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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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unter vielen Religions-Scrupeln,
das erste innerliche große Haupt-Stücke aller Hei-
ligkeit, und Gottseligkeit wären, weil solche Stücke
ohne darauf folgenden geänderten und gebesserten
Verstandund Willen nicht können concipiret und
verstanden werden, und daß also in Wahrheit das
gröste und erste Stücke der Gottseligkeit und Heilig-
keit vor der Rechtfertigung vorher gienge, und der
constans voluntas pie vivendi, oder gottselig zu
leben so gut schon als eine Gottseligkeit zu achten,
als etwan constans voluntas suum cuique tri-
buendi,
und der beständige Wille einem ieden
das seinige zu geben, eine Gerechtigkeit gegen
den Nächsten zu nennen, wenn gleich die Aus-
übung und Wercke der Gerechtigkeit erst hernach
folgten: daß GOtt gerecht sey, nach Johan-
nis
Zeugniß, wenn er Sünde vergiebt, weil er
solche der Busse und dem Glauben verheissen, und
daß folgentlich die Stücke, die der Heilige Geist
vor der Rechtfertigung würcket, ein meritum
de congruo,
und ein Verdienst in gelindem Ver-
stande könne genennet werden, wenn ein Verdienst
mehr nicht ist, als eine freye That, welcher man ei-
nen Lohn zu geben verheissen, und wenn die
Worte: Vermöge der Gerechtigkeit, seu ex
justitia
nur so viel heissen sollen, als ex promis-
sione,
oder weil es GOtt zugesaget. Das
waren NB. damahls meine Gedancken, wie ich

solche

unter vielen Religions-Scrupeln,
das erſte innerliche große Haupt-Stuͤcke aller Hei-
ligkeit, und Gottſeligkeit waͤren, weil ſolche Stuͤcke
ohne darauf folgenden geaͤnderten und gebeſſerten
Verſtandund Willen nicht koͤnnen concipiret und
verſtanden werden, und daß alſo in Wahrheit das
groͤſte und erſte Stuͤcke der Gottſeligkeit und Heilig-
keit vor der Rechtfertigung vorher gienge, und der
conſtans voluntas pie vivendi, oder gottſelig zu
leben ſo gut ſchon als eine Gottſeligkeit zu achten,
als etwan conſtans voluntas ſuum cuique tri-
buendi,
und der beſtaͤndige Wille einem ieden
das ſeinige zu geben, eine Gerechtigkeit gegen
den Naͤchſten zu nennen, wenn gleich die Aus-
uͤbung und Wercke der Gerechtigkeit erſt hernach
folgten: daß GOtt gerecht ſey, nach Johan-
nis
Zeugniß, wenn er Suͤnde vergiebt, weil er
ſolche der Buſſe und dem Glauben verheiſſen, und
daß folgentlich die Stuͤcke, die der Heilige Geiſt
vor der Rechtfertigung wuͤrcket, ein meritum
de congruo,
und ein Verdienſt in gelindem Ver-
ſtande koͤnne genennet werden, wenn ein Verdienſt
mehr nicht iſt, als eine freye That, welcher man ei-
nen Lohn zu geben verheiſſen, und wenn die
Worte: Vermoͤge der Gerechtigkeit, ſeu ex
juſtitia
nur ſo viel heiſſen ſollen, als ex promis-
ſione,
oder weil es GOtt zugeſaget. Das
waren NB. damahls meine Gedancken, wie ich

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[508/0554] unter vielen Religions-Scrupeln, das erſte innerliche große Haupt-Stuͤcke aller Hei- ligkeit, und Gottſeligkeit waͤren, weil ſolche Stuͤcke ohne darauf folgenden geaͤnderten und gebeſſerten Verſtandund Willen nicht koͤnnen concipiret und verſtanden werden, und daß alſo in Wahrheit das groͤſte und erſte Stuͤcke der Gottſeligkeit und Heilig- keit vor der Rechtfertigung vorher gienge, und der conſtans voluntas pie vivendi, oder gottſelig zu leben ſo gut ſchon als eine Gottſeligkeit zu achten, als etwan conſtans voluntas ſuum cuique tri- buendi, und der beſtaͤndige Wille einem ieden das ſeinige zu geben, eine Gerechtigkeit gegen den Naͤchſten zu nennen, wenn gleich die Aus- uͤbung und Wercke der Gerechtigkeit erſt hernach folgten: daß GOtt gerecht ſey, nach Johan- nis Zeugniß, wenn er Suͤnde vergiebt, weil er ſolche der Buſſe und dem Glauben verheiſſen, und daß folgentlich die Stuͤcke, die der Heilige Geiſt vor der Rechtfertigung wuͤrcket, ein meritum de congruo, und ein Verdienſt in gelindem Ver- ſtande koͤnne genennet werden, wenn ein Verdienſt mehr nicht iſt, als eine freye That, welcher man ei- nen Lohn zu geben verheiſſen, und wenn die Worte: Vermoͤge der Gerechtigkeit, ſeu ex juſtitia nur ſo viel heiſſen ſollen, als ex promis- ſione, oder weil es GOtt zugeſaget. Das waren NB. damahls meine Gedancken, wie ich ſolche

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/554>, abgerufen am 22.11.2024.