Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Es war an einem schönen Junitage, das Gras lag in langen Reihen und begann unter dem Strahl der Sonne zu welken und zu duften. Die Mäher und Mäherinnen hatten sich einzeln und in Gruppen zurückgezogen; mehrere Männer ruhten am Saum des Kornfeldes, das neben der Wiese hinlief, und benutzten den schmalen Schatten der hochaufgeschossenen Aehren zum Mittagsschlaf. Ein Haufen Weiber beschäftigte sich, einen thönernen Henkeltopf, der das enthielt, was jene von der Mahlzeit übrig gelassen, mit einem hölzernen Löffel zu leeren, der reih'um ging; ein paar Kinder kehrten, die in bunte und schmutzigweiße Tücher gebundenen Gefäße zum Zeichen der Inhaltlosigkeit schwenkend, nach dem Dörfchen zurück, aus welchem sie gekommen. In einiger Entfernung von den Andern saß ein hübsches Mädchen auf einem kleinen Rasenhügel, der ehedem Ameisen zur Wohnung gedient hatte, jetzt aber von duftendem Thymian überwachsen den natürlichsten Schemel bot. Auch sie schützte das Kornfeld, durch welches ein schwaches Lüftchen zog, das seinen Blüthenstaub hin und her trug und den Geruch mit dem des welken- Es war an einem schönen Junitage, das Gras lag in langen Reihen und begann unter dem Strahl der Sonne zu welken und zu duften. Die Mäher und Mäherinnen hatten sich einzeln und in Gruppen zurückgezogen; mehrere Männer ruhten am Saum des Kornfeldes, das neben der Wiese hinlief, und benutzten den schmalen Schatten der hochaufgeschossenen Aehren zum Mittagsschlaf. Ein Haufen Weiber beschäftigte sich, einen thönernen Henkeltopf, der das enthielt, was jene von der Mahlzeit übrig gelassen, mit einem hölzernen Löffel zu leeren, der reih'um ging; ein paar Kinder kehrten, die in bunte und schmutzigweiße Tücher gebundenen Gefäße zum Zeichen der Inhaltlosigkeit schwenkend, nach dem Dörfchen zurück, aus welchem sie gekommen. In einiger Entfernung von den Andern saß ein hübsches Mädchen auf einem kleinen Rasenhügel, der ehedem Ameisen zur Wohnung gedient hatte, jetzt aber von duftendem Thymian überwachsen den natürlichsten Schemel bot. Auch sie schützte das Kornfeld, durch welches ein schwaches Lüftchen zog, das seinen Blüthenstaub hin und her trug und den Geruch mit dem des welken- <TEI> <text> <pb facs="#f0011"/> <body> <div n="1"> <p>Es war an einem schönen Junitage, das Gras lag in langen Reihen und begann unter dem Strahl der Sonne zu welken und zu duften. Die Mäher und Mäherinnen hatten sich einzeln und in Gruppen zurückgezogen; mehrere Männer ruhten am Saum des Kornfeldes, das neben der Wiese hinlief, und benutzten den schmalen Schatten der hochaufgeschossenen Aehren zum Mittagsschlaf. Ein Haufen Weiber beschäftigte sich, einen thönernen Henkeltopf, der das enthielt, was jene von der Mahlzeit übrig gelassen, mit einem hölzernen Löffel zu leeren, der reih'um ging; ein paar Kinder kehrten, die in bunte und schmutzigweiße Tücher gebundenen Gefäße zum Zeichen der Inhaltlosigkeit schwenkend, nach dem Dörfchen zurück, aus welchem sie gekommen. In einiger Entfernung von den Andern saß ein hübsches Mädchen auf einem kleinen Rasenhügel, der ehedem Ameisen zur Wohnung gedient hatte, jetzt aber von duftendem Thymian überwachsen den natürlichsten Schemel bot. Auch sie schützte das Kornfeld, durch welches ein schwaches Lüftchen zog, das seinen Blüthenstaub hin und her trug und den Geruch mit dem des welken-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0011]
Es war an einem schönen Junitage, das Gras lag in langen Reihen und begann unter dem Strahl der Sonne zu welken und zu duften. Die Mäher und Mäherinnen hatten sich einzeln und in Gruppen zurückgezogen; mehrere Männer ruhten am Saum des Kornfeldes, das neben der Wiese hinlief, und benutzten den schmalen Schatten der hochaufgeschossenen Aehren zum Mittagsschlaf. Ein Haufen Weiber beschäftigte sich, einen thönernen Henkeltopf, der das enthielt, was jene von der Mahlzeit übrig gelassen, mit einem hölzernen Löffel zu leeren, der reih'um ging; ein paar Kinder kehrten, die in bunte und schmutzigweiße Tücher gebundenen Gefäße zum Zeichen der Inhaltlosigkeit schwenkend, nach dem Dörfchen zurück, aus welchem sie gekommen. In einiger Entfernung von den Andern saß ein hübsches Mädchen auf einem kleinen Rasenhügel, der ehedem Ameisen zur Wohnung gedient hatte, jetzt aber von duftendem Thymian überwachsen den natürlichsten Schemel bot. Auch sie schützte das Kornfeld, durch welches ein schwaches Lüftchen zog, das seinen Blüthenstaub hin und her trug und den Geruch mit dem des welken-
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Zitationshilfe: | Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berthold_irrwischfritze_1910/11>, abgerufen am 16.02.2025. |