aber welch eine Noth, ehe ich zum Entschluß kommen kunte, einen Menschen, der dem De- lirio nahe zu seyn schiene, alleine reisen zu laßen. Doch da er vorgab, er hätte schon einen guten Freund, der mit ihm Compagnie machen wür- de, so ließ ich mirs gefallen. Jch schaffte unterdessen sein Bette, und Bücher, so er in meiner Stube und Kammer hatte, in eine an- dere Stube, damit, wenn er wieder käme, ich ihn nicht mehr auf dem Halse, noch in der Nacht mehr um mich hätte. Jch wurde ge- nöthiget, Merseburger Bier zu trincken, mir den Magen, und das Haupt zu stärcken, da- mit ich das Ubel ertragen könte. Es kam kein Schlaf dieselbe Nacht in meine Augen, und solte doch Sonntags drauf frühe predigen. So fertig ich auch die Predigt auswendig ge- lernet, und so viel Materie ich auch von den Reden der Ungerechtenconcipiret hatte, welche ich damahls vorstellte, und die unter den 70. Predigten von mancherley Art gedruckt zu lesen, so machte doch die Furcht und Angst, mit welcher ich auf der Cantzel stund, daß ich alles geschwinde hinredete, und meine Predigt nicht viel über eine halbe Stunde währete, wel- ches die allerkürtzeste Predigt gewesen, so ich in meinem Amte gehalten. Nach einigen Tagen aber kam ex zu meinem Glücke, und zu mei-
ner
Sorge, und Kummer
aber welch eine Noth, ehe ich zum Entſchluß kommen kunte, einen Menſchen, der dem De- lirio nahe zu ſeyn ſchiene, alleine reiſen zu laßen. Doch da er vorgab, er haͤtte ſchon einen guten Freund, der mit ihm Compagnie machen wuͤr- de, ſo ließ ich mirs gefallen. Jch ſchaffte unterdeſſen ſein Bette, und Buͤcher, ſo er in meiner Stube und Kammer hatte, in eine an- dere Stube, damit, wenn er wieder kaͤme, ich ihn nicht mehr auf dem Halſe, noch in der Nacht mehr um mich haͤtte. Jch wurde ge- noͤthiget, Merſeburger Bier zu trincken, mir den Magen, und das Haupt zu ſtaͤrcken, da- mit ich das Ubel ertragen koͤnte. Es kam kein Schlaf dieſelbe Nacht in meine Augen, und ſolte doch Sonntags drauf fruͤhe predigen. So fertig ich auch die Predigt auswendig ge- lernet, und ſo viel Materie ich auch von den Reden der Ungerechtenconcipiret hatte, welche ich damahls vorſtellte, und die unter den 70. Predigten von mancherley Art gedruckt zu leſen, ſo machte doch die Furcht und Angſt, mit welcher ich auf der Cantzel ſtund, daß ich alles geſchwinde hinredete, und meine Predigt nicht viel uͤber eine halbe Stunde waͤhrete, wel- ches die allerkuͤrtzeſte Predigt geweſen, ſo ich in meinem Amte gehalten. Nach einigen Tagen aber kam ex zu meinem Gluͤcke, und zu mei-
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[589/0635]
Sorge, und Kummer
aber welch eine Noth, ehe ich zum Entſchluß
kommen kunte, einen Menſchen, der dem De-
lirio nahe zu ſeyn ſchiene, alleine reiſen zu laßen.
Doch da er vorgab, er haͤtte ſchon einen guten
Freund, der mit ihm Compagnie machen wuͤr-
de, ſo ließ ich mirs gefallen. Jch ſchaffte
unterdeſſen ſein Bette, und Buͤcher, ſo er in
meiner Stube und Kammer hatte, in eine an-
dere Stube, damit, wenn er wieder kaͤme, ich
ihn nicht mehr auf dem Halſe, noch in der
Nacht mehr um mich haͤtte. Jch wurde ge-
noͤthiget, Merſeburger Bier zu trincken, mir
den Magen, und das Haupt zu ſtaͤrcken, da-
mit ich das Ubel ertragen koͤnte. Es kam
kein Schlaf dieſelbe Nacht in meine Augen, und
ſolte doch Sonntags drauf fruͤhe predigen.
So fertig ich auch die Predigt auswendig ge-
lernet, und ſo viel Materie ich auch von den
Reden der Ungerechten concipiret hatte,
welche ich damahls vorſtellte, und die unter den
70. Predigten von mancherley Art gedruckt zu
leſen, ſo machte doch die Furcht und Angſt,
mit welcher ich auf der Cantzel ſtund, daß ich
alles geſchwinde hinredete, und meine Predigt
nicht viel uͤber eine halbe Stunde waͤhrete, wel-
ches die allerkuͤrtzeſte Predigt geweſen, ſo ich in
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/635>, abgerufen am 23.11.2024.
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