Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

mehr als iemahls gequälet,
liter nachgrübeln, wie Melancholia und Auto-
chiria connecti
re, und durch was vor eine Reihe
der Gedancken, Urtheile, Schlüsse und der Af-
fect
en eines auf das andere folge. Wenn ich
nicht wüste, und mir nicht bekannt wäre in die-
sem Stücke die Unwissenheit der Menschen,
und daß diese Materie vom Selbst-Mord der
Melancholicorum, so lange die Welt stehet, in
lauter Nacht und Dunckelheit gelegen, und zum
Theil noch lieget; so möchte ich mich manchmahl
bald ärgern, wenn ich der Leute ihre Reden anhö-
ren muß. Dieser und jener, heißts, ist vor
einigen Jahren so
melancholisch gewesen,
daß er sich auch selbst ein Leid thun wollen.

Was, wollen? der arme Melancholicus, wenn
er kein Atheist, noch ein unbekehrter Mensch ist,
ließ sich eher in Stücken hacken, als daß er wird
wollen, oder einen Willen, und Neigung ha-
ben sich umzubringen; man solte eher so spre-
chen: er ist vor einigen Jahren so melancholisch
gewesen, daß er mit der Furcht und Einbildung
geplaget worden, er werde sich noch ein Leid
thun.

Nun wieder zur Sache zu kommen, so be-
taure ich den armen Herrn Fiebig, den ehe-
mahligen Unter-Leichen-Schreiber, der vor
30. Jahren bey mir Philosophie hörete, und
sich trefflich in Collegio Disputatorio-Practico

vor
Y y 4

mehr als iemahls gequaͤlet,
liter nachgruͤbeln, wie Melancholia und Auto-
chiria connecti
re, und durch was vor eine Reihe
der Gedancken, Urtheile, Schluͤſſe und der Af-
fect
en eines auf das andere folge. Wenn ich
nicht wuͤſte, und mir nicht bekannt waͤre in die-
ſem Stuͤcke die Unwiſſenheit der Menſchen,
und daß dieſe Materie vom Selbſt-Mord der
Melancholicorum, ſo lange die Welt ſtehet, in
lauter Nacht und Dunckelheit gelegen, und zum
Theil noch lieget; ſo moͤchte ich mich manchmahl
bald aͤrgern, wenn ich der Leute ihre Reden anhoͤ-
ren muß. Dieſer und jener, heißts, iſt vor
einigen Jahren ſo
melancholiſch geweſen,
daß er ſich auch ſelbſt ein Leid thun wollen.

Was, wollen? der arme Melancholicus, wenn
er kein Atheiſt, noch ein unbekehrter Menſch iſt,
ließ ſich eher in Stuͤcken hacken, als daß er wird
wollen, oder einen Willen, und Neigung ha-
ben ſich umzubringen; man ſolte eher ſo ſpre-
chen: er iſt vor einigen Jahren ſo melancholiſch
geweſen, daß er mit der Furcht und Einbildung
geplaget worden, er werde ſich noch ein Leid
thun.

Nun wieder zur Sache zu kommen, ſo be-
taure ich den armen Herrn Fiebig, den ehe-
mahligen Unter-Leichen-Schreiber, der vor
30. Jahren bey mir Philoſophie hoͤrete, und
ſich trefflich in Collegio Diſputatorio-Practico

vor
Y y 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0757" n="711"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">mehr als iemahls gequa&#x0364;let,</hi></fw><lb/><hi rendition="#aq">liter</hi> nachgru&#x0364;beln, wie <hi rendition="#aq">Melancholia</hi> und <hi rendition="#aq">Auto-<lb/>
chiria connecti</hi>re, und durch was vor eine Reihe<lb/>
der Gedancken, Urtheile, Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e und der <hi rendition="#aq">Af-<lb/>
fect</hi>en eines auf das andere folge. Wenn ich<lb/>
nicht wu&#x0364;&#x017F;te, und mir nicht bekannt wa&#x0364;re in die-<lb/>
&#x017F;em Stu&#x0364;cke die Unwi&#x017F;&#x017F;enheit der Men&#x017F;chen,<lb/>
und daß die&#x017F;e Materie vom Selb&#x017F;t-Mord der<lb/><hi rendition="#aq">Melancholicorum,</hi> &#x017F;o lange die Welt &#x017F;tehet, in<lb/>
lauter Nacht und Dunckelheit gelegen, und zum<lb/>
Theil noch lieget; &#x017F;o mo&#x0364;chte ich mich manchmahl<lb/>
bald a&#x0364;rgern, wenn ich der Leute ihre Reden anho&#x0364;-<lb/>
ren muß. <hi rendition="#fr">Die&#x017F;er und jener,</hi> heißts, <hi rendition="#fr">i&#x017F;t vor<lb/>
einigen Jahren &#x017F;o</hi> <hi rendition="#aq">melancholi</hi><hi rendition="#fr">&#x017F;ch gewe&#x017F;en,<lb/>
daß er &#x017F;ich auch &#x017F;elb&#x017F;t ein Leid thun wollen.</hi><lb/>
Was, <hi rendition="#fr">wollen?</hi> der arme <hi rendition="#aq">Melancholicus,</hi> wenn<lb/>
er kein <hi rendition="#aq">Athei&#x017F;t,</hi> noch ein unbekehrter Men&#x017F;ch i&#x017F;t,<lb/>
ließ &#x017F;ich eher in Stu&#x0364;cken hacken, als daß er wird<lb/><hi rendition="#fr">wollen,</hi> oder einen Willen, und Neigung ha-<lb/>
ben &#x017F;ich umzubringen; man &#x017F;olte eher &#x017F;o &#x017F;pre-<lb/>
chen: er i&#x017F;t vor einigen Jahren &#x017F;o <hi rendition="#aq">melancholi</hi>&#x017F;ch<lb/>
gewe&#x017F;en, daß er mit der Furcht und Einbildung<lb/>
geplaget worden, er werde &#x017F;ich noch ein Leid<lb/>
thun.</p><lb/>
        <p>Nun wieder zur Sache zu kommen, &#x017F;o be-<lb/>
taure ich den armen Herrn <hi rendition="#fr">Fiebig,</hi> den ehe-<lb/>
mahligen Unter-Leichen-Schreiber, der vor<lb/>
30. Jahren bey mir <hi rendition="#aq">Philo&#x017F;ophie</hi> ho&#x0364;rete, und<lb/>
&#x017F;ich trefflich in <hi rendition="#aq">Collegio Di&#x017F;putatorio-Practico</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Y y 4</fw><fw place="bottom" type="catch">vor</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[711/0757] mehr als iemahls gequaͤlet, liter nachgruͤbeln, wie Melancholia und Auto- chiria connectire, und durch was vor eine Reihe der Gedancken, Urtheile, Schluͤſſe und der Af- fecten eines auf das andere folge. Wenn ich nicht wuͤſte, und mir nicht bekannt waͤre in die- ſem Stuͤcke die Unwiſſenheit der Menſchen, und daß dieſe Materie vom Selbſt-Mord der Melancholicorum, ſo lange die Welt ſtehet, in lauter Nacht und Dunckelheit gelegen, und zum Theil noch lieget; ſo moͤchte ich mich manchmahl bald aͤrgern, wenn ich der Leute ihre Reden anhoͤ- ren muß. Dieſer und jener, heißts, iſt vor einigen Jahren ſo melancholiſch geweſen, daß er ſich auch ſelbſt ein Leid thun wollen. Was, wollen? der arme Melancholicus, wenn er kein Atheiſt, noch ein unbekehrter Menſch iſt, ließ ſich eher in Stuͤcken hacken, als daß er wird wollen, oder einen Willen, und Neigung ha- ben ſich umzubringen; man ſolte eher ſo ſpre- chen: er iſt vor einigen Jahren ſo melancholiſch geweſen, daß er mit der Furcht und Einbildung geplaget worden, er werde ſich noch ein Leid thun. Nun wieder zur Sache zu kommen, ſo be- taure ich den armen Herrn Fiebig, den ehe- mahligen Unter-Leichen-Schreiber, der vor 30. Jahren bey mir Philoſophie hoͤrete, und ſich trefflich in Collegio Diſputatorio-Practico vor Y y 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/757
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 711. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/757>, abgerufen am 24.11.2024.