fehle, welche eine Behörde wirklich außerhalb ihrer Kompetenz erlasse, nothwendig dazu führe, daß häufig auch gegen Befehle wirklich zustän- diger Behörden Widerstand geleistet werde, weil der Ungehorsame, durch sein Interesse Irregeleitete leicht geneigt sei anzunehmen, daß die Be- hörde ihre Befugnisse überschreite; und daß endlich durch solche Wider- setzlichkeiten dem öffentlichen Wohle häufig großer und unwiederbring- licher Nachtheil zugefügt werden würde."
"Gegen den zweiten Antrag wurde noch besonders geltend gemacht, daß er das Princip, auf welchem er beruhe, selbst verletze, indem er Widerstand gegen die Urtheile inkompetenter Gerichte nicht für straflos erkläre: ein Einwand, den die Vertheidiger des Antrags beseitigen zu können glaubten, indem sie hervorhoben, daß es sich hier davon handle, den Schutz der Gerichte gegen die Vollstreckung unzuständiger Weise erlassener Anordnungen und Befehle aller Behörden eintreten zu lassen. Dieser Schutz sei gegen Urtheile unzuständiger Gerichte in der Gerichts- Organisation gegeben, und werde durch den Entwurf nicht gefährdet; wohl aber gefährde nicht nur, sondern nehme der Entwurf diesen Schutz gegen Usurpationen der Verwaltungsbehörden, gegen diese aber sei er vor Allem nöthig, weil eben die Verwaltung, indem sie praktische Zwecke verfolge, viel eher Gefahr laufe, ihre Kompetenz zu überschreiten, als die Gerichte, welche lediglich die Anwendung der Gesetze zur Aufgabe haben."a)
III. In Beziehung auf die Frage, von welcher Beschaffenheit die Handlungen sein müssen, in denen sich eine strafbare Widersetzlichkeit darstellt, bestimmt das Gesetzbuch, daß der Beamte während der Vor- nahme einer Amtshandlung angegriffen oder demselben durch Gewalt oder Drohung Widerstand geleistet sein muß. Der sehr weite und unbestimmte Begriff der thätlichen Widersetzlichkeit, welchen die Motive b) ganz unzulässiger Weise in den Thatbestand des Vergehens wieder hin- eingezogen haben, ist also aufgegeben worden; es kommt im einzelnen Fall, wenn nicht gerade ein Angriff vorliegt, darauf an, ob der bloß passive Widerstand so weit verlassen worden, daß es zu Handlungen gekommen ist, die als Gewalt oder Drohung sich darstellen. Was na- mentlich die Drohung betrifft, so wird der Richter nach allgemeinen Grundsätzen prüfen, ob dieselbe wirklich geeignet war, einen Zwang gegen die Obrigkeit zu üben; denn nur auf eine wirkliche gegenwärtige
fehle, welche eine Behörde wirklich außerhalb ihrer Kompetenz erlaſſe, nothwendig dazu führe, daß häufig auch gegen Befehle wirklich zuſtän- diger Behörden Widerſtand geleiſtet werde, weil der Ungehorſame, durch ſein Intereſſe Irregeleitete leicht geneigt ſei anzunehmen, daß die Be- hörde ihre Befugniſſe überſchreite; und daß endlich durch ſolche Wider- ſetzlichkeiten dem öffentlichen Wohle häufig großer und unwiederbring- licher Nachtheil zugefügt werden würde.“
„Gegen den zweiten Antrag wurde noch beſonders geltend gemacht, daß er das Princip, auf welchem er beruhe, ſelbſt verletze, indem er Widerſtand gegen die Urtheile inkompetenter Gerichte nicht für ſtraflos erkläre: ein Einwand, den die Vertheidiger des Antrags beſeitigen zu können glaubten, indem ſie hervorhoben, daß es ſich hier davon handle, den Schutz der Gerichte gegen die Vollſtreckung unzuſtändiger Weiſe erlaſſener Anordnungen und Befehle aller Behörden eintreten zu laſſen. Dieſer Schutz ſei gegen Urtheile unzuſtändiger Gerichte in der Gerichts- Organiſation gegeben, und werde durch den Entwurf nicht gefährdet; wohl aber gefährde nicht nur, ſondern nehme der Entwurf dieſen Schutz gegen Uſurpationen der Verwaltungsbehörden, gegen dieſe aber ſei er vor Allem nöthig, weil eben die Verwaltung, indem ſie praktiſche Zwecke verfolge, viel eher Gefahr laufe, ihre Kompetenz zu überſchreiten, als die Gerichte, welche lediglich die Anwendung der Geſetze zur Aufgabe haben.“a)
III. In Beziehung auf die Frage, von welcher Beſchaffenheit die Handlungen ſein müſſen, in denen ſich eine ſtrafbare Widerſetzlichkeit darſtellt, beſtimmt das Geſetzbuch, daß der Beamte während der Vor- nahme einer Amtshandlung angegriffen oder demſelben durch Gewalt oder Drohung Widerſtand geleiſtet ſein muß. Der ſehr weite und unbeſtimmte Begriff der thätlichen Widerſetzlichkeit, welchen die Motive b) ganz unzuläſſiger Weiſe in den Thatbeſtand des Vergehens wieder hin- eingezogen haben, iſt alſo aufgegeben worden; es kommt im einzelnen Fall, wenn nicht gerade ein Angriff vorliegt, darauf an, ob der bloß paſſive Widerſtand ſo weit verlaſſen worden, daß es zu Handlungen gekommen iſt, die als Gewalt oder Drohung ſich darſtellen. Was na- mentlich die Drohung betrifft, ſo wird der Richter nach allgemeinen Grundſätzen prüfen, ob dieſelbe wirklich geeignet war, einen Zwang gegen die Obrigkeit zu üben; denn nur auf eine wirkliche gegenwärtige
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[257/0267]
§. 89. Wiederſetzlichkeit gegen Beamte.
fehle, welche eine Behörde wirklich außerhalb ihrer Kompetenz erlaſſe,
nothwendig dazu führe, daß häufig auch gegen Befehle wirklich zuſtän-
diger Behörden Widerſtand geleiſtet werde, weil der Ungehorſame, durch
ſein Intereſſe Irregeleitete leicht geneigt ſei anzunehmen, daß die Be-
hörde ihre Befugniſſe überſchreite; und daß endlich durch ſolche Wider-
ſetzlichkeiten dem öffentlichen Wohle häufig großer und unwiederbring-
licher Nachtheil zugefügt werden würde.“
„Gegen den zweiten Antrag wurde noch beſonders geltend gemacht,
daß er das Princip, auf welchem er beruhe, ſelbſt verletze, indem er
Widerſtand gegen die Urtheile inkompetenter Gerichte nicht für ſtraflos
erkläre: ein Einwand, den die Vertheidiger des Antrags beſeitigen zu
können glaubten, indem ſie hervorhoben, daß es ſich hier davon handle,
den Schutz der Gerichte gegen die Vollſtreckung unzuſtändiger Weiſe
erlaſſener Anordnungen und Befehle aller Behörden eintreten zu laſſen.
Dieſer Schutz ſei gegen Urtheile unzuſtändiger Gerichte in der Gerichts-
Organiſation gegeben, und werde durch den Entwurf nicht gefährdet;
wohl aber gefährde nicht nur, ſondern nehme der Entwurf dieſen Schutz
gegen Uſurpationen der Verwaltungsbehörden, gegen dieſe aber ſei er
vor Allem nöthig, weil eben die Verwaltung, indem ſie praktiſche Zwecke
verfolge, viel eher Gefahr laufe, ihre Kompetenz zu überſchreiten, als
die Gerichte, welche lediglich die Anwendung der Geſetze zur Aufgabe
haben.“ a)
III. In Beziehung auf die Frage, von welcher Beſchaffenheit die
Handlungen ſein müſſen, in denen ſich eine ſtrafbare Widerſetzlichkeit
darſtellt, beſtimmt das Geſetzbuch, daß der Beamte während der Vor-
nahme einer Amtshandlung angegriffen oder demſelben durch Gewalt
oder Drohung Widerſtand geleiſtet ſein muß. Der ſehr weite und
unbeſtimmte Begriff der thätlichen Widerſetzlichkeit, welchen die Motive b)
ganz unzuläſſiger Weiſe in den Thatbeſtand des Vergehens wieder hin-
eingezogen haben, iſt alſo aufgegeben worden; es kommt im einzelnen
Fall, wenn nicht gerade ein Angriff vorliegt, darauf an, ob der bloß
paſſive Widerſtand ſo weit verlaſſen worden, daß es zu Handlungen
gekommen iſt, die als Gewalt oder Drohung ſich darſtellen. Was na-
mentlich die Drohung betrifft, ſo wird der Richter nach allgemeinen
Grundſätzen prüfen, ob dieſelbe wirklich geeignet war, einen Zwang
gegen die Obrigkeit zu üben; denn nur auf eine wirkliche gegenwärtige
a) Vgl. Sächſ. Criminalgeſetzb. Art. 105. — Hannov. Criminalgeſetzb.
Art. 106. — Braunſchw. Criminalgeſetzb. §. 107. — Heſſiſches Straf-
geſetzb. Art. 176. — Badiſches Strafgeſetzb. §. 617. — Thüring. Straf-
geſetzb. Art. 108.
b) Motive zum Entwurf von 1850. §§. 79. 80.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/267>, abgerufen am 24.11.2024.
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