Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

Flucht riethen, vergrößert,
wie ich auch sonst zu thun gewohnt, und es mei-
nen Leuten nicht unbekannt war, und vielfältig-
mahl, zu meiner Gesundheit, in einem Tage bis
nach Groß-Kugel, so der halbe Weg nach Halle,
und wiederum nach Hause gefahren. Das
drittemahl war ich schon auf dem Wege zur
Post, und hatte in meiner Kammer mein armes
Vögelchen verschlossen, das mich viel und lange
Jahre mit seinem Singen erquicket. Es jam-
merte mich, daß das arme Thier endlich vor
Hunger sterben solte, und eilte schnelle wiederum
zu Hause, wodurch es aber geschahe, daß ich aber-
mahls anlangete, da die Post schon weg war.
Nach der Zeit fiel böses Wetter ein, in welchem
ich nicht wagen durffte, meinen Leib in Gefahr
zu setzen. Jch halte aber, daß dergleichen Ursa-
chen, die mich noch am Echappiren, und am
Davongehen gehindert, wohl nur von meinem,
so zu reden, unwilligen Willen mögen gekommen
seyn; denn wenn der Mensch zu einer Sache
nicht recht Lust hat, so ist er froh, wenn er nur
eine Schein-Ursache erfinden kan, die ihn ab-
hält das zu thun, woran er ohnedem schwer
gehet.

Anno 1728.
§. 143.

Die Zeit der Verhörung, welche in der
Michaels-Woche ihren Anfang nehmen solte,

rückte

Flucht riethen, vergroͤßert,
wie ich auch ſonſt zu thun gewohnt, und es mei-
nen Leuten nicht unbekannt war, und vielfaͤltig-
mahl, zu meiner Geſundheit, in einem Tage bis
nach Groß-Kugel, ſo der halbe Weg nach Halle,
und wiederum nach Hauſe gefahren. Das
drittemahl war ich ſchon auf dem Wege zur
Poſt, und hatte in meiner Kammer mein armes
Voͤgelchen verſchloſſen, das mich viel und lange
Jahre mit ſeinem Singen erquicket. Es jam-
merte mich, daß das arme Thier endlich vor
Hunger ſterben ſolte, und eilte ſchnelle wiederum
zu Hauſe, wodurch es aber geſchahe, daß ich aber-
mahls anlangete, da die Poſt ſchon weg war.
Nach der Zeit fiel boͤſes Wetter ein, in welchem
ich nicht wagen durffte, meinen Leib in Gefahr
zu ſetzen. Jch halte aber, daß dergleichen Urſa-
chen, die mich noch am Echappiren, und am
Davongehen gehindert, wohl nur von meinem,
ſo zu reden, unwilligen Willen moͤgen gekommen
ſeyn; denn wenn der Menſch zu einer Sache
nicht recht Luſt hat, ſo iſt er froh, wenn er nur
eine Schein-Urſache erfinden kan, die ihn ab-
haͤlt das zu thun, woran er ohnedem ſchwer
gehet.

Anno 1728.
§. 143.

Die Zeit der Verhoͤrung, welche in der
Michaels-Woche ihren Anfang nehmen ſolte,

ruͤckte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0716" n="670"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Flucht riethen, vergro&#x0364;ßert,</hi></fw><lb/>
wie ich auch &#x017F;on&#x017F;t zu thun gewohnt, und es mei-<lb/>
nen Leuten nicht unbekannt war, und vielfa&#x0364;ltig-<lb/>
mahl, zu meiner Ge&#x017F;undheit, in einem Tage bis<lb/>
nach Groß-Kugel, &#x017F;o der halbe Weg nach Halle,<lb/>
und wiederum nach Hau&#x017F;e gefahren. Das<lb/>
drittemahl war ich &#x017F;chon auf dem Wege zur<lb/>
Po&#x017F;t, und hatte in meiner Kammer mein armes<lb/>
Vo&#x0364;gelchen ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, das mich viel und lange<lb/>
Jahre mit &#x017F;einem Singen erquicket. Es jam-<lb/>
merte mich, daß das arme Thier endlich vor<lb/>
Hunger &#x017F;terben &#x017F;olte, und eilte &#x017F;chnelle wiederum<lb/>
zu Hau&#x017F;e, wodurch es aber ge&#x017F;chahe, daß ich aber-<lb/>
mahls anlangete, da die Po&#x017F;t &#x017F;chon weg war.<lb/>
Nach der Zeit fiel bo&#x0364;&#x017F;es Wetter ein, in welchem<lb/>
ich nicht wagen durffte, meinen Leib in Gefahr<lb/>
zu &#x017F;etzen. Jch halte aber, daß dergleichen Ur&#x017F;a-<lb/>
chen, die mich noch am <hi rendition="#aq">Echappir</hi>en, und am<lb/>
Davongehen gehindert, wohl nur von meinem,<lb/>
&#x017F;o zu reden, unwilligen Willen mo&#x0364;gen gekommen<lb/>
&#x017F;eyn; denn wenn der Men&#x017F;ch zu einer Sache<lb/>
nicht recht Lu&#x017F;t hat, &#x017F;o i&#x017F;t er froh, wenn er nur<lb/>
eine Schein-Ur&#x017F;ache erfinden kan, die ihn ab-<lb/>
ha&#x0364;lt das zu thun, woran er ohnedem &#x017F;chwer<lb/>
gehet.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#b"><hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">Anno</hi> 1728.</hi></hi><lb/>
§. 143.</head><lb/>
        <p>Die Zeit der Verho&#x0364;rung, welche in der<lb/>
Michaels-Woche ihren Anfang nehmen &#x017F;olte,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ru&#x0364;ckte</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[670/0716] Flucht riethen, vergroͤßert, wie ich auch ſonſt zu thun gewohnt, und es mei- nen Leuten nicht unbekannt war, und vielfaͤltig- mahl, zu meiner Geſundheit, in einem Tage bis nach Groß-Kugel, ſo der halbe Weg nach Halle, und wiederum nach Hauſe gefahren. Das drittemahl war ich ſchon auf dem Wege zur Poſt, und hatte in meiner Kammer mein armes Voͤgelchen verſchloſſen, das mich viel und lange Jahre mit ſeinem Singen erquicket. Es jam- merte mich, daß das arme Thier endlich vor Hunger ſterben ſolte, und eilte ſchnelle wiederum zu Hauſe, wodurch es aber geſchahe, daß ich aber- mahls anlangete, da die Poſt ſchon weg war. Nach der Zeit fiel boͤſes Wetter ein, in welchem ich nicht wagen durffte, meinen Leib in Gefahr zu ſetzen. Jch halte aber, daß dergleichen Urſa- chen, die mich noch am Echappiren, und am Davongehen gehindert, wohl nur von meinem, ſo zu reden, unwilligen Willen moͤgen gekommen ſeyn; denn wenn der Menſch zu einer Sache nicht recht Luſt hat, ſo iſt er froh, wenn er nur eine Schein-Urſache erfinden kan, die ihn ab- haͤlt das zu thun, woran er ohnedem ſchwer gehet. Anno 1728. §. 143. Die Zeit der Verhoͤrung, welche in der Michaels-Woche ihren Anfang nehmen ſolte, ruͤckte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/716
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 670. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/716>, abgerufen am 22.12.2024.