Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. XV. Verbr. u. Verg. wider d. Leben.
als die Anwendung einer Regel erscheint. x) Das Strafgesetzbuch hat diesen Milderungsgrund nur bei dem Todtschlage und bei der Miß- handlung und der Körperverletzung (§. 196.), und auch nur in be- schränkter Weise, ausdrücklich anerkannt, während er in andern Fällen allerdings unter den mildernden Umständen in Betracht gezogen werden kann. -- Folgende Punkte sind hier zu erwägen.
a. Der Thäter muß ohne eigene Schuld zur That gereizt worden sein. Diese beschränkende Bestimmung, welche schon in dem vereinigten ständischen Ausschuß Anstoß erregt hatte, y) sollte nach einem in der Kommission der ersten Kammer gestellten Antrage entfernt wer- den, indem man dem Richter die Befugniß geben wollte, eine Milderung der Strafe auch dann eintreten zu lassen, wenn der Todtschläger zu der ihm oder seinen Angehörigen von dem Getödteten zugefügten Mißhand- lung einen obwohl entfernten oder unzureichenden Anlaß gegeben habe. Die Kommission glaubte aber, daß das Princip des Paragraphen an sich begründet sei, und daß dabei dem richterlichen Urtheil die volle Freiheit gelassen werde, zu ermessen, ob nach Beschaffenheit der Umstände eine Schuld des Todtschlägers in Bezug auf die ihm widerfahrene pro- vokatorische Behandlung anzunehmen sei oder nicht. z) Hat derselbe eben nur einen entfernten oder unzureichenden Anlaß zum Streite gegeben, so wird ihm unter Umständen keine Schuld beizumessen sein.
b. Die Mißhandlung oder schwere Beleidigung, durch welche der Thäter gereizt worden, braucht nicht gegen seine Person gerichtet ge- wesen zu sein; es hat dieselbe Bedeutung, wenn sie seinen Angehö- rigen zugefügt worden ist. Statt dieses allgemeinen Ausdrucks waren in dem Entwurf von 1843. §. 300. Eltern, Kinder und Ehegatten genannt worden. Die Aenderung ist in der Absicht geschehen, damit der Richter im Stande sei, um so freier den Einfluß des gerechten Affekts zu würdigen, der auch bei Geschwistern, bei Brautleuten, bei dem Verhältniß der Adoption und Pflege Rücksicht verdienen könne. a)
c. Der Fall, wo ein Ehegatte den Anderen im Ehebruch ertappt und sich dadurch hinreißen läßt, diesen und den Buhlen zu erschlagen, ist nicht besonders hervorgehoben worden; es hat aber darüber kein Zweifel bestanden, daß auch dieser Fall unter der schweren Beleidigung mitbefaßt sei. b)
x)Code penal. Art. 321-26. -- Chauveau et Helie Faustin. l. c. chap. XLVII.
y)Verhandlungen. IV. S. 13.
z)Bericht der Kommission der ersten Kammer zu §. 177.
a)Revision von 1845. II. S. 117.
b)Motive zum ersten Entwurf. III. 2. S. 152. -- Berathungs- Protokolle der Staatsraths-Kommission. II. S. 190. -- Revision a. a. O.
Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XV. Verbr. u. Verg. wider d. Leben.
als die Anwendung einer Regel erſcheint. x) Das Strafgeſetzbuch hat dieſen Milderungsgrund nur bei dem Todtſchlage und bei der Miß- handlung und der Körperverletzung (§. 196.), und auch nur in be- ſchränkter Weiſe, ausdrücklich anerkannt, während er in andern Fällen allerdings unter den mildernden Umſtänden in Betracht gezogen werden kann. — Folgende Punkte ſind hier zu erwägen.
a. Der Thäter muß ohne eigene Schuld zur That gereizt worden ſein. Dieſe beſchränkende Beſtimmung, welche ſchon in dem vereinigten ſtändiſchen Ausſchuß Anſtoß erregt hatte, y) ſollte nach einem in der Kommiſſion der erſten Kammer geſtellten Antrage entfernt wer- den, indem man dem Richter die Befugniß geben wollte, eine Milderung der Strafe auch dann eintreten zu laſſen, wenn der Todtſchläger zu der ihm oder ſeinen Angehörigen von dem Getödteten zugefügten Mißhand- lung einen obwohl entfernten oder unzureichenden Anlaß gegeben habe. Die Kommiſſion glaubte aber, daß das Princip des Paragraphen an ſich begründet ſei, und daß dabei dem richterlichen Urtheil die volle Freiheit gelaſſen werde, zu ermeſſen, ob nach Beſchaffenheit der Umſtände eine Schuld des Todtſchlägers in Bezug auf die ihm widerfahrene pro- vokatoriſche Behandlung anzunehmen ſei oder nicht. z) Hat derſelbe eben nur einen entfernten oder unzureichenden Anlaß zum Streite gegeben, ſo wird ihm unter Umſtänden keine Schuld beizumeſſen ſein.
b. Die Mißhandlung oder ſchwere Beleidigung, durch welche der Thäter gereizt worden, braucht nicht gegen ſeine Perſon gerichtet ge- weſen zu ſein; es hat dieſelbe Bedeutung, wenn ſie ſeinen Angehö- rigen zugefügt worden iſt. Statt dieſes allgemeinen Ausdrucks waren in dem Entwurf von 1843. §. 300. Eltern, Kinder und Ehegatten genannt worden. Die Aenderung iſt in der Abſicht geſchehen, damit der Richter im Stande ſei, um ſo freier den Einfluß des gerechten Affekts zu würdigen, der auch bei Geſchwiſtern, bei Brautleuten, bei dem Verhältniß der Adoption und Pflege Rückſicht verdienen könne. a)
c. Der Fall, wo ein Ehegatte den Anderen im Ehebruch ertappt und ſich dadurch hinreißen läßt, dieſen und den Buhlen zu erſchlagen, iſt nicht beſonders hervorgehoben worden; es hat aber darüber kein Zweifel beſtanden, daß auch dieſer Fall unter der ſchweren Beleidigung mitbefaßt ſei. b)
x)Code pénal. Art. 321-26. — Chauveau et Hélie Faustin. l. c. chap. XLVII.
y)Verhandlungen. IV. S. 13.
z)Bericht der Kommiſſion der erſten Kammer zu §. 177.
a)Reviſion von 1845. II. S. 117.
b)Motive zum erſten Entwurf. III. 2. S. 152. — Berathungs- Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. II. S. 190. — Reviſion a. a. O.
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Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XV. Verbr. u. Verg. wider d. Leben.
als die Anwendung einer Regel erſcheint. x) Das Strafgeſetzbuch hat
dieſen Milderungsgrund nur bei dem Todtſchlage und bei der Miß-
handlung und der Körperverletzung (§. 196.), und auch nur in be-
ſchränkter Weiſe, ausdrücklich anerkannt, während er in andern Fällen
allerdings unter den mildernden Umſtänden in Betracht gezogen werden
kann. — Folgende Punkte ſind hier zu erwägen.
a. Der Thäter muß ohne eigene Schuld zur That gereizt
worden ſein. Dieſe beſchränkende Beſtimmung, welche ſchon in dem
vereinigten ſtändiſchen Ausſchuß Anſtoß erregt hatte, y) ſollte nach einem
in der Kommiſſion der erſten Kammer geſtellten Antrage entfernt wer-
den, indem man dem Richter die Befugniß geben wollte, eine Milderung
der Strafe auch dann eintreten zu laſſen, wenn der Todtſchläger zu der
ihm oder ſeinen Angehörigen von dem Getödteten zugefügten Mißhand-
lung einen obwohl entfernten oder unzureichenden Anlaß gegeben habe.
Die Kommiſſion glaubte aber, daß das Princip des Paragraphen an
ſich begründet ſei, und daß dabei dem richterlichen Urtheil die volle
Freiheit gelaſſen werde, zu ermeſſen, ob nach Beſchaffenheit der Umſtände
eine Schuld des Todtſchlägers in Bezug auf die ihm widerfahrene pro-
vokatoriſche Behandlung anzunehmen ſei oder nicht. z) Hat derſelbe eben
nur einen entfernten oder unzureichenden Anlaß zum Streite gegeben,
ſo wird ihm unter Umſtänden keine Schuld beizumeſſen ſein.
b. Die Mißhandlung oder ſchwere Beleidigung, durch welche der
Thäter gereizt worden, braucht nicht gegen ſeine Perſon gerichtet ge-
weſen zu ſein; es hat dieſelbe Bedeutung, wenn ſie ſeinen Angehö-
rigen zugefügt worden iſt. Statt dieſes allgemeinen Ausdrucks waren
in dem Entwurf von 1843. §. 300. Eltern, Kinder und Ehegatten
genannt worden. Die Aenderung iſt in der Abſicht geſchehen, damit
der Richter im Stande ſei, um ſo freier den Einfluß des gerechten
Affekts zu würdigen, der auch bei Geſchwiſtern, bei Brautleuten, bei
dem Verhältniß der Adoption und Pflege Rückſicht verdienen könne. a)
c. Der Fall, wo ein Ehegatte den Anderen im Ehebruch ertappt
und ſich dadurch hinreißen läßt, dieſen und den Buhlen zu erſchlagen,
iſt nicht beſonders hervorgehoben worden; es hat aber darüber kein
Zweifel beſtanden, daß auch dieſer Fall unter der ſchweren Beleidigung
mitbefaßt ſei. b)
x) Code pénal. Art. 321-26. — Chauveau et Hélie Faustin.
l. c. chap. XLVII.
y) Verhandlungen. IV. S. 13.
z) Bericht der Kommiſſion der erſten Kammer zu §. 177.
a) Reviſion von 1845. II. S. 117.
b) Motive zum erſten Entwurf. III. 2. S. 152. — Berathungs-
Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. II. S. 190. — Reviſion a. a. O.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/362>, abgerufen am 23.07.2024.
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