Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.schlief oder schien zu schlafen; Fritz ging schon seit einer halben Stunde am Zaune auf und ab. Jetzt schlug die kleine Dorfglocke elf, Lieschen war noch immer nicht da. Fritz wartete noch fünf Minuten, sie schienen ihm eine Ewigkeit; da knarrte das Thürchen, sie war's! Ach, Lieschen, sagte Fritz, das hätte ich doch nimmermehr von dir gedacht, daß du den reichen Bäcker heirathen und mich sitzen lassen würdest! -- O Fritz, was das häßlich ist von dir, daß du so sprichst! Was soll ich armes Mädchen denn anfangen? Siehst du nicht, wie mir's zu Herzen geht? Vater und Mutter, die willigen nimmermehr ein. -- Wenn du mich so lieb hättest, wie ich dich, so sprächst du nicht so; du fragtest viel nach Vater und Mutter und liefst mit mir in die weite Welt. -- Und dein Häuschen und dein Acker Land? -- Was geht mich mein Häuschen an, wenn ich dich nicht habe? Möchte drin wohnen, wer da will! Wir sind gesund, wir könnten arbeiten. -- Ach Fritz, wie viele Leute, die gesund sind und arbeiten können, und doch kein Brod finden! Und wenn ich nun Kinder kriegte, wie wollten wir denn die ernähren? -- Sie verstummte vor Schrecken über ihre eigene Aeußerung. In der Pause, die dadurch entstand, hörte sie Fritz schluchzen. Still, sagte sie leise, still, guter Junge, daß man uns nicht hört. Sieh, und wer sollte uns denn trauen, wo fänden wir Jemand? Weißt du noch, wie vor vier Jahren die schöne Kutsche mit den zwei Leuten nach Jägerhof kam, zu unserm schlief oder schien zu schlafen; Fritz ging schon seit einer halben Stunde am Zaune auf und ab. Jetzt schlug die kleine Dorfglocke elf, Lieschen war noch immer nicht da. Fritz wartete noch fünf Minuten, sie schienen ihm eine Ewigkeit; da knarrte das Thürchen, sie war's! Ach, Lieschen, sagte Fritz, das hätte ich doch nimmermehr von dir gedacht, daß du den reichen Bäcker heirathen und mich sitzen lassen würdest! — O Fritz, was das häßlich ist von dir, daß du so sprichst! Was soll ich armes Mädchen denn anfangen? Siehst du nicht, wie mir's zu Herzen geht? Vater und Mutter, die willigen nimmermehr ein. — Wenn du mich so lieb hättest, wie ich dich, so sprächst du nicht so; du fragtest viel nach Vater und Mutter und liefst mit mir in die weite Welt. — Und dein Häuschen und dein Acker Land? — Was geht mich mein Häuschen an, wenn ich dich nicht habe? Möchte drin wohnen, wer da will! Wir sind gesund, wir könnten arbeiten. — Ach Fritz, wie viele Leute, die gesund sind und arbeiten können, und doch kein Brod finden! Und wenn ich nun Kinder kriegte, wie wollten wir denn die ernähren? — Sie verstummte vor Schrecken über ihre eigene Aeußerung. In der Pause, die dadurch entstand, hörte sie Fritz schluchzen. Still, sagte sie leise, still, guter Junge, daß man uns nicht hört. Sieh, und wer sollte uns denn trauen, wo fänden wir Jemand? Weißt du noch, wie vor vier Jahren die schöne Kutsche mit den zwei Leuten nach Jägerhof kam, zu unserm <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0040"/> schlief oder schien zu schlafen; Fritz ging schon seit einer halben Stunde am Zaune auf und ab. Jetzt schlug die kleine Dorfglocke elf, Lieschen war noch immer nicht da. Fritz wartete noch fünf Minuten, sie schienen ihm eine Ewigkeit; da knarrte das Thürchen, sie war's!</p><lb/> <p>Ach, Lieschen, sagte Fritz, das hätte ich doch nimmermehr von dir gedacht, daß du den reichen Bäcker heirathen und mich sitzen lassen würdest! — O Fritz, was das häßlich ist von dir, daß du so sprichst! Was soll ich armes Mädchen denn anfangen? Siehst du nicht, wie mir's zu Herzen geht? Vater und Mutter, die willigen nimmermehr ein. — Wenn du mich so lieb hättest, wie ich dich, so sprächst du nicht so; du fragtest viel nach Vater und Mutter und liefst mit mir in die weite Welt. — Und dein Häuschen und dein Acker Land? — Was geht mich mein Häuschen an, wenn ich dich nicht habe? Möchte drin wohnen, wer da will! Wir sind gesund, wir könnten arbeiten. — Ach Fritz, wie viele Leute, die gesund sind und arbeiten können, und doch kein Brod finden! Und wenn ich nun Kinder kriegte, wie wollten wir denn die ernähren? — Sie verstummte vor Schrecken über ihre eigene Aeußerung. In der Pause, die dadurch entstand, hörte sie Fritz schluchzen. Still, sagte sie leise, still, guter Junge, daß man uns nicht hört. Sieh, und wer sollte uns denn trauen, wo fänden wir Jemand? Weißt du noch, wie vor vier Jahren die schöne Kutsche mit den zwei Leuten nach Jägerhof kam, zu unserm<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
schlief oder schien zu schlafen; Fritz ging schon seit einer halben Stunde am Zaune auf und ab. Jetzt schlug die kleine Dorfglocke elf, Lieschen war noch immer nicht da. Fritz wartete noch fünf Minuten, sie schienen ihm eine Ewigkeit; da knarrte das Thürchen, sie war's!
Ach, Lieschen, sagte Fritz, das hätte ich doch nimmermehr von dir gedacht, daß du den reichen Bäcker heirathen und mich sitzen lassen würdest! — O Fritz, was das häßlich ist von dir, daß du so sprichst! Was soll ich armes Mädchen denn anfangen? Siehst du nicht, wie mir's zu Herzen geht? Vater und Mutter, die willigen nimmermehr ein. — Wenn du mich so lieb hättest, wie ich dich, so sprächst du nicht so; du fragtest viel nach Vater und Mutter und liefst mit mir in die weite Welt. — Und dein Häuschen und dein Acker Land? — Was geht mich mein Häuschen an, wenn ich dich nicht habe? Möchte drin wohnen, wer da will! Wir sind gesund, wir könnten arbeiten. — Ach Fritz, wie viele Leute, die gesund sind und arbeiten können, und doch kein Brod finden! Und wenn ich nun Kinder kriegte, wie wollten wir denn die ernähren? — Sie verstummte vor Schrecken über ihre eigene Aeußerung. In der Pause, die dadurch entstand, hörte sie Fritz schluchzen. Still, sagte sie leise, still, guter Junge, daß man uns nicht hört. Sieh, und wer sollte uns denn trauen, wo fänden wir Jemand? Weißt du noch, wie vor vier Jahren die schöne Kutsche mit den zwei Leuten nach Jägerhof kam, zu unserm
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt, c/o Prof. Dr. Thomas Weitin, TU Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-10T13:46:34Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget: conversion of OCR output to TEI-conformant markup and general correction.
(2017-03-10T13:46:34Z)
Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-10T13:46:34Z)
Weitere Informationen:Die Transkription erfolgte nach den unter http://www.deutschestextarchiv.de/doku/basisformat/ formulierten Richtlinien. Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |