Th. I. Bestrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. II. Von d. Versuche.
sätze, welche in den beiden vorhergehenden Paragraphen aufgestellt sind, sowohl in Beziehung auf die Frage, wann der strafbare Versuch an- fängt oder aufhört strafbar zu sein, oder als beendigt anzusehen ist, als auch in Beziehung auf die Bestrafung selbst, nur daß natürlich der zweite Absatz des §. 32. hier bedeutungslos ist. Dagegen kommt hier die tiefeingreifende Regel zur Anwendung, daß der Versuch eines Ver- gehens nur in den Fällen bestraft wird, in welchen die Gesetze dieß ausdrücklich bestimmen. Die Vergehen bilden hier also einen Ueber- gangspunkt zu den Uebertretungen, bei denen der Versuch niemals be- straft wird (§. 336.).
Daß bei Vergehen der Versuch nur in Folge ausdrücklicher gesetz- licher Vorschrift bestraft werden soll, ist übrigens eine Bestimmung, welche der Code penal (art. 3.), dem sie entlehnt worden, nicht erfunden hat, wenn auch bei der Abfassung desselben die Gründe der Zweckmäßigkeit, welche dafür sprechen, besonders hervorgehoben worden sind und eine weitere Berücksichtigung, als in der früheren Doktrin gefunden haben. y) Gerade auf dem Gebiet, welches die Vergehen einnehmen, begegnen sich die Strafgerechtigkeit und diejenige Strafgewalt, welche die aus Rücksichten der Polizei erlassenen Gebote und Verbote zur Anerkennung bringt; der letzte Grund für die Bestrafung des Versuchs, der böse Wille des Thä- ters, darf hier nicht immer oder doch nicht in solcher Stärke angenom- men werden, daß auch ohne Rücksicht auf den Erfolg stets eine Strafe zu vollziehen ist. Schon die ältere gemeinrechtliche Doktrin unterschied daher in dieser Hinsicht zwischen delicta atrociora und leviora, und auch die Halsgerichtsordnung Karls V. handelt nur von den "peinlichen" Strafen des bösen Willens bei unterstandener Missethat.
Die Vergehen nun, bei denen der Versuch nach dem Gesetzbuch ge- straft werden soll, sind folgende:
in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte (§. 84.), Zwang gegen Behörden (§. 90.), Befreiung von Gefangenen (§. 94.), Meuterei in Strafanstalten (§. 96.), Verleitung zum Desertiren (§. 111.), Drohung mit Verbrechen (§. 212.), Diebstahl (§. 216.), Unterschlagung (§. 227.), Erpressung (§. 234.),
y) Ueber die Motive der Französischen Gesetzgebung und namentlich über die Verhandlungen des Napoleonischen Staatsraths f. Chauveau et Helie Fau- stin I. c. p. 155-157. -- Napoleon ließ sich die Gründe der Bestimmung ge- nau auseinander setzen.
Th. I. Beſtrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. II. Von d. Verſuche.
ſätze, welche in den beiden vorhergehenden Paragraphen aufgeſtellt ſind, ſowohl in Beziehung auf die Frage, wann der ſtrafbare Verſuch an- fängt oder aufhört ſtrafbar zu ſein, oder als beendigt anzuſehen iſt, als auch in Beziehung auf die Beſtrafung ſelbſt, nur daß natürlich der zweite Abſatz des §. 32. hier bedeutungslos iſt. Dagegen kommt hier die tiefeingreifende Regel zur Anwendung, daß der Verſuch eines Ver- gehens nur in den Fällen beſtraft wird, in welchen die Geſetze dieß ausdrücklich beſtimmen. Die Vergehen bilden hier alſo einen Ueber- gangspunkt zu den Uebertretungen, bei denen der Verſuch niemals be- ſtraft wird (§. 336.).
Daß bei Vergehen der Verſuch nur in Folge ausdrücklicher geſetz- licher Vorſchrift beſtraft werden ſoll, iſt übrigens eine Beſtimmung, welche der Code pénal (art. 3.), dem ſie entlehnt worden, nicht erfunden hat, wenn auch bei der Abfaſſung deſſelben die Gründe der Zweckmäßigkeit, welche dafür ſprechen, beſonders hervorgehoben worden ſind und eine weitere Berückſichtigung, als in der früheren Doktrin gefunden haben. y) Gerade auf dem Gebiet, welches die Vergehen einnehmen, begegnen ſich die Strafgerechtigkeit und diejenige Strafgewalt, welche die aus Rückſichten der Polizei erlaſſenen Gebote und Verbote zur Anerkennung bringt; der letzte Grund für die Beſtrafung des Verſuchs, der böſe Wille des Thä- ters, darf hier nicht immer oder doch nicht in ſolcher Stärke angenom- men werden, daß auch ohne Rückſicht auf den Erfolg ſtets eine Strafe zu vollziehen iſt. Schon die ältere gemeinrechtliche Doktrin unterſchied daher in dieſer Hinſicht zwiſchen delicta atrociora und leviora, und auch die Halsgerichtsordnung Karls V. handelt nur von den „peinlichen“ Strafen des böſen Willens bei unterſtandener Miſſethat.
Die Vergehen nun, bei denen der Verſuch nach dem Geſetzbuch ge- ſtraft werden ſoll, ſind folgende:
in Beziehung auf die Ausübung ſtaatsbürgerlicher Rechte (§. 84.), Zwang gegen Behörden (§. 90.), Befreiung von Gefangenen (§. 94.), Meuterei in Strafanſtalten (§. 96.), Verleitung zum Deſertiren (§. 111.), Drohung mit Verbrechen (§. 212.), Diebſtahl (§. 216.), Unterſchlagung (§. 227.), Erpreſſung (§. 234.),
y) Ueber die Motive der Franzöſiſchen Geſetzgebung und namentlich über die Verhandlungen des Napoleoniſchen Staatsraths f. Chauveau et Hélie Fau- stin I. c. p. 155-157. — Napoleon ließ ſich die Gründe der Beſtimmung ge- nau auseinander ſetzen.
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Th. I. Beſtrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. II. Von d. Verſuche.
ſätze, welche in den beiden vorhergehenden Paragraphen aufgeſtellt ſind,
ſowohl in Beziehung auf die Frage, wann der ſtrafbare Verſuch an-
fängt oder aufhört ſtrafbar zu ſein, oder als beendigt anzuſehen iſt, als
auch in Beziehung auf die Beſtrafung ſelbſt, nur daß natürlich der
zweite Abſatz des §. 32. hier bedeutungslos iſt. Dagegen kommt hier
die tiefeingreifende Regel zur Anwendung, daß der Verſuch eines Ver-
gehens nur in den Fällen beſtraft wird, in welchen die Geſetze dieß
ausdrücklich beſtimmen. Die Vergehen bilden hier alſo einen Ueber-
gangspunkt zu den Uebertretungen, bei denen der Verſuch niemals be-
ſtraft wird (§. 336.).
Daß bei Vergehen der Verſuch nur in Folge ausdrücklicher geſetz-
licher Vorſchrift beſtraft werden ſoll, iſt übrigens eine Beſtimmung, welche
der Code pénal (art. 3.), dem ſie entlehnt worden, nicht erfunden hat,
wenn auch bei der Abfaſſung deſſelben die Gründe der Zweckmäßigkeit,
welche dafür ſprechen, beſonders hervorgehoben worden ſind und eine
weitere Berückſichtigung, als in der früheren Doktrin gefunden haben. y)
Gerade auf dem Gebiet, welches die Vergehen einnehmen, begegnen ſich
die Strafgerechtigkeit und diejenige Strafgewalt, welche die aus Rückſichten
der Polizei erlaſſenen Gebote und Verbote zur Anerkennung bringt; der
letzte Grund für die Beſtrafung des Verſuchs, der böſe Wille des Thä-
ters, darf hier nicht immer oder doch nicht in ſolcher Stärke angenom-
men werden, daß auch ohne Rückſicht auf den Erfolg ſtets eine Strafe
zu vollziehen iſt. Schon die ältere gemeinrechtliche Doktrin unterſchied
daher in dieſer Hinſicht zwiſchen delicta atrociora und leviora, und
auch die Halsgerichtsordnung Karls V. handelt nur von den „peinlichen“
Strafen des böſen Willens bei unterſtandener Miſſethat.
Die Vergehen nun, bei denen der Verſuch nach dem Geſetzbuch ge-
ſtraft werden ſoll, ſind folgende:
in Beziehung auf die Ausübung ſtaatsbürgerlicher Rechte (§. 84.),
Zwang gegen Behörden (§. 90.),
Befreiung von Gefangenen (§. 94.),
Meuterei in Strafanſtalten (§. 96.),
Verleitung zum Deſertiren (§. 111.),
Drohung mit Verbrechen (§. 212.),
Diebſtahl (§. 216.),
Unterſchlagung (§. 227.),
Erpreſſung (§. 234.),
y) Ueber die Motive der Franzöſiſchen Geſetzgebung und namentlich über die
Verhandlungen des Napoleoniſchen Staatsraths f. Chauveau et Hélie Fau-
stin I. c. p. 155-157. — Napoleon ließ ſich die Gründe der Beſtimmung ge-
nau auseinander ſetzen.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/160>, abgerufen am 16.07.2024.
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