fremden Händen anvertraut
habe. Das Allg. Landrecht habe allerdings die Grenzen des Verbre-
chens dadurch zu ſehr beſchränkt, daß es die Unterſchlagung nirgends
unter Strafe geſtellt und ſich auf die Beſtrafung des Geſindes, der Pri-
vatverwalter, der Bevollmächtigten, der Depoſitarien und der Pfand-
inhaber (II. 20. §. 1345. ff.) beſchränkt habe; p) allein hieraus folge
noch nicht, daß man die Prinzipien, auf welchen die Vorſchriften des
Landrechts, in Uebereinſtimmung des gemeinen Deutſchen Kriminalrechts
(P. G. O. Art. 170.), im Weſentlichen beruhen, gänzlich verlaſſen, und
dem Verbrechen einen ſo weiten Umfang geben dürfe, als dies im re-
vidirten Entwurfe geſchehen ſei.“ q)
Der Staatsrath ſchloß ſich dieſer Ausführung durchaus an, und
erklärte es nur für nothwendig, daß für den Fall, daß jemand gefun-
dene Sachen ſich widerrechtlich aneignet, eine Strafbeſtimmung auf-
geſtellt werde. Dagegen wurde der Vorſchlag, die Unterſchlagung nur
auf den Antrag des Verletzten beſtrafen zu laſſen, nicht angenommen;
es wurde freilich zugegeben, daß es häufig von der Abſicht des Eigen-
thümers abhange, in welcher er einem Anderen eine Sache anvertraut
p) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. III.
S. 386. 387.
q) Code pénal. Art. 386. 408.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/439>, abgerufen am 03.01.2025.
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