Verbrechers oder eines Menschen, der eines verbrecherischen Unterneh- mens verdächtig ist, die andere auf die Freiheitsbeschränkung eines Gei- steskranken. Von diesen Ausnahmen handelt §. 211.
a. Die im ersten Absatz aufgeführten Fälle einer rechtmäßigen Er- greifung oder Festnahme sind schon in den früheren Entwürfen im We- sentlichen übereinstimmend bezeichnet worden; sie finden sich auch in dem Gesetze zum Schutze der persönlichen Freiheit vom 12. Februar 1850. §. 2. 3. (G.-S. S. 45. 46.), und zwar mit der weiteren Be- stimmung über die sofortige Ablieferung an eine zuständige Behörde. Geschieht die Ablieferung nicht sofort, so wird die an sich rechtmäßige Handlung der Ergreifung den Charakter der rechtswidrigen Freiheits- beraubung annehmen.
b. In Beziehung auf die Maaßregeln, welche in Fürsorge für einen Geisteskranken getroffen werden, und die Beschränkung seiner Frei- heit mit sich bringen, ist vorgeschrieben, daß der Polizeibehörde ohne Verzug Anzeige davon zu machen ist, ohne daß, wie früher für den leiblichen Vater, eine Ausnahme zugelassen worden. Eine Verletzung dieser Vorschrift wird mit Geldbuße oder Gefängniß geahndet. Natür- lich wird hier aber vorausgesetzt, daß die in Sicherheit gebrachte Per- son wirklich geisteskrank war; wurde gegen sie nur unter dem Vor- wande der Geisteskrankheit verfahren, so kommen die Vorschriften des §. 210. zur Anwendung. k)
c. Mit diesen gesetzlich zugelassenen Ausnahmen von der Regel ist die Möglichkeit weiterer kasuistischer Erwägungen noch lange nicht abgeschlossen; schon das Beispiel der Nothwehr, welches der Entwurf von 1843. §. 355. noch ausdrücklich aufführte, weist auf solche weitere Fälle erlaubten Handelns gegen die persönliche Freiheit Anderer hin, und es lassen sich allerdings im Kreise der Erziehungsgewalt Maaß- regeln als erlaubt denken, welche unter anderen Umständen strafbar sein würden, die aber doch auch in jener beschränkten Anwendung nicht all- gemein von dem Gesetz sanktionirt werden können (der Entwurf von 1836. §. 523. schlug es für Kinder unter achtzehn Jahren vor), wenn nicht die Freiheit der Kinder schutzlos der Willkühr Preis gegeben wer- den soll. Die Gründe gegen eine solche kasuistische Fassung des Ge- setzes sind schon früher entwickelt worden; l) in der Kommission der er- sten Kammer kam die Sache noch einmal zur Sprache, indem die Be- fürchtung geäußert wurde, daß die im Gesetz bezeichneten Fälle nicht ausreichend und zu enge gefaßt seien. Es würde z. B. ungerecht sein,
k)Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 280.
l) Ebendaselbst S. 278. 279. -- Revision von 1845. II. S. 153.
§. 210. 211. Widerrechtliche Freiheitsberaubung.
Verbrechers oder eines Menſchen, der eines verbrecheriſchen Unterneh- mens verdächtig iſt, die andere auf die Freiheitsbeſchränkung eines Gei- ſteskranken. Von dieſen Ausnahmen handelt §. 211.
a. Die im erſten Abſatz aufgeführten Fälle einer rechtmäßigen Er- greifung oder Feſtnahme ſind ſchon in den früheren Entwürfen im We- ſentlichen übereinſtimmend bezeichnet worden; ſie finden ſich auch in dem Geſetze zum Schutze der perſönlichen Freiheit vom 12. Februar 1850. §. 2. 3. (G.-S. S. 45. 46.), und zwar mit der weiteren Be- ſtimmung über die ſofortige Ablieferung an eine zuſtändige Behörde. Geſchieht die Ablieferung nicht ſofort, ſo wird die an ſich rechtmäßige Handlung der Ergreifung den Charakter der rechtswidrigen Freiheits- beraubung annehmen.
b. In Beziehung auf die Maaßregeln, welche in Fürſorge für einen Geiſteskranken getroffen werden, und die Beſchränkung ſeiner Frei- heit mit ſich bringen, iſt vorgeſchrieben, daß der Polizeibehörde ohne Verzug Anzeige davon zu machen iſt, ohne daß, wie früher für den leiblichen Vater, eine Ausnahme zugelaſſen worden. Eine Verletzung dieſer Vorſchrift wird mit Geldbuße oder Gefängniß geahndet. Natür- lich wird hier aber vorausgeſetzt, daß die in Sicherheit gebrachte Per- ſon wirklich geiſteskrank war; wurde gegen ſie nur unter dem Vor- wande der Geiſteskrankheit verfahren, ſo kommen die Vorſchriften des §. 210. zur Anwendung. k)
c. Mit dieſen geſetzlich zugelaſſenen Ausnahmen von der Regel iſt die Möglichkeit weiterer kaſuiſtiſcher Erwägungen noch lange nicht abgeſchloſſen; ſchon das Beiſpiel der Nothwehr, welches der Entwurf von 1843. §. 355. noch ausdrücklich aufführte, weiſt auf ſolche weitere Fälle erlaubten Handelns gegen die perſönliche Freiheit Anderer hin, und es laſſen ſich allerdings im Kreiſe der Erziehungsgewalt Maaß- regeln als erlaubt denken, welche unter anderen Umſtänden ſtrafbar ſein würden, die aber doch auch in jener beſchränkten Anwendung nicht all- gemein von dem Geſetz ſanktionirt werden können (der Entwurf von 1836. §. 523. ſchlug es für Kinder unter achtzehn Jahren vor), wenn nicht die Freiheit der Kinder ſchutzlos der Willkühr Preis gegeben wer- den ſoll. Die Gründe gegen eine ſolche kaſuiſtiſche Faſſung des Ge- ſetzes ſind ſchon früher entwickelt worden; l) in der Kommiſſion der er- ſten Kammer kam die Sache noch einmal zur Sprache, indem die Be- fürchtung geäußert wurde, daß die im Geſetz bezeichneten Fälle nicht ausreichend und zu enge gefaßt ſeien. Es würde z. B. ungerecht ſein,
k)Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 280.
l) Ebendaſelbſt S. 278. 279. — Reviſion von 1845. II. S. 153.
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§. 210. 211. Widerrechtliche Freiheitsberaubung.
Verbrechers oder eines Menſchen, der eines verbrecheriſchen Unterneh-
mens verdächtig iſt, die andere auf die Freiheitsbeſchränkung eines Gei-
ſteskranken. Von dieſen Ausnahmen handelt §. 211.
a. Die im erſten Abſatz aufgeführten Fälle einer rechtmäßigen Er-
greifung oder Feſtnahme ſind ſchon in den früheren Entwürfen im We-
ſentlichen übereinſtimmend bezeichnet worden; ſie finden ſich auch in
dem Geſetze zum Schutze der perſönlichen Freiheit vom 12. Februar
1850. §. 2. 3. (G.-S. S. 45. 46.), und zwar mit der weiteren Be-
ſtimmung über die ſofortige Ablieferung an eine zuſtändige Behörde.
Geſchieht die Ablieferung nicht ſofort, ſo wird die an ſich rechtmäßige
Handlung der Ergreifung den Charakter der rechtswidrigen Freiheits-
beraubung annehmen.
b. In Beziehung auf die Maaßregeln, welche in Fürſorge für
einen Geiſteskranken getroffen werden, und die Beſchränkung ſeiner Frei-
heit mit ſich bringen, iſt vorgeſchrieben, daß der Polizeibehörde ohne
Verzug Anzeige davon zu machen iſt, ohne daß, wie früher für den
leiblichen Vater, eine Ausnahme zugelaſſen worden. Eine Verletzung
dieſer Vorſchrift wird mit Geldbuße oder Gefängniß geahndet. Natür-
lich wird hier aber vorausgeſetzt, daß die in Sicherheit gebrachte Per-
ſon wirklich geiſteskrank war; wurde gegen ſie nur unter dem Vor-
wande der Geiſteskrankheit verfahren, ſo kommen die Vorſchriften des
§. 210. zur Anwendung. k)
c. Mit dieſen geſetzlich zugelaſſenen Ausnahmen von der Regel
iſt die Möglichkeit weiterer kaſuiſtiſcher Erwägungen noch lange nicht
abgeſchloſſen; ſchon das Beiſpiel der Nothwehr, welches der Entwurf
von 1843. §. 355. noch ausdrücklich aufführte, weiſt auf ſolche weitere
Fälle erlaubten Handelns gegen die perſönliche Freiheit Anderer hin,
und es laſſen ſich allerdings im Kreiſe der Erziehungsgewalt Maaß-
regeln als erlaubt denken, welche unter anderen Umſtänden ſtrafbar ſein
würden, die aber doch auch in jener beſchränkten Anwendung nicht all-
gemein von dem Geſetz ſanktionirt werden können (der Entwurf von
1836. §. 523. ſchlug es für Kinder unter achtzehn Jahren vor), wenn
nicht die Freiheit der Kinder ſchutzlos der Willkühr Preis gegeben wer-
den ſoll. Die Gründe gegen eine ſolche kaſuiſtiſche Faſſung des Ge-
ſetzes ſind ſchon früher entwickelt worden; l) in der Kommiſſion der er-
ſten Kammer kam die Sache noch einmal zur Sprache, indem die Be-
fürchtung geäußert wurde, daß die im Geſetz bezeichneten Fälle nicht
ausreichend und zu enge gefaßt ſeien. Es würde z. B. ungerecht ſein,
k) Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 280.
l) Ebendaſelbſt S. 278. 279. — Reviſion von 1845. II. S. 153.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/409>, abgerufen am 01.02.2025.
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