cus, als der alleine wegen seines Tempera- ments geschickt ist, durch übermäßige Sorge und Furcht auf solche Gedancken zu verfallen, im Haupte verwüstet, seines Verstandes berau- bet, und zu solcher That ohne Willen und Vor- satz gezogen zu werden.
Nun halte ich wol selbst davor, daß es sehr selten geschehe, daß Leute mit völligem Ver- stande zu so einer That schreiten, vor welcher die gantze menschliche Natur erschrickt, und wo- vor alle Menschen natürlicher weise den grösten Horrorem und Abscheu haben. Zwar wenn Selbst-Morde sich in einer Stadt ereignen, so werden die, so sich selbst getödtet, insgemein von den Leuten angesehen als Menschen, die mit Verstande und Vorsatze solche That vor- genommen. Sie laßen nicht leicht die Ent- schuldigungen der andern gelten, welche solche betrübte Fälle einer Melancholie zuschreiben wollen. Sie wissen anzuführen, daß der, so sich selbst umgebracht, in großen Schulden ge- steckt: daß, so reich er auch noch gewesen sey, er um etliche hundert Thaler betrogen, oder be- stohlen worden, oder wegen Malversation die Absetzung von seinem Amte befürchtet: und daß er noch den Tag zuvor bey völligem Ver- stande gewesen;**** das, meynen sie, sey die Ur- sache, die ihn dazu bewogen: er habe sich
solche
die ſich mit Verſtand,
cus, als der alleine wegen ſeines Tempera- ments geſchickt iſt, durch uͤbermaͤßige Sorge und Furcht auf ſolche Gedancken zu verfallen, im Haupte verwuͤſtet, ſeines Verſtandes berau- bet, und zu ſolcher That ohne Willen und Vor- ſatz gezogen zu werden.
Nun halte ich wol ſelbſt davor, daß es ſehr ſelten geſchehe, daß Leute mit voͤlligem Ver- ſtande zu ſo einer That ſchreiten, vor welcher die gantze menſchliche Natur erſchrickt, und wo- vor alle Menſchen natuͤrlicher weiſe den groͤſten Horrorem und Abſcheu haben. Zwar wenn Selbſt-Morde ſich in einer Stadt ereignen, ſo werden die, ſo ſich ſelbſt getoͤdtet, insgemein von den Leuten angeſehen als Menſchen, die mit Verſtande und Vorſatze ſolche That vor- genommen. Sie laßen nicht leicht die Ent- ſchuldigungen der andern gelten, welche ſolche betruͤbte Faͤlle einer Melancholie zuſchreiben wollen. Sie wiſſen anzufuͤhren, daß der, ſo ſich ſelbſt umgebracht, in großen Schulden ge- ſteckt: daß, ſo reich er auch noch geweſen ſey, er um etliche hundert Thaler betrogen, oder be- ſtohlen worden, oder wegen Malverſation die Abſetzung von ſeinem Amte befuͤrchtet: und daß er noch den Tag zuvor bey voͤlligem Ver- ſtande geweſen;**** das, meynen ſie, ſey die Ur- ſache, die ihn dazu bewogen: er habe ſich
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die ſich mit Verſtand,
cus, als der alleine wegen ſeines Tempera-
ments geſchickt iſt, durch uͤbermaͤßige Sorge
und Furcht auf ſolche Gedancken zu verfallen,
im Haupte verwuͤſtet, ſeines Verſtandes berau-
bet, und zu ſolcher That ohne Willen und Vor-
ſatz gezogen zu werden.
Nun halte ich wol ſelbſt davor, daß es ſehr
ſelten geſchehe, daß Leute mit voͤlligem Ver-
ſtande zu ſo einer That ſchreiten, vor welcher
die gantze menſchliche Natur erſchrickt, und wo-
vor alle Menſchen natuͤrlicher weiſe den groͤſten
Horrorem und Abſcheu haben. Zwar wenn
Selbſt-Morde ſich in einer Stadt ereignen,
ſo werden die, ſo ſich ſelbſt getoͤdtet, insgemein
von den Leuten angeſehen als Menſchen, die
mit Verſtande und Vorſatze ſolche That vor-
genommen. Sie laßen nicht leicht die Ent-
ſchuldigungen der andern gelten, welche ſolche
betruͤbte Faͤlle einer Melancholie zuſchreiben
wollen. Sie wiſſen anzufuͤhren, daß der, ſo
ſich ſelbſt umgebracht, in großen Schulden ge-
ſteckt: daß, ſo reich er auch noch geweſen ſey,
er um etliche hundert Thaler betrogen, oder be-
ſtohlen worden, oder wegen Malverſation die
Abſetzung von ſeinem Amte befuͤrchtet: und
daß er noch den Tag zuvor bey voͤlligem Ver-
ſtande geweſen; das, meynen ſie, ſey die Ur-
ſache, die ihn dazu bewogen: er habe ſich
ſolche
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/408>, abgerufen am 25.11.2024.
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