M. Gehr recommendirte mir den Herrn Licentiat Friderici, einen berühmten Practi- cum, so in Tauche wohnhafft, aber alle Marckt-Tage nach Leipzig kam, und in ei- nem Hause, auf dem Neuen Kirchhofe Medi- camente ausgab. Der Mann war schon grau vor Alter, und doch traff man ihn in ei- ner kalten Stube an, wenn auch schon die Fenster gefrohren waren; ja er tranck zuwei- len aus einem Glase kalt Wasser noch vor der Mittags-Mahlzeit. So viel Vertrauen ich zu ihm hatte, und so viele Satisfaction er mir that durch seine medicinischen Discourse, die er führte, so war es mir doch eine beschwer- liche Sache, daß, wenn ich die gantze Nacht geschwitzet hatte, und vom Schweiß noch naß war, ich bey kaltem Wetter zu ihm gehen, eine halbe Stunde im Vor-Saal warten, und mit ihm noch dazu in einer kalten Stuben mich unterreden solte. Er begehrte von mir, ich solte ihm mein Vitae curriculum kurtz aufsetzen, damit er aus meinem Leben, so ich geführet, einen desto sicherern Schluß von mei- ner Kranckheit, und von meiner Natur fällen könte; allein das war mir ungelegen, ihm solche Sachen zu entdecken, die ich noch kei- nem Beicht-Vater eröffnet, und die freylich nicht einen geringen Einfluß zu meiner damahls
haben-
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ſo ihm recommendiret worden,
M. Gehr recommendirte mir den Herrn Licentiat Friderici, einen beruͤhmten Practi- cum, ſo in Tauche wohnhafft, aber alle Marckt-Tage nach Leipzig kam, und in ei- nem Hauſe, auf dem Neuen Kirchhofe Medi- camente ausgab. Der Mann war ſchon grau vor Alter, und doch traff man ihn in ei- ner kalten Stube an, wenn auch ſchon die Fenſter gefrohren waren; ja er tranck zuwei- len aus einem Glaſe kalt Waſſer noch vor der Mittags-Mahlzeit. So viel Vertrauen ich zu ihm hatte, und ſo viele Satisfaction er mir that durch ſeine mediciniſchen Diſcourſe, die er fuͤhrte, ſo war es mir doch eine beſchwer- liche Sache, daß, wenn ich die gantze Nacht geſchwitzet hatte, und vom Schweiß noch naß war, ich bey kaltem Wetter zu ihm gehen, eine halbe Stunde im Vor-Saal warten, und mit ihm noch dazu in einer kalten Stuben mich unterreden ſolte. Er begehrte von mir, ich ſolte ihm mein Vitæ curriculum kurtz aufſetzen, damit er aus meinem Leben, ſo ich gefuͤhret, einen deſto ſicherern Schluß von mei- ner Kranckheit, und von meiner Natur faͤllen koͤnte; allein das war mir ungelegen, ihm ſolche Sachen zu entdecken, die ich noch kei- nem Beicht-Vater eroͤffnet, und die freylich nicht einen geringen Einfluß zu meiner damahls
haben-
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M. Gehr recommendirte mir den Herrn
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cum, ſo in Tauche wohnhafft, aber alle
Marckt-Tage nach Leipzig kam, und in ei-
nem Hauſe, auf dem Neuen Kirchhofe Medi-
camente ausgab. Der Mann war ſchon
grau vor Alter, und doch traff man ihn in ei-
ner kalten Stube an, wenn auch ſchon die
Fenſter gefrohren waren; ja er tranck zuwei-
len aus einem Glaſe kalt Waſſer noch vor der
Mittags-Mahlzeit. So viel Vertrauen
ich zu ihm hatte, und ſo viele Satisfaction er
mir that durch ſeine mediciniſchen Diſcourſe,
die er fuͤhrte, ſo war es mir doch eine beſchwer-
liche Sache, daß, wenn ich die gantze Nacht
geſchwitzet hatte, und vom Schweiß noch naß
war, ich bey kaltem Wetter zu ihm gehen,
eine halbe Stunde im Vor-Saal warten, und
mit ihm noch dazu in einer kalten Stuben
mich unterreden ſolte. Er begehrte von
mir, ich ſolte ihm mein Vitæ curriculum kurtz
aufſetzen, damit er aus meinem Leben, ſo ich
gefuͤhret, einen deſto ſicherern Schluß von mei-
ner Kranckheit, und von meiner Natur faͤllen
koͤnte; allein das war mir ungelegen, ihm
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/517>, abgerufen am 22.11.2024.
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