Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite
Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. XV. Verbr. u. Verg. wider d. Leben.
§. 178.

Wer bei Unternehmung eines Verbrechens oder Vergehens, um ein der
Ausführung desselben entgegentretendes Hinderniß zu beseitigen, oder um sich
der Ergreifung auf frischer That zu entziehen, vorsätzlich einen Menschen tödtet,
wird mit dem Tode bestraft.

§. 179.

Der Todtschlag an einem leiblichen Verwandten der aufsteigenden Linie
wird mit dem Tode bestraft.



Die Definition des Todtschlags ist in einen bestimmten Gegensatz
zu der des Mordes gebracht worden; in beiden Fällen liegt eine vor-
sätzliche Tödtung vor, und der Unterschied besteht darin, ob dieselbe mit
Ueberlegung oder nicht mit Ueberlegung begangen worden ist.

Das Allg. Landrecht hat scheinbar einen anderen Begriff mit dem
Todtschlage verbunden, indem es bestimmte:

Th. II. Tit. 20. §. 806. "Wer in der feindseligen Absicht, einen
Anderen zu beschädigen, solche Handlungen unternimmt, woraus, nach
dem gewöhnlichen allgemein, oder ihm besonders bekannten Laufe der
Dinge, der Tod desselben erfolgen mußte, und ihn dadurch wirklich
tödtet; der hat als ein Todtschläger die Strafe des Schwertes verwirkt."

Vergleicht man aber diesen Paragraphen mit den folgenden, na-
mentlich mit §. 815., so ergiebt sich, daß es nicht in der Absicht des
Gesetzgebers lag, den animus nocendi in Verbindung mit dem einge-
tretenen tödtlichen Erfolg zum Thatbestande des Todtschlags für ge-
nügend zu halten, sondern daß er eigentlich den animus occidendi
voraussetzte, denselben aber nicht ausdrücklich verlangte, um auch nach
der damals herrschenden Theorie den dolus indeterminatus treffen zu
können. t)

Der Code penal setzt in seiner Begriffsbestimmung die Absicht zu
tödten voraus, und hebt auch den Gegensatz zum Assassinat nicht
unmittelbar hervor, indem er nicht angiebt, daß der Todtschlag (le
meurtre
) ohne Prämeditation begangen wird. u) Dieser erscheint viel-
mehr als das allgemeinere Verbrechen, von welchem der Mord eine
gesetzlich ausgezeichnete Art ist.

I. Wenn es für den Todtschlag wesentlich ist, daß er nicht mit
Ueberlegung begangen wird, so fragt es sich doch, ob damit noth-
wendig gesetzt ist, daß die That im Affekt verübt werde. Dieß wurde

t) Motive zum ersten Entwurf. III. 2. S. 133-44. -- Berathungs-
Protokolle der Staatsraths-Kommission
. II. S. 183. 184.
u) Code penal. Art. 295. L'homicide commis volontairement est
qu alifie meurtre.
Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XV. Verbr. u. Verg. wider d. Leben.
§. 178.

Wer bei Unternehmung eines Verbrechens oder Vergehens, um ein der
Ausführung deſſelben entgegentretendes Hinderniß zu beſeitigen, oder um ſich
der Ergreifung auf friſcher That zu entziehen, vorſätzlich einen Menſchen tödtet,
wird mit dem Tode beſtraft.

§. 179.

Der Todtſchlag an einem leiblichen Verwandten der aufſteigenden Linie
wird mit dem Tode beſtraft.



Die Definition des Todtſchlags iſt in einen beſtimmten Gegenſatz
zu der des Mordes gebracht worden; in beiden Fällen liegt eine vor-
ſätzliche Tödtung vor, und der Unterſchied beſteht darin, ob dieſelbe mit
Ueberlegung oder nicht mit Ueberlegung begangen worden iſt.

Das Allg. Landrecht hat ſcheinbar einen anderen Begriff mit dem
Todtſchlage verbunden, indem es beſtimmte:

Th. II. Tit. 20. §. 806. „Wer in der feindſeligen Abſicht, einen
Anderen zu beſchädigen, ſolche Handlungen unternimmt, woraus, nach
dem gewöhnlichen allgemein, oder ihm beſonders bekannten Laufe der
Dinge, der Tod deſſelben erfolgen mußte, und ihn dadurch wirklich
tödtet; der hat als ein Todtſchläger die Strafe des Schwertes verwirkt.“

Vergleicht man aber dieſen Paragraphen mit den folgenden, na-
mentlich mit §. 815., ſo ergiebt ſich, daß es nicht in der Abſicht des
Geſetzgebers lag, den animus nocendi in Verbindung mit dem einge-
tretenen tödtlichen Erfolg zum Thatbeſtande des Todtſchlags für ge-
nügend zu halten, ſondern daß er eigentlich den animus occidendi
vorausſetzte, denſelben aber nicht ausdrücklich verlangte, um auch nach
der damals herrſchenden Theorie den dolus indeterminatus treffen zu
können. t)

Der Code pénal ſetzt in ſeiner Begriffsbeſtimmung die Abſicht zu
tödten voraus, und hebt auch den Gegenſatz zum Aſſaſſinat nicht
unmittelbar hervor, indem er nicht angiebt, daß der Todtſchlag (le
meurtre
) ohne Prämeditation begangen wird. u) Dieſer erſcheint viel-
mehr als das allgemeinere Verbrechen, von welchem der Mord eine
geſetzlich ausgezeichnete Art iſt.

I. Wenn es für den Todtſchlag weſentlich iſt, daß er nicht mit
Ueberlegung begangen wird, ſo fragt es ſich doch, ob damit noth-
wendig geſetzt iſt, daß die That im Affekt verübt werde. Dieß wurde

t) Motive zum erſten Entwurf. III. 2. S. 133-44. — Berathungs-
Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion
. II. S. 183. 184.
u) Code pénal. Art. 295. L'homicide commis volontairement est
qu alifié meurtre.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0360" n="350"/>
          <fw place="top" type="header">Th. II. V. d. einzelnen Verbr. &#xA75B;c. Tit. XV. Verbr. u.       Verg. wider d. Leben.</fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 178.</head><lb/>
            <div n="4">
              <head/>
              <p>Wer bei Unternehmung eines Verbrechens oder Vergehens, um ein der<lb/>
Ausführung         de&#x017F;&#x017F;elben entgegentretendes Hinderniß zu be&#x017F;eitigen, oder         um &#x017F;ich<lb/>
der Ergreifung auf fri&#x017F;cher That zu entziehen,         vor&#x017F;ätzlich einen Men&#x017F;chen tödtet,<lb/>
wird mit dem Tode         be&#x017F;traft.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 179.</head><lb/>
            <div n="4">
              <head/>
              <p>Der Todt&#x017F;chlag an einem leiblichen Verwandten der auf&#x017F;teigenden         Linie<lb/>
wird mit dem Tode be&#x017F;traft.</p>
            </div><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <div n="4">
              <head/>
              <p>Die Definition des Todt&#x017F;chlags i&#x017F;t in einen be&#x017F;timmten         Gegen&#x017F;atz<lb/>
zu der des Mordes gebracht worden; in beiden Fällen liegt eine         vor-<lb/>
&#x017F;ätzliche Tödtung vor, und der Unter&#x017F;chied be&#x017F;teht         darin, ob die&#x017F;elbe mit<lb/>
Ueberlegung oder nicht mit Ueberlegung begangen worden         i&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>Das Allg. Landrecht hat &#x017F;cheinbar einen anderen Begriff mit         dem<lb/>
Todt&#x017F;chlage verbunden, indem es be&#x017F;timmte:</p><lb/>
              <p>Th. II. Tit. 20. §. 806. &#x201E;Wer in der feind&#x017F;eligen         Ab&#x017F;icht, einen<lb/>
Anderen zu be&#x017F;chädigen, &#x017F;olche         Handlungen unternimmt, woraus, nach<lb/>
dem gewöhnlichen allgemein, oder ihm         be&#x017F;onders bekannten Laufe der<lb/>
Dinge, der Tod de&#x017F;&#x017F;elben         erfolgen mußte, und ihn dadurch wirklich<lb/>
tödtet; der hat als ein Todt&#x017F;chläger         die Strafe des Schwertes verwirkt.&#x201C;</p><lb/>
              <p>Vergleicht man aber die&#x017F;en Paragraphen mit den folgenden, na-<lb/>
mentlich mit         §. 815., &#x017F;o ergiebt &#x017F;ich, daß es nicht in der Ab&#x017F;icht         des<lb/>
Ge&#x017F;etzgebers lag, den <hi rendition="#aq">animus nocendi</hi> in         Verbindung mit dem einge-<lb/>
tretenen tödtlichen Erfolg zum Thatbe&#x017F;tande des         Todt&#x017F;chlags für ge-<lb/>
nügend zu halten, &#x017F;ondern daß er eigentlich         den <hi rendition="#aq">animus occidendi</hi><lb/>
voraus&#x017F;etzte,         den&#x017F;elben aber nicht ausdrücklich verlangte, um auch nach<lb/>
der damals         herr&#x017F;chenden Theorie den <hi rendition="#aq">dolus indeterminatus</hi> treffen         zu<lb/>
können. <note place="foot" n="t)"><hi rendition="#g">Motive zum er&#x017F;ten           Entwurf</hi>. III. 2. S. 133-44. &#x2014; <hi rendition="#g">Berathungs-<lb/>
Protokolle der Staatsraths-Kommi&#x017F;&#x017F;ion</hi>. II. S. 183. 184.</note>        </p><lb/>
              <p>Der <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Code pénal</hi></hi> &#x017F;etzt in &#x017F;einer Begriffsbe&#x017F;timmung die         Ab&#x017F;icht zu<lb/>
tödten voraus, und hebt auch den Gegen&#x017F;atz zum         A&#x017F;&#x017F;a&#x017F;&#x017F;inat nicht<lb/>
unmittelbar hervor, indem         er nicht angiebt, daß der Todt&#x017F;chlag (<hi rendition="#aq">le<lb/>
meurtre</hi>)         ohne Prämeditation begangen wird. <note place="foot" n="u)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Code pénal</hi>. Art.</hi> 295. <hi rendition="#aq">L'homicide           commis volontairement est<lb/>
qu alifié meurtre.</hi></note> Die&#x017F;er         er&#x017F;cheint viel-<lb/>
mehr als das allgemeinere Verbrechen, von welchem der Mord         eine<lb/>
ge&#x017F;etzlich ausgezeichnete Art i&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>I. Wenn es für den Todt&#x017F;chlag we&#x017F;entlich i&#x017F;t, daß er         nicht mit<lb/>
Ueberlegung begangen wird, &#x017F;o fragt es &#x017F;ich doch, ob         damit noth-<lb/>
wendig ge&#x017F;etzt i&#x017F;t, daß die That im Affekt verübt         werde. Dieß wurde<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[350/0360] Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XV. Verbr. u. Verg. wider d. Leben. §. 178. Wer bei Unternehmung eines Verbrechens oder Vergehens, um ein der Ausführung deſſelben entgegentretendes Hinderniß zu beſeitigen, oder um ſich der Ergreifung auf friſcher That zu entziehen, vorſätzlich einen Menſchen tödtet, wird mit dem Tode beſtraft. §. 179. Der Todtſchlag an einem leiblichen Verwandten der aufſteigenden Linie wird mit dem Tode beſtraft. Die Definition des Todtſchlags iſt in einen beſtimmten Gegenſatz zu der des Mordes gebracht worden; in beiden Fällen liegt eine vor- ſätzliche Tödtung vor, und der Unterſchied beſteht darin, ob dieſelbe mit Ueberlegung oder nicht mit Ueberlegung begangen worden iſt. Das Allg. Landrecht hat ſcheinbar einen anderen Begriff mit dem Todtſchlage verbunden, indem es beſtimmte: Th. II. Tit. 20. §. 806. „Wer in der feindſeligen Abſicht, einen Anderen zu beſchädigen, ſolche Handlungen unternimmt, woraus, nach dem gewöhnlichen allgemein, oder ihm beſonders bekannten Laufe der Dinge, der Tod deſſelben erfolgen mußte, und ihn dadurch wirklich tödtet; der hat als ein Todtſchläger die Strafe des Schwertes verwirkt.“ Vergleicht man aber dieſen Paragraphen mit den folgenden, na- mentlich mit §. 815., ſo ergiebt ſich, daß es nicht in der Abſicht des Geſetzgebers lag, den animus nocendi in Verbindung mit dem einge- tretenen tödtlichen Erfolg zum Thatbeſtande des Todtſchlags für ge- nügend zu halten, ſondern daß er eigentlich den animus occidendi vorausſetzte, denſelben aber nicht ausdrücklich verlangte, um auch nach der damals herrſchenden Theorie den dolus indeterminatus treffen zu können. t) Der Code pénal ſetzt in ſeiner Begriffsbeſtimmung die Abſicht zu tödten voraus, und hebt auch den Gegenſatz zum Aſſaſſinat nicht unmittelbar hervor, indem er nicht angiebt, daß der Todtſchlag (le meurtre) ohne Prämeditation begangen wird. u) Dieſer erſcheint viel- mehr als das allgemeinere Verbrechen, von welchem der Mord eine geſetzlich ausgezeichnete Art iſt. I. Wenn es für den Todtſchlag weſentlich iſt, daß er nicht mit Ueberlegung begangen wird, ſo fragt es ſich doch, ob damit noth- wendig geſetzt iſt, daß die That im Affekt verübt werde. Dieß wurde t) Motive zum erſten Entwurf. III. 2. S. 133-44. — Berathungs- Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. II. S. 183. 184. u) Code pénal. Art. 295. L'homicide commis volontairement est qu alifié meurtre.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/360
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/360>, abgerufen am 03.12.2024.