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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Th. I. Bestrafung etc. Tit. IV. Ausschließung oder Milderung d. Strafe.
wenn zur Zeit der That die freie Willensbestimmung des
Thäters gänzlich ausgeschlossen war;

3) die Worte des Entwurfs: "durch Gewalt oder Drohung" zu
streichen."

Betrachten wir einmal, ehe in der Mittheilung des Berichts fortge-
fahren wird, diese Anträge. Sie beziehen sich auf die angeführte Stelle
des Allg. Landrechts, welche also lautet:

§. 16. "Wer frei zu handeln unvermögend ist, bei dem findet
kein Verbrechen, also auch keine Strafe statt."

Das Unsichere und Mangelhafte dieser Bestimmung ist bereits von dem
Verfasser des ersten Entwurfs des Strafgesetzbuchs dargethan worden; g)
er schlug folgende Fassung vor:

Entwurf von 1827. §. 111. "Nur demjenigen kann ein
Verbrechen zugerechnet und die Strafe desselben auferlegt werden,
der mit Willkühr zu handeln, und die Unrechtmäßigkeit
seiner Handlung einzusehen dabei fähig war. h) "

In dem Entwurf von 1830. ist dieser Paragraph aber weggeblieben; er
kommt erst in den Entwürfen von 1833. und 1836. wieder vor, und
zwar in der wenig gelungenen Fassung:

§. 76. (73.) "Nur demjenigen kann eine Handlung als Verbre-
chen zugerechnet werden, welcher die Rechtswidrigkeit derselben
einzusehen und die Handlung zu unterlassen im Stande war."

Der Entwurf von 1843. §. 78. machte daran nur eine unbedeutende
Aenderung; dagegen lautet die Bestimmung im Entwurf von 1847.:

§. 50. "Eine an sich strafbare Handlung kann denjenigen Per-
sonen nicht zugerechnet werden, in welchen durch jugendliches Al-
ter oder durch einen besonderen Geisteszustand der freie Gebrauch
der Vernunft ausgeschlossen war."

§. 54. "Eine im Gesetz mit Strafe bedrohte Handlung kann
demjenigen nicht zugerechnet werden, dessen freie Willensbestim-
mung durch Gewaltthätigkeiten oder Drohungen ausgeschlossen
war."


g) Motive zum ersten Entwurf. I. S. 147.
h) Vgl. Badisches Strafgesetzbuch §. 71. "Die Zurechnung ist ausge-
schlossen
durch jeden Zustand, in welchem das Bewußtsein der Strafbarkeit der
Handlung oder die Willkühr des Handelnden fehlt." -- Das Badische Strafgesetz-
buch ist übrigens unter den neueren Gesetzgebungen das Einzige, welches über den
Mangel an Zurechnungsfähigkeit ein allgemeines Princip aufstellt; die anderen geben
nur einzelne Regeln. Auch das Hannov. Criminalgesetzbuch hat freilich eine
allgemeine Bestimmung: Art. 82. "Eine gesetzwidrige Handlung oder Unterlassung,
welche der Person weder aus dem Grunde eines rechtswidrigen Vorsatzes noch einer
mit Strafe bedrohten Fahrlässigkeit zugerechnet werden kann, ist straflos." Allein so
vereinzelt hingestellt, hat dieser Satz keine rechte Bedeutung.

Th. I. Beſtrafung ꝛc. Tit. IV. Ausſchließung oder Milderung d. Strafe.
wenn zur Zeit der That die freie Willensbeſtimmung des
Thäters gänzlich ausgeſchloſſen war;

3) die Worte des Entwurfs: „durch Gewalt oder Drohung“ zu
ſtreichen.“

Betrachten wir einmal, ehe in der Mittheilung des Berichts fortge-
fahren wird, dieſe Anträge. Sie beziehen ſich auf die angeführte Stelle
des Allg. Landrechts, welche alſo lautet:

§. 16. „Wer frei zu handeln unvermögend iſt, bei dem findet
kein Verbrechen, alſo auch keine Strafe ſtatt.“

Das Unſichere und Mangelhafte dieſer Beſtimmung iſt bereits von dem
Verfaſſer des erſten Entwurfs des Strafgeſetzbuchs dargethan worden; g)
er ſchlug folgende Faſſung vor:

Entwurf von 1827. §. 111. „Nur demjenigen kann ein
Verbrechen zugerechnet und die Strafe deſſelben auferlegt werden,
der mit Willkühr zu handeln, und die Unrechtmäßigkeit
ſeiner Handlung einzuſehen dabei fähig war. h)

In dem Entwurf von 1830. iſt dieſer Paragraph aber weggeblieben; er
kommt erſt in den Entwürfen von 1833. und 1836. wieder vor, und
zwar in der wenig gelungenen Faſſung:

§. 76. (73.) „Nur demjenigen kann eine Handlung als Verbre-
chen zugerechnet werden, welcher die Rechtswidrigkeit derſelben
einzuſehen und die Handlung zu unterlaſſen im Stande war.“

Der Entwurf von 1843. §. 78. machte daran nur eine unbedeutende
Aenderung; dagegen lautet die Beſtimmung im Entwurf von 1847.:

§. 50. „Eine an ſich ſtrafbare Handlung kann denjenigen Per-
ſonen nicht zugerechnet werden, in welchen durch jugendliches Al-
ter oder durch einen beſonderen Geiſteszuſtand der freie Gebrauch
der Vernunft ausgeſchloſſen war.“

§. 54. „Eine im Geſetz mit Strafe bedrohte Handlung kann
demjenigen nicht zugerechnet werden, deſſen freie Willensbeſtim-
mung durch Gewaltthätigkeiten oder Drohungen ausgeſchloſſen
war.“


g) Motive zum erſten Entwurf. I. S. 147.
h) Vgl. Badiſches Strafgeſetzbuch §. 71. „Die Zurechnung iſt ausge-
ſchloſſen
durch jeden Zuſtand, in welchem das Bewußtſein der Strafbarkeit der
Handlung oder die Willkühr des Handelnden fehlt.“ — Das Badiſche Strafgeſetz-
buch iſt übrigens unter den neueren Geſetzgebungen das Einzige, welches über den
Mangel an Zurechnungsfähigkeit ein allgemeines Princip aufſtellt; die anderen geben
nur einzelne Regeln. Auch das Hannov. Criminalgeſetzbuch hat freilich eine
allgemeine Beſtimmung: Art. 82. „Eine geſetzwidrige Handlung oder Unterlaſſung,
welche der Perſon weder aus dem Grunde eines rechtswidrigen Vorſatzes noch einer
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[178/0188] Th. I. Beſtrafung ꝛc. Tit. IV. Ausſchließung oder Milderung d. Strafe. wenn zur Zeit der That die freie Willensbeſtimmung des Thäters gänzlich ausgeſchloſſen war; 3) die Worte des Entwurfs: „durch Gewalt oder Drohung“ zu ſtreichen.“ Betrachten wir einmal, ehe in der Mittheilung des Berichts fortge- fahren wird, dieſe Anträge. Sie beziehen ſich auf die angeführte Stelle des Allg. Landrechts, welche alſo lautet: §. 16. „Wer frei zu handeln unvermögend iſt, bei dem findet kein Verbrechen, alſo auch keine Strafe ſtatt.“ Das Unſichere und Mangelhafte dieſer Beſtimmung iſt bereits von dem Verfaſſer des erſten Entwurfs des Strafgeſetzbuchs dargethan worden; g) er ſchlug folgende Faſſung vor: Entwurf von 1827. §. 111. „Nur demjenigen kann ein Verbrechen zugerechnet und die Strafe deſſelben auferlegt werden, der mit Willkühr zu handeln, und die Unrechtmäßigkeit ſeiner Handlung einzuſehen dabei fähig war. h) “ In dem Entwurf von 1830. iſt dieſer Paragraph aber weggeblieben; er kommt erſt in den Entwürfen von 1833. und 1836. wieder vor, und zwar in der wenig gelungenen Faſſung: §. 76. (73.) „Nur demjenigen kann eine Handlung als Verbre- chen zugerechnet werden, welcher die Rechtswidrigkeit derſelben einzuſehen und die Handlung zu unterlaſſen im Stande war.“ Der Entwurf von 1843. §. 78. machte daran nur eine unbedeutende Aenderung; dagegen lautet die Beſtimmung im Entwurf von 1847.: §. 50. „Eine an ſich ſtrafbare Handlung kann denjenigen Per- ſonen nicht zugerechnet werden, in welchen durch jugendliches Al- ter oder durch einen beſonderen Geiſteszuſtand der freie Gebrauch der Vernunft ausgeſchloſſen war.“ §. 54. „Eine im Geſetz mit Strafe bedrohte Handlung kann demjenigen nicht zugerechnet werden, deſſen freie Willensbeſtim- mung durch Gewaltthätigkeiten oder Drohungen ausgeſchloſſen war.“ g) Motive zum erſten Entwurf. I. S. 147. h) Vgl. Badiſches Strafgeſetzbuch §. 71. „Die Zurechnung iſt ausge- ſchloſſen durch jeden Zuſtand, in welchem das Bewußtſein der Strafbarkeit der Handlung oder die Willkühr des Handelnden fehlt.“ — Das Badiſche Strafgeſetz- buch iſt übrigens unter den neueren Geſetzgebungen das Einzige, welches über den Mangel an Zurechnungsfähigkeit ein allgemeines Princip aufſtellt; die anderen geben nur einzelne Regeln. Auch das Hannov. Criminalgeſetzbuch hat freilich eine allgemeine Beſtimmung: Art. 82. „Eine geſetzwidrige Handlung oder Unterlaſſung, welche der Perſon weder aus dem Grunde eines rechtswidrigen Vorſatzes noch einer mit Strafe bedrohten Fahrläſſigkeit zugerechnet werden kann, iſt ſtraflos.“ Allein ſo vereinzelt hingeſtellt, hat dieſer Satz keine rechte Bedeutung.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/188>, abgerufen am 28.11.2024.