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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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in welcher gezeiget wird,
Tage, wenn sie aus einem Hause kommen,
irre werden, und meynen, der Thomas-Thurm
müsse ja auf jener Seite stehen, so daß ihnen
alles verkehrt, und unrecht scheinet. Da ich
noch in meiner Vaters-Stadt war, will ein
gewisser Handwercks-Pursche des Nachts zu
seinem Fenster hinaus steigen; welches, weil
es Sommer, und warm Wetter war, er die
Nacht offen gelaßen. Der andere, so bey
ihm schläft, und dieses mercket, und vermuthet,
daß er irre im Kopffe sey, holet ihn zu allem
Glücke noch zurücke, und führet ihn wieder ins
Bette. Dieser, so zum Fenster hinaus stei-
gen wolte, hat hernachmahls ausgesaget, er sey
halb träumend aufgestanden, und in der Kam-
mer irre worden, und da er sein Bette nicht
wieder sinden können, habe ihn nicht anders ge-
deucht, als ob sein Bette draussen vorm Fenster
stünde. Urtheile selbst, wenn dieser Mensch
sich zu Tode gefallen hätte, ob man ihn nicht
vor einen Selbst-Mörder würde ausgegeben
haben?

Ein großer merckwürdiger Umstand, der
die gegenwärtige Sache klar macht, ist wol un-
streitig, daß alle Melancholici, wie die Medici
zugestehen werden, ein hitzig Fieber habituali-
ter
wegen ihres Leibes Beschaffenheit mit sich
herum tragen; welches denn manchmahl un-

verse-

in welcher gezeiget wird,
Tage, wenn ſie aus einem Hauſe kommen,
irre werden, und meynen, der Thomas-Thurm
muͤſſe ja auf jener Seite ſtehen, ſo daß ihnen
alles verkehrt, und unrecht ſcheinet. Da ich
noch in meiner Vaters-Stadt war, will ein
gewiſſer Handwercks-Purſche des Nachts zu
ſeinem Fenſter hinaus ſteigen; welches, weil
es Sommer, und warm Wetter war, er die
Nacht offen gelaßen. Der andere, ſo bey
ihm ſchlaͤft, und dieſes mercket, und vermuthet,
daß er irre im Kopffe ſey, holet ihn zu allem
Gluͤcke noch zuruͤcke, und fuͤhret ihn wieder ins
Bette. Dieſer, ſo zum Fenſter hinaus ſtei-
gen wolte, hat hernachmahls ausgeſaget, er ſey
halb traͤumend aufgeſtanden, und in der Kam-
mer irre worden, und da er ſein Bette nicht
wieder ſinden koͤnnen, habe ihn nicht anders ge-
deucht, als ob ſein Bette drauſſen vorm Fenſter
ſtuͤnde. Urtheile ſelbſt, wenn dieſer Menſch
ſich zu Tode gefallen haͤtte, ob man ihn nicht
vor einen Selbſt-Moͤrder wuͤrde ausgegeben
haben?

Ein großer merckwuͤrdiger Umſtand, der
die gegenwaͤrtige Sache klar macht, iſt wol un-
ſtreitig, daß alle Melancholici, wie die Medici
zugeſtehen werden, ein hitzig Fieber habituali-
ter
wegen ihres Leibes Beſchaffenheit mit ſich
herum tragen; welches denn manchmahl un-

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[334/0380] in welcher gezeiget wird, Tage, wenn ſie aus einem Hauſe kommen, irre werden, und meynen, der Thomas-Thurm muͤſſe ja auf jener Seite ſtehen, ſo daß ihnen alles verkehrt, und unrecht ſcheinet. Da ich noch in meiner Vaters-Stadt war, will ein gewiſſer Handwercks-Purſche des Nachts zu ſeinem Fenſter hinaus ſteigen; welches, weil es Sommer, und warm Wetter war, er die Nacht offen gelaßen. Der andere, ſo bey ihm ſchlaͤft, und dieſes mercket, und vermuthet, daß er irre im Kopffe ſey, holet ihn zu allem Gluͤcke noch zuruͤcke, und fuͤhret ihn wieder ins Bette. Dieſer, ſo zum Fenſter hinaus ſtei- gen wolte, hat hernachmahls ausgeſaget, er ſey halb traͤumend aufgeſtanden, und in der Kam- mer irre worden, und da er ſein Bette nicht wieder ſinden koͤnnen, habe ihn nicht anders ge- deucht, als ob ſein Bette drauſſen vorm Fenſter ſtuͤnde. Urtheile ſelbſt, wenn dieſer Menſch ſich zu Tode gefallen haͤtte, ob man ihn nicht vor einen Selbſt-Moͤrder wuͤrde ausgegeben haben? Ein großer merckwuͤrdiger Umſtand, der die gegenwaͤrtige Sache klar macht, iſt wol un- ſtreitig, daß alle Melancholici, wie die Medici zugeſtehen werden, ein hitzig Fieber habituali- ter wegen ihres Leibes Beſchaffenheit mit ſich herum tragen; welches denn manchmahl un- verſe-

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/380>, abgerufen am 25.11.2024.