Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. XIII. Verletzungen der Ehre.
Realinjurien aufgegeben worden ist, und die Thätlichkeiten, welche frü- her als Beleidigungen geahndet wurden, gegenwärtig zu den Körper- verletzungen und Mißhandlungen (Tit. XVI.) gezählt werden.
Die Frage, ob man in dieser Beziehung dem Rheinischen Rechte folgen oder dem auch im Allgemeinen Landrecht anerkannten Systeme des gemeinen Deutschen Strafrechts treu bleiben solle, ist in verschiede- nen Stadien der Revision ausführlich erörtert worden. Im Allgemeinen war man darin einverstanden, daß die leichten Körperverletzungen, was den Privatstrafantrag und die Kompensation betrifft, ähnlich wie die Beleidigungen zu behandeln seien, und daß es sich bei der Frage, ob sie denselben nicht mehr formell beigezählt werden sollten, mehr um die systematische Anordnung als um eine Aenderung des materiellen Rech- tes handle. Gegen die Anerkennung der Realinjurien und für ihre Unterordnung unter den Begriff der Körperverletzungen wurde besonders angeführt, daß das Wesentliche des Vergehens in dem Angriffe auf die Person liege; ein solcher könne nun aus verschiedenen Motiven un- ternommen werden, welche nicht sogleich erkennbar seien, sondern erst im Verlaufe der Untersuchung sich näher herausstellten. Den That- bestand des Vergehens bilde der Angriff auf die Person; die Absicht der Ehrenkränkung erscheine nur als ein Moment für die Strafzumes- sung. Stelle man dieselbe Handlung bald als Körperverletzung, bald als Beleidigung dar, so nehme das Vergehen eine zwitterartige Natur an, welche die richtige Auffassung verdunkle. Der Richter werde oft zweifelhaft sein, welches Moment denn das überwiegende sei und den Thatbestand des Vergehens bestimme. Scheide man dagegen die Real- injurien ganz aus, so werde Alles einfach und klar. Dieselben seien auch erst durch das Römische Recht bei uns eingeführt worden; das ältere Deutsche Recht habe sie nicht gekannt.
Von der andern Seite wurde erwiedert, der Charakter eines Ver- brechens müsse allerdings nach dessen objektiver Beschaffenheit bestimmt werden; diese werde aber durch das verletzte Recht bedingt, und das sei hier die Ehre. Thätlichkeiten könnten, als Angriff auf die Person be- trachtet, von gar keiner Bedeutung sein, als Injurie aber ein schweres Vergehen darstellen. Daß eine Thätlichkeit hauptsächlich als Ehrver- letzung zu betrachten sei, könne zwar nicht immer sogleich erkannt wer- den; aber das sei nicht entscheidend: in der Versetzung eines Schlages könne ja der Versuch des Mordes liegen. Die Auffassung des Fran- zösischen Strafgesetzbuchs habe allerdings den Vortheil einer größeren Einfachheit; dem bloß formellen Vortheile würde aber das Materielle der Sache zum Opfer gebracht. Auch sei diese Auffassung den Deut- schen Ansichten fremd, während die Unterscheidung der Verbal- und
Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XIII. Verletzungen der Ehre.
Realinjurien aufgegeben worden iſt, und die Thätlichkeiten, welche frü- her als Beleidigungen geahndet wurden, gegenwärtig zu den Körper- verletzungen und Mißhandlungen (Tit. XVI.) gezählt werden.
Die Frage, ob man in dieſer Beziehung dem Rheiniſchen Rechte folgen oder dem auch im Allgemeinen Landrecht anerkannten Syſteme des gemeinen Deutſchen Strafrechts treu bleiben ſolle, iſt in verſchiede- nen Stadien der Reviſion ausführlich erörtert worden. Im Allgemeinen war man darin einverſtanden, daß die leichten Körperverletzungen, was den Privatſtrafantrag und die Kompenſation betrifft, ähnlich wie die Beleidigungen zu behandeln ſeien, und daß es ſich bei der Frage, ob ſie denſelben nicht mehr formell beigezählt werden ſollten, mehr um die ſyſtematiſche Anordnung als um eine Aenderung des materiellen Rech- tes handle. Gegen die Anerkennung der Realinjurien und für ihre Unterordnung unter den Begriff der Körperverletzungen wurde beſonders angeführt, daß das Weſentliche des Vergehens in dem Angriffe auf die Perſon liege; ein ſolcher könne nun aus verſchiedenen Motiven un- ternommen werden, welche nicht ſogleich erkennbar ſeien, ſondern erſt im Verlaufe der Unterſuchung ſich näher herausſtellten. Den That- beſtand des Vergehens bilde der Angriff auf die Perſon; die Abſicht der Ehrenkränkung erſcheine nur als ein Moment für die Strafzumeſ- ſung. Stelle man dieſelbe Handlung bald als Körperverletzung, bald als Beleidigung dar, ſo nehme das Vergehen eine zwitterartige Natur an, welche die richtige Auffaſſung verdunkle. Der Richter werde oft zweifelhaft ſein, welches Moment denn das überwiegende ſei und den Thatbeſtand des Vergehens beſtimme. Scheide man dagegen die Real- injurien ganz aus, ſo werde Alles einfach und klar. Dieſelben ſeien auch erſt durch das Römiſche Recht bei uns eingeführt worden; das ältere Deutſche Recht habe ſie nicht gekannt.
Von der andern Seite wurde erwiedert, der Charakter eines Ver- brechens müſſe allerdings nach deſſen objektiver Beſchaffenheit beſtimmt werden; dieſe werde aber durch das verletzte Recht bedingt, und das ſei hier die Ehre. Thätlichkeiten könnten, als Angriff auf die Perſon be- trachtet, von gar keiner Bedeutung ſein, als Injurie aber ein ſchweres Vergehen darſtellen. Daß eine Thätlichkeit hauptſächlich als Ehrver- letzung zu betrachten ſei, könne zwar nicht immer ſogleich erkannt wer- den; aber das ſei nicht entſcheidend: in der Verſetzung eines Schlages könne ja der Verſuch des Mordes liegen. Die Auffaſſung des Fran- zöſiſchen Strafgeſetzbuchs habe allerdings den Vortheil einer größeren Einfachheit; dem bloß formellen Vortheile würde aber das Materielle der Sache zum Opfer gebracht. Auch ſei dieſe Auffaſſung den Deut- ſchen Anſichten fremd, während die Unterſcheidung der Verbal- und
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Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XIII. Verletzungen der Ehre.
Realinjurien aufgegeben worden iſt, und die Thätlichkeiten, welche frü-
her als Beleidigungen geahndet wurden, gegenwärtig zu den Körper-
verletzungen und Mißhandlungen (Tit. XVI.) gezählt werden.
Die Frage, ob man in dieſer Beziehung dem Rheiniſchen Rechte
folgen oder dem auch im Allgemeinen Landrecht anerkannten Syſteme
des gemeinen Deutſchen Strafrechts treu bleiben ſolle, iſt in verſchiede-
nen Stadien der Reviſion ausführlich erörtert worden. Im Allgemeinen
war man darin einverſtanden, daß die leichten Körperverletzungen, was
den Privatſtrafantrag und die Kompenſation betrifft, ähnlich wie die
Beleidigungen zu behandeln ſeien, und daß es ſich bei der Frage, ob
ſie denſelben nicht mehr formell beigezählt werden ſollten, mehr um die
ſyſtematiſche Anordnung als um eine Aenderung des materiellen Rech-
tes handle. Gegen die Anerkennung der Realinjurien und für ihre
Unterordnung unter den Begriff der Körperverletzungen wurde beſonders
angeführt, daß das Weſentliche des Vergehens in dem Angriffe auf
die Perſon liege; ein ſolcher könne nun aus verſchiedenen Motiven un-
ternommen werden, welche nicht ſogleich erkennbar ſeien, ſondern erſt
im Verlaufe der Unterſuchung ſich näher herausſtellten. Den That-
beſtand des Vergehens bilde der Angriff auf die Perſon; die Abſicht
der Ehrenkränkung erſcheine nur als ein Moment für die Strafzumeſ-
ſung. Stelle man dieſelbe Handlung bald als Körperverletzung, bald
als Beleidigung dar, ſo nehme das Vergehen eine zwitterartige Natur
an, welche die richtige Auffaſſung verdunkle. Der Richter werde oft
zweifelhaft ſein, welches Moment denn das überwiegende ſei und den
Thatbeſtand des Vergehens beſtimme. Scheide man dagegen die Real-
injurien ganz aus, ſo werde Alles einfach und klar. Dieſelben ſeien
auch erſt durch das Römiſche Recht bei uns eingeführt worden; das
ältere Deutſche Recht habe ſie nicht gekannt.
Von der andern Seite wurde erwiedert, der Charakter eines Ver-
brechens müſſe allerdings nach deſſen objektiver Beſchaffenheit beſtimmt
werden; dieſe werde aber durch das verletzte Recht bedingt, und das ſei
hier die Ehre. Thätlichkeiten könnten, als Angriff auf die Perſon be-
trachtet, von gar keiner Bedeutung ſein, als Injurie aber ein ſchweres
Vergehen darſtellen. Daß eine Thätlichkeit hauptſächlich als Ehrver-
letzung zu betrachten ſei, könne zwar nicht immer ſogleich erkannt wer-
den; aber das ſei nicht entſcheidend: in der Verſetzung eines Schlages
könne ja der Verſuch des Mordes liegen. Die Auffaſſung des Fran-
zöſiſchen Strafgeſetzbuchs habe allerdings den Vortheil einer größeren
Einfachheit; dem bloß formellen Vortheile würde aber das Materielle
der Sache zum Opfer gebracht. Auch ſei dieſe Auffaſſung den Deut-
ſchen Anſichten fremd, während die Unterſcheidung der Verbal- und
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/332>, abgerufen am 28.11.2024.
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