der Vorschriften des Code penal (Art. 70-72.) war um so weniger nöthig, da die Reklusion, welche daselbst bei siebenzigjährigen Verbrechern an die Stelle der härteren Freiheitsstrafen gesetzt ist, im Wesentlichen der Zuchthausstrafe des Strafgesetzbuchs gleichsteht.
§. 44.
Wenn die Strafbarkeit einer Handlung abhängig ist, entweder von beson- deren Eigenschaften in der Person des Thäters oder desjenigen, auf welchen sich die That bezog, oder von den besonderen Umständen, unter welchen die Handlung begangen wurde, so ist eine solche Handlung demjenigen als Ver- brechen oder Vergehen nicht zuzurechnen, welchem jene Verhältnisse oder Um- stände zur Zeit der That unbekannt waren.
Wenn durch solche besondere, dem Thäter unbekannt gebliebene Verhältnisse oder Umstände die Strafbarkeit der von ihm begangenen Handlung erhöht wird, so sollen ihm diese erschwerenden Umstände der That nicht zugerechnet werden.
Bereits in dem Entwurf von 1843. §. 82. war eine ähnliche Be- stimmung, wie sie jetzt in §. 44. aufgenommen ist, enthalten, und wurde auch bei der späteren Revision gegen die Angriffe vieler Monenten ver- theidigt. Zwar könne man durch strenge Folgerungen aus dem Begriffe des Vorsatzes auf dasselbe Resultat kommen, wenn man die objektive und die subjektive Seite des Verbrechens scharf sondere. Allein es frage sich: wie weit soll der Vorsatz angerechnet werden? und darauf ergebe sich als Antwort: soweit derselbe mit dem Bewußtsein zusammen hängt. Nun ließen sich aber die in diesem Titel anzuerkennenden Strafaus- schließungsgründe nicht bloß auf eine abnorme Beschaffenheit des Subjekts zurückführen (Zurechnungsunfähigkeit), sondern unter Anderem auch auf ein abnormes Verhältniß des subjektiven Bewußtseins zu den thatsächlichen Umständen. Und auf dieses Letztere beziehe sich eben der Paragraph, der also, nach dem praktisch ganz befriedigenden Vorgange anderer neuer Gesetzbücher, a) hier seinen Platz wohl behaupten könne. b)
In Folge dieser Ausführung ward die Bestimmung in ihrer jetzigen Fassung auch als §. 60. in dem Entwurf von 1847. aufrecht erhalten; der Entwurf von 1850. hatte sie weggelassen, aber die Kommission der zweiten Kammer stellte sie wieder her. Ueber die Bedeutung, welche
der Vorſchriften des Code pénal (Art. 70-72.) war um ſo weniger nöthig, da die Rekluſion, welche daſelbſt bei ſiebenzigjährigen Verbrechern an die Stelle der härteren Freiheitsſtrafen geſetzt iſt, im Weſentlichen der Zuchthausſtrafe des Strafgeſetzbuchs gleichſteht.
§. 44.
Wenn die Strafbarkeit einer Handlung abhängig iſt, entweder von beſon- deren Eigenſchaften in der Perſon des Thäters oder desjenigen, auf welchen ſich die That bezog, oder von den beſonderen Umſtänden, unter welchen die Handlung begangen wurde, ſo iſt eine ſolche Handlung demjenigen als Ver- brechen oder Vergehen nicht zuzurechnen, welchem jene Verhältniſſe oder Um- ſtände zur Zeit der That unbekannt waren.
Wenn durch ſolche beſondere, dem Thäter unbekannt gebliebene Verhältniſſe oder Umſtände die Strafbarkeit der von ihm begangenen Handlung erhöht wird, ſo ſollen ihm dieſe erſchwerenden Umſtände der That nicht zugerechnet werden.
Bereits in dem Entwurf von 1843. §. 82. war eine ähnliche Be- ſtimmung, wie ſie jetzt in §. 44. aufgenommen iſt, enthalten, und wurde auch bei der ſpäteren Reviſion gegen die Angriffe vieler Monenten ver- theidigt. Zwar könne man durch ſtrenge Folgerungen aus dem Begriffe des Vorſatzes auf daſſelbe Reſultat kommen, wenn man die objektive und die ſubjektive Seite des Verbrechens ſcharf ſondere. Allein es frage ſich: wie weit ſoll der Vorſatz angerechnet werden? und darauf ergebe ſich als Antwort: ſoweit derſelbe mit dem Bewußtſein zuſammen hängt. Nun ließen ſich aber die in dieſem Titel anzuerkennenden Strafaus- ſchließungsgründe nicht bloß auf eine abnorme Beſchaffenheit des Subjekts zurückführen (Zurechnungsunfähigkeit), ſondern unter Anderem auch auf ein abnormes Verhältniß des ſubjektiven Bewußtſeins zu den thatſächlichen Umſtänden. Und auf dieſes Letztere beziehe ſich eben der Paragraph, der alſo, nach dem praktiſch ganz befriedigenden Vorgange anderer neuer Geſetzbücher, a) hier ſeinen Platz wohl behaupten könne. b)
In Folge dieſer Ausführung ward die Beſtimmung in ihrer jetzigen Faſſung auch als §. 60. in dem Entwurf von 1847. aufrecht erhalten; der Entwurf von 1850. hatte ſie weggelaſſen, aber die Kommiſſion der zweiten Kammer ſtellte ſie wieder her. Ueber die Bedeutung, welche
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[195/0205]
§. 44. Irrthum in Thatſachen.
der Vorſchriften des Code pénal (Art. 70-72.) war um ſo weniger
nöthig, da die Rekluſion, welche daſelbſt bei ſiebenzigjährigen Verbrechern
an die Stelle der härteren Freiheitsſtrafen geſetzt iſt, im Weſentlichen
der Zuchthausſtrafe des Strafgeſetzbuchs gleichſteht.
§. 44.
Wenn die Strafbarkeit einer Handlung abhängig iſt, entweder von beſon-
deren Eigenſchaften in der Perſon des Thäters oder desjenigen, auf welchen
ſich die That bezog, oder von den beſonderen Umſtänden, unter welchen die
Handlung begangen wurde, ſo iſt eine ſolche Handlung demjenigen als Ver-
brechen oder Vergehen nicht zuzurechnen, welchem jene Verhältniſſe oder Um-
ſtände zur Zeit der That unbekannt waren.
Wenn durch ſolche beſondere, dem Thäter unbekannt gebliebene Verhältniſſe
oder Umſtände die Strafbarkeit der von ihm begangenen Handlung erhöht
wird, ſo ſollen ihm dieſe erſchwerenden Umſtände der That nicht zugerechnet
werden.
Bereits in dem Entwurf von 1843. §. 82. war eine ähnliche Be-
ſtimmung, wie ſie jetzt in §. 44. aufgenommen iſt, enthalten, und wurde
auch bei der ſpäteren Reviſion gegen die Angriffe vieler Monenten ver-
theidigt. Zwar könne man durch ſtrenge Folgerungen aus dem Begriffe
des Vorſatzes auf daſſelbe Reſultat kommen, wenn man die objektive
und die ſubjektive Seite des Verbrechens ſcharf ſondere. Allein es frage
ſich: wie weit ſoll der Vorſatz angerechnet werden? und darauf ergebe
ſich als Antwort: ſoweit derſelbe mit dem Bewußtſein zuſammen hängt.
Nun ließen ſich aber die in dieſem Titel anzuerkennenden Strafaus-
ſchließungsgründe nicht bloß auf eine abnorme Beſchaffenheit des Subjekts
zurückführen (Zurechnungsunfähigkeit), ſondern unter Anderem auch auf ein
abnormes Verhältniß des ſubjektiven Bewußtſeins zu den thatſächlichen
Umſtänden. Und auf dieſes Letztere beziehe ſich eben der Paragraph,
der alſo, nach dem praktiſch ganz befriedigenden Vorgange anderer neuer
Geſetzbücher, a) hier ſeinen Platz wohl behaupten könne. b)
In Folge dieſer Ausführung ward die Beſtimmung in ihrer jetzigen
Faſſung auch als §. 60. in dem Entwurf von 1847. aufrecht erhalten;
der Entwurf von 1850. hatte ſie weggelaſſen, aber die Kommiſſion der
zweiten Kammer ſtellte ſie wieder her. Ueber die Bedeutung, welche
a) Sächſiſches Criminalgeſetzbuch. Art. 68. — Württemb. Straf-
geſetzb. Art. 100. — Braunſchweig. Criminalgeſetzb. §. 32. — Heſſiſch.
Strafgeſetzb. Art. 42. 43. — Badiſch. Strafgeſetzb. §. 72. — Thüring.
Strafgeſetzb. Art. 63. — Ueber die ſ. g. Wahnverbrechen vergl. noch Braun-
ſchweig. Strafgeſetzb. §. 31. — Bad. Strafgeſetzb. §. 74.
b) Reviſion von 1845. I. S. 193.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/205>, abgerufen am 16.02.2025.
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