Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Vater, macht mich nicht unglücklich! schrie Lieschen. Er lachte gezwungen. Wir kennen das, sagte er, nicht wahr, Mutter? Sind wir nicht nachher die besten Freunde geworden? Die Mutter schwieg. Lieschen glaubte plötzlich einen Bundesgenossen zu entdecken, wo sie ihn am wenigsten vermuthet. Mutter, bat sie, liebe Mutter, ich kann keinen andern Mann heirathen als den Fritz! -- Nenn' mir den Bettler noch einmal! rief der Vater mit einer Wildheit, die Lieschen entsetzte. Sie zitterte und schwieg, eine traurige Pause trat ein. Um Martini ist die Hochzeit, fuhr der harte Mann gewaltsam gefaßt fort: es war, als kenne und fürchte er die angeerbte Krankheit des Jähzorns, als suche er sie zu bändigen. Mutter, ich kann nicht! flehte Lieschen. Der Mensch kann Vieles, meine Tochter, erwiderte die Mutter mit einem Tone, in den sich etwas wie Mißgunst widerwärtig mischte; ein Ton, der in seiner strengen Haltung von einer Schule des Lebens sprach, die vielleicht wenig Bäuerinnen zu Theil ward. Doch tauchte er nur auf, um zu verschwinden. Sie ging in die Küche und war wieder die gewöhnliche Hausfrau, die sie immer schien. Vater, rief Lieschen, wenn ich Euer Kind bin, wenn Ihr Euch jemals über meine Geburt gefreut habt -- Sie erstaunte über ihren eigenen Muth, doch erblich er, so schnell er aufgelodert. Ihres Vaters Augen sprühten Flammen, er schleuderte sie mit Riesenkraft Vater, macht mich nicht unglücklich! schrie Lieschen. Er lachte gezwungen. Wir kennen das, sagte er, nicht wahr, Mutter? Sind wir nicht nachher die besten Freunde geworden? Die Mutter schwieg. Lieschen glaubte plötzlich einen Bundesgenossen zu entdecken, wo sie ihn am wenigsten vermuthet. Mutter, bat sie, liebe Mutter, ich kann keinen andern Mann heirathen als den Fritz! — Nenn' mir den Bettler noch einmal! rief der Vater mit einer Wildheit, die Lieschen entsetzte. Sie zitterte und schwieg, eine traurige Pause trat ein. Um Martini ist die Hochzeit, fuhr der harte Mann gewaltsam gefaßt fort: es war, als kenne und fürchte er die angeerbte Krankheit des Jähzorns, als suche er sie zu bändigen. Mutter, ich kann nicht! flehte Lieschen. Der Mensch kann Vieles, meine Tochter, erwiderte die Mutter mit einem Tone, in den sich etwas wie Mißgunst widerwärtig mischte; ein Ton, der in seiner strengen Haltung von einer Schule des Lebens sprach, die vielleicht wenig Bäuerinnen zu Theil ward. Doch tauchte er nur auf, um zu verschwinden. Sie ging in die Küche und war wieder die gewöhnliche Hausfrau, die sie immer schien. Vater, rief Lieschen, wenn ich Euer Kind bin, wenn Ihr Euch jemals über meine Geburt gefreut habt — Sie erstaunte über ihren eigenen Muth, doch erblich er, so schnell er aufgelodert. Ihres Vaters Augen sprühten Flammen, er schleuderte sie mit Riesenkraft <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0036"/> <p>Vater, macht mich nicht unglücklich! schrie Lieschen. Er lachte gezwungen. Wir kennen das, sagte er, nicht wahr, Mutter? Sind wir nicht nachher die besten Freunde geworden? Die Mutter schwieg. Lieschen glaubte plötzlich einen Bundesgenossen zu entdecken, wo sie ihn am wenigsten vermuthet. Mutter, bat sie, liebe Mutter, ich kann keinen andern Mann heirathen als den Fritz! — Nenn' mir den Bettler noch einmal! rief der Vater mit einer Wildheit, die Lieschen entsetzte. Sie zitterte und schwieg, eine traurige Pause trat ein. Um Martini ist die Hochzeit, fuhr der harte Mann gewaltsam gefaßt fort: es war, als kenne und fürchte er die angeerbte Krankheit des Jähzorns, als suche er sie zu bändigen.</p><lb/> <p>Mutter, ich kann nicht! flehte Lieschen.</p><lb/> <p>Der Mensch kann Vieles, meine Tochter, erwiderte die Mutter mit einem Tone, in den sich etwas wie Mißgunst widerwärtig mischte; ein Ton, der in seiner strengen Haltung von einer Schule des Lebens sprach, die vielleicht wenig Bäuerinnen zu Theil ward. Doch tauchte er nur auf, um zu verschwinden. Sie ging in die Küche und war wieder die gewöhnliche Hausfrau, die sie immer schien.</p><lb/> <p>Vater, rief Lieschen, wenn ich Euer Kind bin, wenn Ihr Euch jemals über meine Geburt gefreut habt —</p><lb/> <p>Sie erstaunte über ihren eigenen Muth, doch erblich er, so schnell er aufgelodert. Ihres Vaters Augen sprühten Flammen, er schleuderte sie mit Riesenkraft<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0036]
Vater, macht mich nicht unglücklich! schrie Lieschen. Er lachte gezwungen. Wir kennen das, sagte er, nicht wahr, Mutter? Sind wir nicht nachher die besten Freunde geworden? Die Mutter schwieg. Lieschen glaubte plötzlich einen Bundesgenossen zu entdecken, wo sie ihn am wenigsten vermuthet. Mutter, bat sie, liebe Mutter, ich kann keinen andern Mann heirathen als den Fritz! — Nenn' mir den Bettler noch einmal! rief der Vater mit einer Wildheit, die Lieschen entsetzte. Sie zitterte und schwieg, eine traurige Pause trat ein. Um Martini ist die Hochzeit, fuhr der harte Mann gewaltsam gefaßt fort: es war, als kenne und fürchte er die angeerbte Krankheit des Jähzorns, als suche er sie zu bändigen.
Mutter, ich kann nicht! flehte Lieschen.
Der Mensch kann Vieles, meine Tochter, erwiderte die Mutter mit einem Tone, in den sich etwas wie Mißgunst widerwärtig mischte; ein Ton, der in seiner strengen Haltung von einer Schule des Lebens sprach, die vielleicht wenig Bäuerinnen zu Theil ward. Doch tauchte er nur auf, um zu verschwinden. Sie ging in die Küche und war wieder die gewöhnliche Hausfrau, die sie immer schien.
Vater, rief Lieschen, wenn ich Euer Kind bin, wenn Ihr Euch jemals über meine Geburt gefreut habt —
Sie erstaunte über ihren eigenen Muth, doch erblich er, so schnell er aufgelodert. Ihres Vaters Augen sprühten Flammen, er schleuderte sie mit Riesenkraft
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