Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. XV. Verbr. u. Verg. wider d. Leben.
mit der ausführenden Handlung stehen, und daß er fortdauernd den Willen zur Ausführung bestimmt haben müsse. Denn wer vor Jahren einen Mord beschlossen, aber später den Vorsatz aufgegeben oder nicht verfolgt hat, und dann zu einer anderen Zeit ohne Ueberlegung dieselbe Person tödtet, ist kein Mörder; so z. B. wenn der Verbrecher in frü- herer Zeit einen Giftmord beabsichtigte, dann aber entschieden aufgab, und nun späterhin denselben Menschen, den er hatte vergiften wollen, im Zorn über empfangene Beleidigungen mit einem zufällig aufgegrif- fenen Werkzeug tödtet."
"Der Ausdruck "wer mit überlegtem Vorsatz tödtet" enthält nun zwar beide Fälle, allein er macht diese in ihrer verschiedenen Beschaf- fenheit nicht anschaulich. Dieses aber ist nothwendig, weil außerdem die Voraussetzung leicht Raum gewinnen könnte, daß bei der Ausfüh- rungs-Handlung die Prämeditation jederzeit sichtbar hervorgetreten sein müsse, und dieses Zusammentreffen beider Momente zum Thatbestande gehöre. Allerdings ist der fortwirkende, früher gefaßte Entschluß immer auch vorhanden bei der Ausführung, allein er giebt sich nicht nothwen- dig dabei auf sichtbare Weise kund. Der regelmäßige und gewöhnliche Fall des Mordes ist aber der, daß der Vorsatz in einer früheren Zeit gefaßt ist, indem der Mensch in der Regel erst nach langen Kämpfen und Erwägungen zum Morde getrieben wird; die seltenen Fälle sind die, in welchen die kalte ruhige Ueberlegung mit der Ausführung des Mordes zusammenfällt, wie etwa bei einem Raubmörder. Dennoch ist für die häufigeren Fälle nicht nöthig, daß die Art der Ausführung das Dasein einer ruhigen Ueberlegung außer Zweifel setze. Der Richter könnte daher durch Mißdeutung des §. 298. leicht dahin geführt wer- den, einen bloßen Todtschlag anstatt eines Mordes nur deswegen an- zunehmen, weil ihm der Zustand ruhiger Ueberlegung gerade nicht aus den besonderen Umständen bei der Ausführung der That erhellt. Das Bedürfniß, diese Unterscheidung in der Aufstellung des Begriffs anschau- lich zu machen, haben auch die neueren Gesetzbücher gefühlt und an- erkannt." k)
Demnach wurde folgende Fassung der Gesetzesstelle vorgeschlagen: Rev. Entwurf von 1845. §. 212. "Wer in Folge eines mit Ueberlegung vorher gefaßten Entschlusses die Tödtung eines Menschen bewirkt, oder bei Ausführung derselben mit überlegtem Vorsatze zu
Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XV. Verbr. u. Verg. wider d. Leben.
mit der ausführenden Handlung ſtehen, und daß er fortdauernd den Willen zur Ausführung beſtimmt haben müſſe. Denn wer vor Jahren einen Mord beſchloſſen, aber ſpäter den Vorſatz aufgegeben oder nicht verfolgt hat, und dann zu einer anderen Zeit ohne Ueberlegung dieſelbe Perſon tödtet, iſt kein Mörder; ſo z. B. wenn der Verbrecher in frü- herer Zeit einen Giftmord beabſichtigte, dann aber entſchieden aufgab, und nun ſpäterhin denſelben Menſchen, den er hatte vergiften wollen, im Zorn über empfangene Beleidigungen mit einem zufällig aufgegrif- fenen Werkzeug tödtet.“
„Der Ausdruck „wer mit überlegtem Vorſatz tödtet“ enthält nun zwar beide Fälle, allein er macht dieſe in ihrer verſchiedenen Beſchaf- fenheit nicht anſchaulich. Dieſes aber iſt nothwendig, weil außerdem die Vorausſetzung leicht Raum gewinnen könnte, daß bei der Ausfüh- rungs-Handlung die Prämeditation jederzeit ſichtbar hervorgetreten ſein müſſe, und dieſes Zuſammentreffen beider Momente zum Thatbeſtande gehöre. Allerdings iſt der fortwirkende, früher gefaßte Entſchluß immer auch vorhanden bei der Ausführung, allein er giebt ſich nicht nothwen- dig dabei auf ſichtbare Weiſe kund. Der regelmäßige und gewöhnliche Fall des Mordes iſt aber der, daß der Vorſatz in einer früheren Zeit gefaßt iſt, indem der Menſch in der Regel erſt nach langen Kämpfen und Erwägungen zum Morde getrieben wird; die ſeltenen Fälle ſind die, in welchen die kalte ruhige Ueberlegung mit der Ausführung des Mordes zuſammenfällt, wie etwa bei einem Raubmörder. Dennoch iſt für die häufigeren Fälle nicht nöthig, daß die Art der Ausführung das Daſein einer ruhigen Ueberlegung außer Zweifel ſetze. Der Richter könnte daher durch Mißdeutung des §. 298. leicht dahin geführt wer- den, einen bloßen Todtſchlag anſtatt eines Mordes nur deswegen an- zunehmen, weil ihm der Zuſtand ruhiger Ueberlegung gerade nicht aus den beſonderen Umſtänden bei der Ausführung der That erhellt. Das Bedürfniß, dieſe Unterſcheidung in der Aufſtellung des Begriffs anſchau- lich zu machen, haben auch die neueren Geſetzbücher gefühlt und an- erkannt.“ k)
Demnach wurde folgende Faſſung der Geſetzesſtelle vorgeſchlagen: Rev. Entwurf von 1845. §. 212. „Wer in Folge eines mit Ueberlegung vorher gefaßten Entſchluſſes die Tödtung eines Menſchen bewirkt, oder bei Ausführung derſelben mit überlegtem Vorſatze zu
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Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XV. Verbr. u. Verg. wider d. Leben.
mit der ausführenden Handlung ſtehen, und daß er fortdauernd den
Willen zur Ausführung beſtimmt haben müſſe. Denn wer vor Jahren
einen Mord beſchloſſen, aber ſpäter den Vorſatz aufgegeben oder nicht
verfolgt hat, und dann zu einer anderen Zeit ohne Ueberlegung dieſelbe
Perſon tödtet, iſt kein Mörder; ſo z. B. wenn der Verbrecher in frü-
herer Zeit einen Giftmord beabſichtigte, dann aber entſchieden aufgab,
und nun ſpäterhin denſelben Menſchen, den er hatte vergiften wollen,
im Zorn über empfangene Beleidigungen mit einem zufällig aufgegrif-
fenen Werkzeug tödtet.“
„Der Ausdruck „wer mit überlegtem Vorſatz tödtet“ enthält nun
zwar beide Fälle, allein er macht dieſe in ihrer verſchiedenen Beſchaf-
fenheit nicht anſchaulich. Dieſes aber iſt nothwendig, weil außerdem
die Vorausſetzung leicht Raum gewinnen könnte, daß bei der Ausfüh-
rungs-Handlung die Prämeditation jederzeit ſichtbar hervorgetreten ſein
müſſe, und dieſes Zuſammentreffen beider Momente zum Thatbeſtande
gehöre. Allerdings iſt der fortwirkende, früher gefaßte Entſchluß immer
auch vorhanden bei der Ausführung, allein er giebt ſich nicht nothwen-
dig dabei auf ſichtbare Weiſe kund. Der regelmäßige und gewöhnliche
Fall des Mordes iſt aber der, daß der Vorſatz in einer früheren Zeit
gefaßt iſt, indem der Menſch in der Regel erſt nach langen Kämpfen
und Erwägungen zum Morde getrieben wird; die ſeltenen Fälle ſind
die, in welchen die kalte ruhige Ueberlegung mit der Ausführung des
Mordes zuſammenfällt, wie etwa bei einem Raubmörder. Dennoch iſt
für die häufigeren Fälle nicht nöthig, daß die Art der Ausführung das
Daſein einer ruhigen Ueberlegung außer Zweifel ſetze. Der Richter
könnte daher durch Mißdeutung des §. 298. leicht dahin geführt wer-
den, einen bloßen Todtſchlag anſtatt eines Mordes nur deswegen an-
zunehmen, weil ihm der Zuſtand ruhiger Ueberlegung gerade nicht aus
den beſonderen Umſtänden bei der Ausführung der That erhellt. Das
Bedürfniß, dieſe Unterſcheidung in der Aufſtellung des Begriffs anſchau-
lich zu machen, haben auch die neueren Geſetzbücher gefühlt und an-
erkannt.“ k)
Demnach wurde folgende Faſſung der Geſetzesſtelle vorgeſchlagen:
Rev. Entwurf von 1845. §. 212. „Wer in Folge eines mit
Ueberlegung vorher gefaßten Entſchluſſes die Tödtung eines Menſchen
bewirkt, oder bei Ausführung derſelben mit überlegtem Vorſatze zu
k) Sächſ. Criminalgeſetzb. Art. 121. — Württemb. Strafgeſetzb.
Art. 237. — Hannov. Criminalgeſetzbuch Art. 227. — Braunſchw. Cri-
minalgeſetzb. §. 145. — Heſſiſches Strafgeſetzb. Art. 252. — Badiſches
Strafgeſetzb. §. 205. — Thüring. Strafgeſetzb. Art. 119.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/356>, abgerufen am 16.02.2025.
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