Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

so in Religions-Scrupeln
nen wolte, die derjenige hat, welcher malade en
Religion,
wie es die Frantzosen nennen, oder
kranck an der Religion ist, wenn ich so reden
mag; das heist, der gewisse Lehr-Sätze heget,
die er vor wichtige Wahrheiten ansiehet, und
weil er dieselben von grossem Nutzen zu seyn glau-
bet, daferne sie andern mitgetheilet würden, im
Gewissen, und bey Verlust der Gnade GOttes
sich höchst verbunden achtet, dieselben nicht län-
ger geheim zu halten, sondern sie öffentlich vor-
zutragen, und sie mündlich, oder schrifftlich der
Welt zu communiciren, und doch wegen natür-
licher Furcht aller der Unruhe, und der Ubel,
die er sich dadurch könte zuziehen, davon immer
zurücke gehalten wird, und solches stets von einer
Zeit zur andern unter vieler Sorge und Kum-
mer, Peinigung des Gemüthes, und Gewissens-
Angst, aufschiebet. Wenn diejenigen hitzigen
Eiferer, die zuweilen auf eine unbarmhertzige
Weise mit denen umgehen, die nicht in allem
ihrer Meynung sind, wüsten, wie einem sol-
chem Menschen zu Muthe, und was er vor ein
armer elender, und geplagter Mensch sey, der
nicht etwan aus Hochmuth, und mit fröhlichem
Muthe über den andern herfähret, vielweniger
die Eiferer, die anderer Meynung sind, im
Hertzen vor Narren, sondern sie vor tausend
mahl glückseliger, als sich selbsten, hält; so

würden

ſo in Religions-Scrupeln
nen wolte, die derjenige hat, welcher malade en
Religion,
wie es die Frantzoſen nennen, oder
kranck an der Religion iſt, wenn ich ſo reden
mag; das heiſt, der gewiſſe Lehr-Saͤtze heget,
die er vor wichtige Wahrheiten anſiehet, und
weil er dieſelben von groſſem Nutzen zu ſeyn glau-
bet, daferne ſie andern mitgetheilet wuͤrden, im
Gewiſſen, und bey Verluſt der Gnade GOttes
ſich hoͤchſt verbunden achtet, dieſelben nicht laͤn-
ger geheim zu halten, ſondern ſie oͤffentlich vor-
zutragen, und ſie muͤndlich, oder ſchrifftlich der
Welt zu communiciren, und doch wegen natuͤr-
licher Furcht aller der Unruhe, und der Ubel,
die er ſich dadurch koͤnte zuziehen, davon immer
zuruͤcke gehalten wird, und ſolches ſtets von einer
Zeit zur andern unter vieler Sorge und Kum-
mer, Peinigung des Gemuͤthes, und Gewiſſens-
Angſt, aufſchiebet. Wenn diejenigen hitzigen
Eiferer, die zuweilen auf eine unbarmhertzige
Weiſe mit denen umgehen, die nicht in allem
ihrer Meynung ſind, wuͤſten, wie einem ſol-
chem Menſchen zu Muthe, und was er vor ein
armer elender, und geplagter Menſch ſey, der
nicht etwan aus Hochmuth, und mit froͤhlichem
Muthe uͤber den andern herfaͤhret, vielweniger
die Eiferer, die anderer Meynung ſind, im
Hertzen vor Narren, ſondern ſie vor tauſend
mahl gluͤckſeliger, als ſich ſelbſten, haͤlt; ſo

wuͤrden
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0697" n="651"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">&#x017F;o in Religions-Scrupeln</hi></fw><lb/>
nen wolte, die derjenige hat, welcher <hi rendition="#aq">malade en<lb/>
Religion,</hi> wie es die Frantzo&#x017F;en nennen, oder<lb/>
kranck an der Religion i&#x017F;t, wenn ich &#x017F;o reden<lb/>
mag; das hei&#x017F;t, der gewi&#x017F;&#x017F;e Lehr-Sa&#x0364;tze heget,<lb/>
die er vor wichtige Wahrheiten an&#x017F;iehet, und<lb/>
weil er die&#x017F;elben von gro&#x017F;&#x017F;em Nutzen zu &#x017F;eyn glau-<lb/>
bet, daferne &#x017F;ie andern mitgetheilet wu&#x0364;rden, im<lb/>
Gewi&#x017F;&#x017F;en, und bey Verlu&#x017F;t der Gnade GOttes<lb/>
&#x017F;ich ho&#x0364;ch&#x017F;t verbunden achtet, die&#x017F;elben nicht la&#x0364;n-<lb/>
ger geheim zu halten, &#x017F;ondern &#x017F;ie o&#x0364;ffentlich vor-<lb/>
zutragen, und &#x017F;ie mu&#x0364;ndlich, oder &#x017F;chrifftlich der<lb/>
Welt zu <hi rendition="#aq">communici</hi>ren, und doch wegen natu&#x0364;r-<lb/>
licher Furcht aller der Unruhe, und der Ubel,<lb/>
die er &#x017F;ich dadurch ko&#x0364;nte zuziehen, davon immer<lb/>
zuru&#x0364;cke gehalten wird, und &#x017F;olches &#x017F;tets von einer<lb/>
Zeit zur andern unter vieler Sorge und Kum-<lb/>
mer, Peinigung des Gemu&#x0364;thes, und Gewi&#x017F;&#x017F;ens-<lb/>
Ang&#x017F;t, auf&#x017F;chiebet. Wenn diejenigen hitzigen<lb/>
Eiferer, die zuweilen auf eine unbarmhertzige<lb/>
Wei&#x017F;e mit denen umgehen, die nicht in allem<lb/>
ihrer Meynung &#x017F;ind, wu&#x0364;&#x017F;ten, wie einem &#x017F;ol-<lb/>
chem Men&#x017F;chen zu Muthe, und was er vor ein<lb/>
armer elender, und geplagter Men&#x017F;ch &#x017F;ey, der<lb/>
nicht etwan aus Hochmuth, und mit fro&#x0364;hlichem<lb/>
Muthe u&#x0364;ber den andern herfa&#x0364;hret, vielweniger<lb/>
die Eiferer, die anderer Meynung &#x017F;ind, im<lb/>
Hertzen vor Narren, &#x017F;ondern &#x017F;ie vor tau&#x017F;end<lb/>
mahl glu&#x0364;ck&#x017F;eliger, als &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;ten, ha&#x0364;lt; &#x017F;o<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wu&#x0364;rden</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[651/0697] ſo in Religions-Scrupeln nen wolte, die derjenige hat, welcher malade en Religion, wie es die Frantzoſen nennen, oder kranck an der Religion iſt, wenn ich ſo reden mag; das heiſt, der gewiſſe Lehr-Saͤtze heget, die er vor wichtige Wahrheiten anſiehet, und weil er dieſelben von groſſem Nutzen zu ſeyn glau- bet, daferne ſie andern mitgetheilet wuͤrden, im Gewiſſen, und bey Verluſt der Gnade GOttes ſich hoͤchſt verbunden achtet, dieſelben nicht laͤn- ger geheim zu halten, ſondern ſie oͤffentlich vor- zutragen, und ſie muͤndlich, oder ſchrifftlich der Welt zu communiciren, und doch wegen natuͤr- licher Furcht aller der Unruhe, und der Ubel, die er ſich dadurch koͤnte zuziehen, davon immer zuruͤcke gehalten wird, und ſolches ſtets von einer Zeit zur andern unter vieler Sorge und Kum- mer, Peinigung des Gemuͤthes, und Gewiſſens- Angſt, aufſchiebet. Wenn diejenigen hitzigen Eiferer, die zuweilen auf eine unbarmhertzige Weiſe mit denen umgehen, die nicht in allem ihrer Meynung ſind, wuͤſten, wie einem ſol- chem Menſchen zu Muthe, und was er vor ein armer elender, und geplagter Menſch ſey, der nicht etwan aus Hochmuth, und mit froͤhlichem Muthe uͤber den andern herfaͤhret, vielweniger die Eiferer, die anderer Meynung ſind, im Hertzen vor Narren, ſondern ſie vor tauſend mahl gluͤckſeliger, als ſich ſelbſten, haͤlt; ſo wuͤrden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/697
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 651. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/697>, abgerufen am 22.11.2024.