Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.fortgesetztes Weinen und Wimmern Mitleid und Aufmerksamkeit zu erregen, und in der That mochte ihr übel genug zu Muthe sein. Ich kann nicht mehr stehen, die Beine werden mir so steif, ich falle um, klagte sie; und Fritz selbst sagte: Helft doch dem Kinde! Aber die Leitern waren nun einmal an seiner Seite befestigt, die Bretter über die Untiefe gelegt, auch konnte man wirklich nur durch ihn zu Mariechen dringen, Heinrich antwortete: Eins nach dem Andern! und fuhr fort, sich um Fritz zu bemühen; mit unsäglicher Anstrengung gelang es, ihn herauszuziehen, doch als er die Bretter betrat, konnte er nicht mehr stehen und wäre umgefallen, wenn seine beiden Befreier seine Schwäche nicht vorausgesehen und ihn gehalten hätten; so halb geschoben und halb gezogen, führten sie ihn Lieschen zu; hier sank er auf den Boden; sie warf sich neben ihn und suchte ihn durch Reiben zu erwärmen. Jetzt kam die Reihe an Mariechen, der leichter geholfen ward. Als sie herausgezogen war, nahm Heinrich sie auf die Schultern; von Lieschen gestützt und vom Knechte geführt, erhob sich Fritz: so erreichten die beiden Geretteten den Wagen, wo sie sich ins Stroh legten, dann gingen die Männer Bretter und Leitern zurückzuholen. Nachdem man diese unter dem Wagen festgebunden, fuhr man dem Dorfe zu, wo Alles in tiefen Schlaf begraben lag; nur eine Person wachte in namenloser Angst -- Lieschen's Mutter. Sie hörte den Wagen, trat ans Fenster und horchte; aber er fortgesetztes Weinen und Wimmern Mitleid und Aufmerksamkeit zu erregen, und in der That mochte ihr übel genug zu Muthe sein. Ich kann nicht mehr stehen, die Beine werden mir so steif, ich falle um, klagte sie; und Fritz selbst sagte: Helft doch dem Kinde! Aber die Leitern waren nun einmal an seiner Seite befestigt, die Bretter über die Untiefe gelegt, auch konnte man wirklich nur durch ihn zu Mariechen dringen, Heinrich antwortete: Eins nach dem Andern! und fuhr fort, sich um Fritz zu bemühen; mit unsäglicher Anstrengung gelang es, ihn herauszuziehen, doch als er die Bretter betrat, konnte er nicht mehr stehen und wäre umgefallen, wenn seine beiden Befreier seine Schwäche nicht vorausgesehen und ihn gehalten hätten; so halb geschoben und halb gezogen, führten sie ihn Lieschen zu; hier sank er auf den Boden; sie warf sich neben ihn und suchte ihn durch Reiben zu erwärmen. Jetzt kam die Reihe an Mariechen, der leichter geholfen ward. Als sie herausgezogen war, nahm Heinrich sie auf die Schultern; von Lieschen gestützt und vom Knechte geführt, erhob sich Fritz: so erreichten die beiden Geretteten den Wagen, wo sie sich ins Stroh legten, dann gingen die Männer Bretter und Leitern zurückzuholen. Nachdem man diese unter dem Wagen festgebunden, fuhr man dem Dorfe zu, wo Alles in tiefen Schlaf begraben lag; nur eine Person wachte in namenloser Angst — Lieschen's Mutter. Sie hörte den Wagen, trat ans Fenster und horchte; aber er <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0084"/> fortgesetztes Weinen und Wimmern Mitleid und Aufmerksamkeit zu erregen, und in der That mochte ihr übel genug zu Muthe sein. Ich kann nicht mehr stehen, die Beine werden mir so steif, ich falle um, klagte sie; und Fritz selbst sagte: Helft doch dem Kinde!</p><lb/> <p>Aber die Leitern waren nun einmal an seiner Seite befestigt, die Bretter über die Untiefe gelegt, auch konnte man wirklich nur durch ihn zu Mariechen dringen, Heinrich antwortete: Eins nach dem Andern! und fuhr fort, sich um Fritz zu bemühen; mit unsäglicher Anstrengung gelang es, ihn herauszuziehen, doch als er die Bretter betrat, konnte er nicht mehr stehen und wäre umgefallen, wenn seine beiden Befreier seine Schwäche nicht vorausgesehen und ihn gehalten hätten; so halb geschoben und halb gezogen, führten sie ihn Lieschen zu; hier sank er auf den Boden; sie warf sich neben ihn und suchte ihn durch Reiben zu erwärmen. Jetzt kam die Reihe an Mariechen, der leichter geholfen ward. Als sie herausgezogen war, nahm Heinrich sie auf die Schultern; von Lieschen gestützt und vom Knechte geführt, erhob sich Fritz: so erreichten die beiden Geretteten den Wagen, wo sie sich ins Stroh legten, dann gingen die Männer Bretter und Leitern zurückzuholen. Nachdem man diese unter dem Wagen festgebunden, fuhr man dem Dorfe zu, wo Alles in tiefen Schlaf begraben lag; nur eine Person wachte in namenloser Angst — Lieschen's Mutter. Sie hörte den Wagen, trat ans Fenster und horchte; aber er<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0084]
fortgesetztes Weinen und Wimmern Mitleid und Aufmerksamkeit zu erregen, und in der That mochte ihr übel genug zu Muthe sein. Ich kann nicht mehr stehen, die Beine werden mir so steif, ich falle um, klagte sie; und Fritz selbst sagte: Helft doch dem Kinde!
Aber die Leitern waren nun einmal an seiner Seite befestigt, die Bretter über die Untiefe gelegt, auch konnte man wirklich nur durch ihn zu Mariechen dringen, Heinrich antwortete: Eins nach dem Andern! und fuhr fort, sich um Fritz zu bemühen; mit unsäglicher Anstrengung gelang es, ihn herauszuziehen, doch als er die Bretter betrat, konnte er nicht mehr stehen und wäre umgefallen, wenn seine beiden Befreier seine Schwäche nicht vorausgesehen und ihn gehalten hätten; so halb geschoben und halb gezogen, führten sie ihn Lieschen zu; hier sank er auf den Boden; sie warf sich neben ihn und suchte ihn durch Reiben zu erwärmen. Jetzt kam die Reihe an Mariechen, der leichter geholfen ward. Als sie herausgezogen war, nahm Heinrich sie auf die Schultern; von Lieschen gestützt und vom Knechte geführt, erhob sich Fritz: so erreichten die beiden Geretteten den Wagen, wo sie sich ins Stroh legten, dann gingen die Männer Bretter und Leitern zurückzuholen. Nachdem man diese unter dem Wagen festgebunden, fuhr man dem Dorfe zu, wo Alles in tiefen Schlaf begraben lag; nur eine Person wachte in namenloser Angst — Lieschen's Mutter. Sie hörte den Wagen, trat ans Fenster und horchte; aber er
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Zitationshilfe: | Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berthold_irrwischfritze_1910/84>, abgerufen am 16.02.2025. |