Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.§. 180. Kindesmord. §. 180. Eine Mutter, welche ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt Wird die vorsätzliche Tödtung des Kindes von einer anderen Person als Das Allgemeine Landrecht (Th. II. Tit. 20. §. 887-991.) handelt Bei der Abfassung der Strafvorschriften über den Kindesmord k) Die Bestimmungen des Allgem. Landrechts beruhen im Wesentlichen auf dem Edikt vom 8. Febr. 1765., über welches schon Friedrich II., als es ihm zur Voll- ziehung vorgelegt wurde, das Bedenken äußerte: "ob ein dergleichen weitläuftiges und vagues, auch auf zu viele partikuläre Fälle eingerichtetes Edikt von denen Obrig- keiten, so es observiren sollen, werde gelesen, geschweige denn denen gemeinen Leuthen, die es eigentlich angeht, da die mehrsten, so zu dergleichen Unthaten schreiten, Dienst- und Bauermädchen seynd, werde bekannt werden." S. Motive zum ersten Ent- wurf. III. 2. S. 168. l) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommission. II.
S. 198-201. -- Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 17. April 1841. §. 180. Kindesmord. §. 180. Eine Mutter, welche ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt Wird die vorſätzliche Tödtung des Kindes von einer anderen Perſon als Das Allgemeine Landrecht (Th. II. Tit. 20. §. 887-991.) handelt Bei der Abfaſſung der Strafvorſchriften über den Kindesmord k) Die Beſtimmungen des Allgem. Landrechts beruhen im Weſentlichen auf dem Edikt vom 8. Febr. 1765., über welches ſchon Friedrich II., als es ihm zur Voll- ziehung vorgelegt wurde, das Bedenken äußerte: „ob ein dergleichen weitläuftiges und vagues, auch auf zu viele partikuläre Fälle eingerichtetes Edikt von denen Obrig- keiten, ſo es obſerviren ſollen, werde geleſen, geſchweige denn denen gemeinen Leuthen, die es eigentlich angeht, da die mehrſten, ſo zu dergleichen Unthaten ſchreiten, Dienſt- und Bauermädchen ſeynd, werde bekannt werden.“ S. Motive zum erſten Ent- wurf. III. 2. S. 168. l) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. II.
S. 198-201. — Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 17. April 1841. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0365" n="355"/> <fw place="top" type="header">§. 180. Kindesmord.</fw><lb/> <div n="3"> <head>§. 180.</head><lb/> <div n="4"> <head/> <p>Eine Mutter, welche ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt<lb/> vorſätzlich tödtet, wird wegen Kindesmordes mit Zuchthaus von fünf bis zu<lb/> zwanzig Jahren beſtraft.</p><lb/> <p>Wird die vorſätzliche Tödtung des Kindes von einer anderen Perſon als<lb/> der Mutter verübt, oder nimmt eine andere Perſon an dem Verbrechen des<lb/> Kindesmordes Theil, ſo kommen gegen dieſelbe die Beſtimmungen über<lb/> Mord oder Todtſchlag, ſowie über die Theilnahme an dieſem Verbrechen zur<lb/> Anwendung.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="5"> <head/> <p>Das Allgemeine Landrecht (Th. II. Tit. 20. §. 887-991.) handelt<lb/> von dem Verbrechen des Kindesmordes und von der Verheimlichung<lb/> der Schwangerſchaft und der Niederkunft in einer Ausführlichkeit, welche<lb/> ſelbſt in dieſem Geſetzbuch beiſpiellos iſt, und jedenfalls eine formelle<lb/> Aenderung unabweislich machte. <note place="foot" n="k)">Die Beſtimmungen des Allgem. Landrechts beruhen im Weſentlichen auf dem<lb/> Edikt vom 8. Febr. 1765., über welches ſchon <hi rendition="#g">Friedrich</hi> II., als es ihm zur Voll-<lb/> ziehung vorgelegt wurde, das Bedenken äußerte: „ob ein dergleichen weitläuftiges und<lb/><hi rendition="#aq">vagues,</hi> auch auf zu viele partikuläre Fälle eingerichtetes Edikt von denen Obrig-<lb/> keiten, ſo es obſerviren ſollen, werde geleſen, geſchweige denn denen gemeinen Leuthen,<lb/> die es eigentlich angeht, da die mehrſten, ſo zu dergleichen Unthaten ſchreiten, Dienſt-<lb/> und Bauermädchen ſeynd, werde bekannt werden.“ S. <hi rendition="#g">Motive zum erſten Ent-<lb/> wurf</hi>. III. 2. S. 168.</note> Aber auch die materiellen Beſtim-<lb/> mungen bedurften dringend einer Reviſion, indem die Härte der Straf-<lb/> vorſchriften mit dem Rechtsgefühl der Gegenwart in Widerſpruch ſtand,<lb/> und außerdem die Beſtimmungen über die Verheimlichung der Schwanger-<lb/> ſchaft und der Niederkunft nach richtigen Grundſätzen der Geſetzgebung<lb/> überhaupt nicht anerkannt werden konnten. In letzterer Beziehung ent-<lb/> ſchloß man ſich, die bezeichneten Handlungen nicht mehr als ſelbſtändige<lb/> Delikte aufzuſtellen, indem namentlich in dem Staatsrathe nachgewieſen<lb/> wurde, daß die frühere Geſetzgebung aus einer unhaltbaren Vermiſchung<lb/> einzelner Momente des Indizienbeweiſes mit gewiſſen polizeilichen An-<lb/> forderungen hervorgegangen ſei, und den richtigen Grundſätzen der<lb/> Strafrechtspflege nicht entſpreche. <note place="foot" n="l)"><hi rendition="#g">Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion</hi>. II.<lb/> S. 198-201. — <hi rendition="#g">Protokolle des Staatsraths</hi>, Sitzung vom 17. April 1841.</note> Nur der Fall, wenn der Leichnam<lb/> des unehelichen Kindes ohne Vorwiſſen der Behörden beerdigt oder bei<lb/> Seite geſchafft worden, blieb einer beſonderen Strafvorſchrift unterwor-<lb/> fen (§. 186.).</p><lb/> <p>Bei der Abfaſſung der Strafvorſchriften über den Kindesmord<lb/> wurde aber von der Anſicht ausgegangen, daß das Verbrechen aus zwei<lb/> Gründen von dem gewöhnlichen Morde unterſchieden und milder beur-<lb/> theilt werden müſſe. Einmal müſſe man auf die beſonderen Motive<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [355/0365]
§. 180. Kindesmord.
§. 180.
Eine Mutter, welche ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt
vorſätzlich tödtet, wird wegen Kindesmordes mit Zuchthaus von fünf bis zu
zwanzig Jahren beſtraft.
Wird die vorſätzliche Tödtung des Kindes von einer anderen Perſon als
der Mutter verübt, oder nimmt eine andere Perſon an dem Verbrechen des
Kindesmordes Theil, ſo kommen gegen dieſelbe die Beſtimmungen über
Mord oder Todtſchlag, ſowie über die Theilnahme an dieſem Verbrechen zur
Anwendung.
Das Allgemeine Landrecht (Th. II. Tit. 20. §. 887-991.) handelt
von dem Verbrechen des Kindesmordes und von der Verheimlichung
der Schwangerſchaft und der Niederkunft in einer Ausführlichkeit, welche
ſelbſt in dieſem Geſetzbuch beiſpiellos iſt, und jedenfalls eine formelle
Aenderung unabweislich machte. k) Aber auch die materiellen Beſtim-
mungen bedurften dringend einer Reviſion, indem die Härte der Straf-
vorſchriften mit dem Rechtsgefühl der Gegenwart in Widerſpruch ſtand,
und außerdem die Beſtimmungen über die Verheimlichung der Schwanger-
ſchaft und der Niederkunft nach richtigen Grundſätzen der Geſetzgebung
überhaupt nicht anerkannt werden konnten. In letzterer Beziehung ent-
ſchloß man ſich, die bezeichneten Handlungen nicht mehr als ſelbſtändige
Delikte aufzuſtellen, indem namentlich in dem Staatsrathe nachgewieſen
wurde, daß die frühere Geſetzgebung aus einer unhaltbaren Vermiſchung
einzelner Momente des Indizienbeweiſes mit gewiſſen polizeilichen An-
forderungen hervorgegangen ſei, und den richtigen Grundſätzen der
Strafrechtspflege nicht entſpreche. l) Nur der Fall, wenn der Leichnam
des unehelichen Kindes ohne Vorwiſſen der Behörden beerdigt oder bei
Seite geſchafft worden, blieb einer beſonderen Strafvorſchrift unterwor-
fen (§. 186.).
Bei der Abfaſſung der Strafvorſchriften über den Kindesmord
wurde aber von der Anſicht ausgegangen, daß das Verbrechen aus zwei
Gründen von dem gewöhnlichen Morde unterſchieden und milder beur-
theilt werden müſſe. Einmal müſſe man auf die beſonderen Motive
k) Die Beſtimmungen des Allgem. Landrechts beruhen im Weſentlichen auf dem
Edikt vom 8. Febr. 1765., über welches ſchon Friedrich II., als es ihm zur Voll-
ziehung vorgelegt wurde, das Bedenken äußerte: „ob ein dergleichen weitläuftiges und
vagues, auch auf zu viele partikuläre Fälle eingerichtetes Edikt von denen Obrig-
keiten, ſo es obſerviren ſollen, werde geleſen, geſchweige denn denen gemeinen Leuthen,
die es eigentlich angeht, da die mehrſten, ſo zu dergleichen Unthaten ſchreiten, Dienſt-
und Bauermädchen ſeynd, werde bekannt werden.“ S. Motive zum erſten Ent-
wurf. III. 2. S. 168.
l) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. II.
S. 198-201. — Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 17. April 1841.
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