nen wolte, die derjenige hat, welcher malade en Religion, wie es die Frantzosen nennen, oder kranck an der Religion ist, wenn ich so reden mag; das heist, der gewisse Lehr-Sätze heget, die er vor wichtige Wahrheiten ansiehet, und weil er dieselben von grossem Nutzen zu seyn glau- bet, daferne sie andern mitgetheilet würden, im Gewissen, und bey Verlust der Gnade GOttes sich höchst verbunden achtet, dieselben nicht län- ger geheim zu halten, sondern sie öffentlich vor- zutragen, und sie mündlich, oder schrifftlich der Welt zu communiciren, und doch wegen natür- licher Furcht aller der Unruhe, und der Ubel, die er sich dadurch könte zuziehen, davon immer zurücke gehalten wird, und solches stets von einer Zeit zur andern unter vieler Sorge und Kum- mer, Peinigung des Gemüthes, und Gewissens- Angst, aufschiebet. Wenn diejenigen hitzigen Eiferer, die zuweilen auf eine unbarmhertzige Weise mit denen umgehen, die nicht in allem ihrer Meynung sind, wüsten, wie einem sol- chem Menschen zu Muthe, und was er vor ein armer elender, und geplagter Mensch sey, der nicht etwan aus Hochmuth, und mit fröhlichem Muthe über den andern herfähret, vielweniger die Eiferer, die anderer Meynung sind, im Hertzen vor Narren, sondern sie vor tausend mahl glückseliger, als sich selbsten, hält; so
würden
ſo in Religions-Scrupeln
nen wolte, die derjenige hat, welcher malade en Religion, wie es die Frantzoſen nennen, oder kranck an der Religion iſt, wenn ich ſo reden mag; das heiſt, der gewiſſe Lehr-Saͤtze heget, die er vor wichtige Wahrheiten anſiehet, und weil er dieſelben von groſſem Nutzen zu ſeyn glau- bet, daferne ſie andern mitgetheilet wuͤrden, im Gewiſſen, und bey Verluſt der Gnade GOttes ſich hoͤchſt verbunden achtet, dieſelben nicht laͤn- ger geheim zu halten, ſondern ſie oͤffentlich vor- zutragen, und ſie muͤndlich, oder ſchrifftlich der Welt zu communiciren, und doch wegen natuͤr- licher Furcht aller der Unruhe, und der Ubel, die er ſich dadurch koͤnte zuziehen, davon immer zuruͤcke gehalten wird, und ſolches ſtets von einer Zeit zur andern unter vieler Sorge und Kum- mer, Peinigung des Gemuͤthes, und Gewiſſens- Angſt, aufſchiebet. Wenn diejenigen hitzigen Eiferer, die zuweilen auf eine unbarmhertzige Weiſe mit denen umgehen, die nicht in allem ihrer Meynung ſind, wuͤſten, wie einem ſol- chem Menſchen zu Muthe, und was er vor ein armer elender, und geplagter Menſch ſey, der nicht etwan aus Hochmuth, und mit froͤhlichem Muthe uͤber den andern herfaͤhret, vielweniger die Eiferer, die anderer Meynung ſind, im Hertzen vor Narren, ſondern ſie vor tauſend mahl gluͤckſeliger, als ſich ſelbſten, haͤlt; ſo
wuͤrden
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ſo in Religions-Scrupeln
nen wolte, die derjenige hat, welcher malade en
Religion, wie es die Frantzoſen nennen, oder
kranck an der Religion iſt, wenn ich ſo reden
mag; das heiſt, der gewiſſe Lehr-Saͤtze heget,
die er vor wichtige Wahrheiten anſiehet, und
weil er dieſelben von groſſem Nutzen zu ſeyn glau-
bet, daferne ſie andern mitgetheilet wuͤrden, im
Gewiſſen, und bey Verluſt der Gnade GOttes
ſich hoͤchſt verbunden achtet, dieſelben nicht laͤn-
ger geheim zu halten, ſondern ſie oͤffentlich vor-
zutragen, und ſie muͤndlich, oder ſchrifftlich der
Welt zu communiciren, und doch wegen natuͤr-
licher Furcht aller der Unruhe, und der Ubel,
die er ſich dadurch koͤnte zuziehen, davon immer
zuruͤcke gehalten wird, und ſolches ſtets von einer
Zeit zur andern unter vieler Sorge und Kum-
mer, Peinigung des Gemuͤthes, und Gewiſſens-
Angſt, aufſchiebet. Wenn diejenigen hitzigen
Eiferer, die zuweilen auf eine unbarmhertzige
Weiſe mit denen umgehen, die nicht in allem
ihrer Meynung ſind, wuͤſten, wie einem ſol-
chem Menſchen zu Muthe, und was er vor ein
armer elender, und geplagter Menſch ſey, der
nicht etwan aus Hochmuth, und mit froͤhlichem
Muthe uͤber den andern herfaͤhret, vielweniger
die Eiferer, die anderer Meynung ſind, im
Hertzen vor Narren, ſondern ſie vor tauſend
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 651. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/697>, abgerufen am 22.11.2024.
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